Die Öffentlichkeitsarbeit der Automobilindustrie steht vor drastischen Veränderungen. Presseabteilungen werden zunehmend ins Marketing integriert. Statt der klassischen Vermittlung von Informationen stehen dann andere Zielsetzungen im Vordergrund. Professor Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands, sagte dazu der Autoren-Union Mobilität: „Wenn man versucht, die Öffentlichkeit, vertreten durch den Journalismus, draußen zu halten, kann das auf Dauer nicht gut gehen.“
In der Automobilindustrie werden zunehmend Presseabteilungen in die Marketingaktivitäten der Unternehmen eingegliedert. Beobachten Sie diesen Trend auch in anderen Branchen?
„Das ist in der Tat ein Trend, den ich mit großer Sorge betrachte. Wir beobachten diese Entwicklung auch bei öffentlichen Behörden, wo auf diese Weise versucht wird, Themen selbst zu setzen und sich kritischen Nachfragen zu entziehen. Das geht so weit, dass Polizeibehörden zum Beispiel eigene Videos produzieren und gleichzeitig Anfragen von Medien nicht mehr bedient werden. Das ist die völlig falsche Richtung. Bei Behörden gehen wir als Gewerkschaft dagegen vor, doch bei Unternehmen ist das ungleich schwieriger. Der öffentliche Diskurs lebt schließlich davon, dass es professionell gemachte Massenmedien gibt, die auch entsprechend kritisch nachfragen.“
Marketing und Pressearbeit haben zwei völlig unterschiedliche Ausrichtungen. Was bedeutet es, wenn Informationen nur noch nach wirtschaftlichen Aspekten gestaltet werden?
„Wenn nur noch die wirtschaftlichen Absichten für die Kommunikationsstrategie entscheidend sind, dann steht allein das Streben nach Profit im Mittelpunkt und nicht mehr die Verankerung des Unternehmens in der Gesellschaft, von der es letztlich lebt. Irgendjemand muss die Produkte ja am Ende erwerben. Ich halte das für den völlig falschen Weg, aber viele der dort handelnden Personen, die allein auf Zahlen fixiert sind, halten dies offensichtlich für die richtige Ausrichtung.“
Ist es angesichts der anstehenden Transformationen in der Autoindustrie der richtige Ansatz von der klassischen partnerschaftlichen Pressearbeit auf Marketingaktivitäten zu wechseln?
„Natürlich nicht, denn auch das Produkt Auto braucht gerade in der aktuellen Situation eine Akzeptanz in der Bevölkerung. Man schießt sich mit diesem Wechsel eigentlich ins eigene Knie. Die Industrie muss natürlich den Kontakt zur Öffentlichkeit suchen, denn sonst wird sie irgendwann entweder ihre Produkte nicht los oder es gibt dann öffentliche Anti-Kampagnen. Das wird automatisch kommen, wenn man sich dem Diskurs mit der Öffentlichkeit verweigert. Natürlich lässt sich nachvollziehen, dass sich ein Unternehmen ärgert, wenn zum Beispiel ein Diesel-Skandal in die breite Öffentlichkeit getragen wird. Dann ist es angenehmer, wenn das Thema nicht so groß wird und gleichzeitig andere Inhalte gesetzt werden können, um neue Autos zu verkaufen und Geld in die Kassen zu bringen. Aber das wird so einfach nicht funktionieren, und deshalb muss man sich genau überlegen, was man da macht.“
Welche Rolle spielen in diesem Umfeld die sozialen Netzwerke?
„Das ist bei einigen Verantwortlichen der neue Trend. Bei Gerhard Schröder waren es noch Bild, Bild am Sonntag und Glotze, um die man sich bemühen musste. Jetzt entsteht bei einigen Akteuren der Trend, dass sie nur noch die sozialen Netzwerke für ihre Kommunikation benötigen. Letzten Endes versorgt sich die breite Öffentlichkeit aber auch heute noch immer über die Massenmedien mit Informationen. Wer da nur in Algorithmen denkt und sich verweigert, wird mittelfristig nicht gewinnen.“
Welches Journalismus-Bild verbirgt sich hinter dieser neuen, vom Marketing getriebenen, Kommunikationspolitik?
„Offensichtlich ein degoutantes Bild. In meinen Seminaren vermittle ich den Journalismus-Studenten als erstes, dass der Journalismus eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und die PR in erster Linie eine Verantwortung gegenüber dem Unternehmen hat. Aber gleichzeitig auch gegenüber der Gesellschaft, wobei allerdings das Interesse des Unternehmens, für das man spricht, im Vordergrund steht. Wer in diesem Zusammenhang die Rolle des kritischen Journalismus nicht mehr akzeptiert, der geht auch abstoßend mit der Bevölkerung insgesamt um.“
Was können die Medien dieser Entwicklung entgegensetzen?
„Das, was Medien am besten können – Öffentlichkeit herstellen. Als Gewerkschaft prangern wir solche Fälle konsequent an. Wenn wir den Fehler machen würden, uns allein der Marketinginformationen zu bedienen, ohne sie kritisch einzuordnen, dann hat Journalismus an dieser Stelle keine Zukunft. Auch in der digitalen Welt sind die Journalisten unverändert die Lotsen, auf die sich die Leser verlassen müssen.“
Die sozialen Netzwerke werden vor allem von jüngeren Menschen genutzt, und dort gewinnen Influencer und Blogger zunehmend an Gewicht. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Pressearbeit und Marketing. Sehen Sie da eine Gefahr für die Zukunft?
„Ja sicher. Das diskutieren wir in der Branche sehr intensiv. Zum Beispiel gibt es Diskussionen darüber, ob es für journalistische Produkte, die berufsethische Standards einhalten, eine Art Qualitätssiegel geben soll, das von einer noch zu definierenden unabhängigen Stelle vergeben wird. Es muss für den Leser und die Leserin eindeutig erkennbar sein, wer als Absender hinter der Information steht. Da gibt es aber noch viel zu tun. Wir müssen aber zugleich auch die Medienkompetenz der Mediennutzer stärken, damit der Unterschied zwischen journalistischen und werblichen Inhalten deutlich und auf den ersten Blick erkennbar wird.“
Tun sich die Unternehmen auf Dauer einen Gefallen, wenn sie Informationen nur noch dem Marketing-Gedanken unterwerfen?
„Gewiss nicht. Wenn man versucht, die Öffentlichkeit, vertreten durch den Journalismus, draußen zu halten, kann das auf Dauer nicht gut gehen.“
Das Gespräch führte Walther Wuttke, Geschäftsführer der Autoren-Union Mobilität und Redakteur beim „Auto-Medienportal“. (ampnet/ww)
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