Politik und Autohersteller haben sich in puncto Straßenverkehr auf die Elektromobilität als Lösung für die Klimakrise eingeschworen – zumindest was Europa betrifft. Doch auch zum Ende des Jahrzehnts wird es allein in Deutschland noch um die 30 Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren geben und die Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität hängt nach noch weit hinter dem Bedarf zurück. Walther Wuttke, Geschäftsführer der Autoren-Union Mobilität, sprach mit VDA-Präsidentin Hildegard Müller über ihre Ansichten und Einschätzung des augenblicklichen Wandels in der Automobilindustrie.
In der aktuellen Diskussion um die Elektromobilität sind die geplanten verschärften EU-Abgasvorschriften etwas in den Hintergrund getreten. Sind die Normen ohne Elektrifizierung überhaupt zu erreichen?
„Im Pkw-Bereich ist die Elektromobilität der Treiber der Transformation. Der Weg ist gewählt, jetzt geht es um die konkrete Umsetzung des Beschlossenen. Es geht also nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie – und wie schnell. Bis zum Jahr 2026 investiert die deutsche Autoindustrie 220 Milliarden Euro in den Bereich Forschung und Entwicklung, insbesondere in alternative Antriebe. Hinzu kommen erhebliche Investitionen in den Umbau von Werken. Mit Blick auf die Klimaziele dürfen wir aber auch die jetzt vorhandenen Fahrzeuge nicht außer Acht lassen. Hier setzen wir uns für die synthetischen Kraftstoffe ein, um den Bestand klimaneutral zu betreiben. Denn selbst wenn wir das Ziel von 15 Millionen E-Mobilen bis 2030 erreichen, bleiben mehr als 30 Millionen Fahrzeuge mit konventionellen Antrieben auf deutschen Straßen. E-Fuels sind also unverzichtbar.“
Der deutschen Automobilindustrie wird gerne vorgeworfen, die E-Mobilität verschlafen zu haben. Wie sieht die Bilanz aus Sicht des VDA aus?
„Bereits heute ist Deutschland der drittgrößte Produzent von Elektrofahrzeugen weltweit. Die deutschen Hersteller haben ihre Marktanteile bei Elektrofahrzeugen in allen großen Regionen ausgebaut. Allein in Europa entfällt mehr als die Hälfte aller Elektro-Neuzulassungen auf deutsche Hersteller. Von heute 100 elektrischen Fahrzeugmodellen wird das Angebot deutscher Konzernmarken bereits bis zum Jahr 2023 um weitere 50 Prozent auf dann 150 Modelle anwachsen. Dann ist das Angebot in der ganzen Breite vom Kleinwagen bis zum Familienauto komplett. Die Industrie demonstriert mit massiven Investitionen ihre Entschlossenheit und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit, baut die Werke um und geht international voran.“
Trotz der Anstrengungen herrscht in Teilen der Politik, vor allem bei zahlreichen Kommunen ein autofeindliches Klima, und wird das Fahrrad zum Gefährt der Zukunft befördert, um den Klimawandel zu stoppen?
„Wir alle müssen uns aus unseren persönlichen Komfortzonen lösen und einen Blick auf die Lebensrealitäten der Menschen richten. Wir müssen weg vom Dogmatismus, hin zu offener konstruktiver gemeinsamer Lösungsfindung. Wie ich am Anfang sagte – es geht nicht mehr um ob, sondern um wie. Die Menschen in gut vernetzten Innenstädten haben eine andere Lebenssituation als die Menschen auf dem Land, wo es nur einen eingeschränkten öffentlichen Verkehr gibt. Die Diskussion über die zukünftige Verkehrspolitik ist längst zu einer Mobilitätsdiskussion geworden, und da leisten wir unseren Beitrag, indem wir klimaneutrale Fahrzeuge entwickeln und Vorschläge machen, wie sich die verschiedenen Verkehrsträger effektiv miteinander vernetzen lassen. Das haben wir auch auf der IAA Mobility in München eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Für den Transport Bereich werden wir es in diesem September in Hannover ebenso darlegen. Das Wichtigste ist aber, dass wir die Menschen in diesen Zeiten mit ihren Bedenken ernst nehmen. Die Transformation geht nur mit den Menschen.“
Beim Übergang zu einer elektrifizierten Mobilität konzentriert sich die Industrie, nicht nur in Deutschland, ausschließlich auf batterieelektrische Fahrzeuge. Sollte man die Alternativen wie e-Fuels und Wasserstoff nicht stärker berücksichtigen, denn dem Antrieb ist der Treibstoff ja vollkommen gleichgültig?
„Die europäische Rahmengesetzgebung zeichnet den Weg vor, den auch wir aus Effizienzgründen einschlagen. Die Automobilhersteller können zudem nicht drei oder vier verschiedene Technologien gleichzeitig entwickeln. Der Weg in die Elektromobilität fordert ein großes finanzielles Engagement. Genauso gilt: Europa und Deutschland dürfen keine Technologie ausschließen, die weltweit gebraucht wird, um die Klimaziele im Straßenverkehr zu erreichen. Die Brennstoffzelle setzen deutsche Hersteller bereits bei Nutzfahrzeugen ein, da entsteht auch ein Wettbewerb um die besten Lösungen. Und gerade auch im Nutzfahrzeugbereich werden weltweit noch länger Verbrennertechnologien zum Einsatz kommen. Umso wichtiger ist es daher, bereits jetzt die Weichen zu stellen hin zu einer hundertprozentigen Nutzung klimaneutraler Kraftstoffe im Verkehr. E-Fuels spielen bei weltweit ca. 1,5 Milliarden vorhandenen Fahrzeugen eine entscheidende Rolle. Um CO2-Neutralität im Straßenverkehr zu erreichen, sollten ideologische Barrieren abgebaut werden: Wir brauchen viel ambitioniertere Quoten für synthetische Kraftstoffe.“
Die Ampelkoalition hat sich das ambitionierte Ziel von 15 Millionen E-Autos bis 2030 gesetzt. Ist dieses Ziel erreichbar?
„Die Autos in großer Menge zu bauen ist voraussichtlich nicht das Problem. Die Frage ist vielmehr, ob die Bürgerinnen und Bürger sie auch annehmen. Das Vertrauen der Verbraucher macht sich nicht nur an der Frage fest, ob es ein gutes Angebot gibt, sondern hängt vor allem auch davon ab – das zeigen alle Umfragen – ob es eine flächendeckende Ladeinfrastruktur gibt. Hier hängt Deutschland seinen Zielen massiv hinterher, das Tempo des Ausbaus muss sich versechsfachen. Wir appellieren an die Bundesregierung baldmöglichst einen Ladegipfel mit allen Beteiligten zu realisieren und haben selbst einen Masterplan für die Ladeinfrastruktur entworfen.“
Könnten Sie sich das norwegische Modell vorstellen, wo Wohnungsbauunternehmen bei Neubauten verpflichtet sind, ausreichend viele Lademöglichkeiten zu schaffen?
„In Deutschland gibt es ein Gesetz zur Mindestausstattung von Ladeinfrastruktur. Dieses ist aus unserer Sicht allerdings nicht ambitioniert genug und sollte im Rahmen der anstehenden Novellierung an den stark steigenden Hochlauf der Elektromobilität hinsichtlich Anzahl und Umsetzungstermin angepasst werden. Dabei ist aber insbesondere auch die Energiewirtschaft gefordert. Es muss eine Verpflichtung her, ausreichende Netzkapazitäten zu schaffen. Gleichzeitig müssen das Laden und die Abrechnung transparenter und einfacher werden. Dafür setzen wir uns ein. Und wir müssen realistisch sein: Deutschland wird Erneuerbare Energie importieren müssen, um seinen wachsenden Bedarf zu decken. Dafür brauchen wir durch die Politik eine engagierte Energieaußenpolitik und neue Energiepartnerschaften. Die Märkte dafür werden weltweit aktuell noch weitgehend ohne uns verteilt. Hier muss Deutschland, muss Europa jetzt schnell agieren. Und ganz generell braucht es ein Umdenken bei Planungs- und Genehmigungsverfahren, wenn unser Standort wettbewerbsfähig bleiben soll. Wir müssen viel schneller, digitaler und agiler werden, um international die Standards zu setzen.“
Wird die E-Mobilität Arbeitsplätze kosten, oder wird sie am Ende neue Jobs schaffen?
„Die Hälfte der Arbeitsplätze in der Zuliefererindustrie hängen am Verbrennungsmotor. Natürlich gibt es auch neue Arbeitsplätze, die jetzt entstehen, genauso Berufsbilder. Ob diese Jobs in Deutschland entstehen werden, hängt davon ab, ob die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzt. Deutschland hat die ambitioniertesten Klimaziele – deswegen braucht es jetzt auch bessere Standortbedingungen. Insgesamt gehen wir realistisch von negativen Arbeitsplatzeffekten aus. Umso wichtiger ist es, für die betroffenen Menschen neue Perspektiven zu schaffen. Nochmals: Die Transformation geht nur mit den Menschen, die soziale Ausgestaltung ist entscheidend.“
Aktuell erlebt die Industrie große Schwierigkeiten mit gestörten Lieferketten und was es bedeutet, wenn man von einem Energielieferanten abhängig ist? In der Elektromobilität ist die Industrie stark von asiatischen Lieferanten abhängig. Sollte man nicht umdenken und eine europäische Batterieproduktion aufbauen?
„Europa muss eine Mischung aus Eigenständigkeit und Unabhängigkeit sowie einer weitergefassten Wertschöpfung etablieren. Wir müssen bestimmte neuralgische Produktionen in Europa haben. Dazu gehören Batterien genauso wie Halbleiter. Das ist übrigens kein Votum gegen die Globalisierung. Im Gegenteil. Ich bin ein Fan der Globalisierung und den verteilten Rollen der Produktions- und Absatzmärkte. Handels- und Investitionsabkommen sind nicht nur ein Beitrag für Wachstum und Wohlstand, sondern unterstützen auch die gemeinsamen Bemühungen für Klimaschutz, soziale Standards und Menschenrechte.“
Der Erfolg der Elektromobilität in Deutschland wird durch die Subventionen erkauft. Wie lange sollen diese Subventionen noch gezahlt werden?
„Je mehr E-Modelle gebaut werden, desto günstiger werden sie im Vergleich zum Verbrenner. Das Elektroauto wird zum Massenprodukt. Mit dem Massenmarkt kommen weitere Technologiesprünge und Skaleneffekte, so dass die Kosten für ein Elektroauto sicher weiter sinken werden – sie werden dann niedriger sein als beim Verbrenner – und damit können dann auch die Fördermaßnahmen schrittweise sinken. Übrigens: 15 Millionen E-Mobile bis 2030 bedeutet, dass von diesem Jahr an jedes zweite verkaufte Auto elektrifiziert sein muss. Das ist schon ambitioniert. Jetzt ist der Staat gefordert, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Ziele möglich zu machen. Dazu gehört übrigens auch schon jetzt der Aufbau einer digitalen Infrastruktur, wenn wir zum Beispiel an das autonome Fahren denken.“
Viele Kunden werden möglicherweise demnächst Probleme erleben, wenn ihr Fahrzeug wegen der gestörten Lieferketten verspätet ausgeliefert und sich die Förderung unter Umständen im kommenden Jahr verändern wird. Das betrifft vor allem Käufer, die sich eine Plug-in-Hybrid bestellt haben. Sollte dann nicht der Bestelltermin für die Förderung entscheidend sein und nicht die Auslieferung?
„Ich erwarte von der Politik, dass sie auf diese Situation reagiert. Kaufentscheidung und Umweltbonus gehören zusammen, da darf es bei den Käufern keine Zweifel geben: Änderungen der Förderrichtlinie beim Umweltbonus oder Verzug bei den Lieferzeiten dürfen aufgrund der aktuell schwierigen Situation in Folge des Krieges in der Ukraine nicht zum Risiko für die Käuferinnen und Käufer werden. Es muss eine Regelung gefunden werden, die das Risiko vom Verbraucher nimmt und absolute Planungssicherheit garantiert.“
Zum Schluss eine persönliche Frage. Was bedeutet das Auto für Sie?
„Freiheit – mit Verantwortung. Mit dem Auto kann ich mein Leben so organisieren wie es brauche. Ich bin aber auch mit dem Fahrrad, der Bahn und dem Flugzeug und natürlich zu Fuß unterwegs.“ (Walther Wuttke, cen)
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