Die scheinbar endlose Geschichte um den Diesel-Skandal wird die deutschen Gerichte weiter beschäftigen. In einem neuen Grundsatzurteil entschied der Bundesgerichtshof, dass Diesel-Kunden, in deren Fahrzeuge ein so genanntes Thermofenster eingebaut ist, Schadenersatz von den Herstellern verlangen können. Der BGH ändert damit nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom März seine bisherige Rechtsprechung.
Die Richter am höchsten europäischen Gericht in Luxemburg hatten im Frühjahr entschieden, dass bereits fahrlässiges Handeln durch die Hersteller einen Anspruch auf Schadenersatz begründen kann. Bisher hatte der BGH geurteilt, dass ausschließlich eine Täuschung des Kunden durch bewusstes sittenwidriges Handeln Grundlage für eine finanzielle Entschädigung sein könne. Aktuell warten nach dem Luxemburger Urteil rund 2000 Klagen beim BGH auf eine Entscheidung.
Allerdings haben die Karlsruher Richter erhebliche Hürden für die Kläger aufgebaut, denn, so das Urteil, „das Vorhandensein der Abschalteinrichtung als solcher muss im Prozess der Käufer darlegen und beweisen“. Der Bundesgerichtshof stellt aber auch fest, „dass der Käufer eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Unionsrechts versehen ist, stets einen Schaden erleidet, weil aufgrund der drohenden Betriebsbeschränkung oder Betriebsuntersagung die Verfügbarkeit des Fahrzeugs in Frage steht“.
Zugunsten der klagenden Käufer stellen die Richter fest, dass sie das Auto wahrscheinlich nicht erworben hätte, wenn sie von der illegalen Einrichtung gewusst hätten. Als „kleinen" Schadenersatz billigen sie fünf bis 15 Prozent des gezahlten Kaufpreises zu. Die genaue Höhe müssen allerdings die Gerichte festlegen, an die die einzelnen Verfahren zurückverwiesen werden. Auf den dort geschätzten Betrag müssen sich die Käufer außerdem Vorteile anrechnen lassen.
Das Verlangen der Kläger auf „großen Schadenersatz“, nämlich Rücknahme und Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzung - wird von den Karlsruher Richtern, die mit ihrer Entscheidung stellvertretend drei Klagen gegen Audi, Mercedes-Benz und Volkswagen behandelten, grundsätzlich abgewiesen.
Auf die Gerichte kommt Arbeit zu: Wenn der Tatrichter, so das BGH-Urteil, „das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung feststellt, muss der Fahrzeughersteller darlegen und beweisen, dass er bei der Ausgabe der Übereinstimmungsbescheinigung weder vorsätzlich gehandelt noch fahrlässig verkannt hat, dass das Kraftfahrzeug den unionsrechtlichen Vorgaben nicht entspricht“. Nur wenn sich der Hersteller von „jedem Verschulden entlasten“ kann, entfällt die Haftung und die Verpflichtung zu einer Entschädigung.
Die vieldiskutierten Thermofenster regeln in Verbrennungsmotoren bei unterschiedlichen Temperaturverhältnissen die Abgasbehandlung. Bei Ottomotoren waren sie explizit geregelt und erlaubt, beim Diesel hatte der Gesetzgeber auf eine Regelung verzichtet. Experten weisen darauf hin, dass sie für die Betriebssicherheit unerlässlich waren und auch heutige Nachrüstlösungen für ältere Autos nicht auf entsprechende temperaturabhängige Regelungen verzichten können. Autohersteller verweisen zudem auf das Kraftfahrt-Bundesamt als Genehmigungsbehörde. (aum/ww)
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