Mindestens fünf Millionen Autos müsse ein Hersteller im Jahr herstellen, wenn er überleben wolle. Mit dieser Aussage platzte Fiat-Chef Sergio Morchionne seinerzeit in die Diskussion über die Frage, ob die Marke Opel überhaupt zu retten sei. Dann bemühte er sich erfolgreich um den amerikanischen Auto-Pleitier Chrysler. Heute, da Fiat die Mehrheit an Chrysler hält, spricht er sogar von sechs Millionen Fahrzeugen pro Jahr, legt Wert darauf, dass Chrysler seine Schulden beim Staat vorzeitig abgebaut hat und meldet sogar positive US-Ergebnisse. Ein modernes Märchen oder eine Erfolgsgeschichte?
Die Antwort auf die Frage hängt von den Produkten ab; denn beide – Fiat wie Chrysler – wollen Vollsortimenter werden, sind aber in ihren Märkten Spezialisten, Fiat für die kleineren Europäer und Chrysler für die größeren Amerikaner, und die Erwartungen an ein Auto könnten zwischen den Europäern und den Käufer klassischer Ami-Limousinen kaum weiter auseinandergehen. Auf elf Plattformen bauen die beiden Unternehmen heute Autos, zu viele für einen wirtschaftlichen Erfolg – auch das ein Problem. Doch bevor die Zukunft mit einer kleineren Zahl gemeinsamer Plattformen beginnen kann, steht die Gegenwart in der Tür mit den existierenden Modellen der Marken Jeep. Lancia, Fiat, Alfa Romeo und einem noch breiteren Spektrum in den USA, wo es auch weiterhin Chrysler- und Dodge-Mobile geben wird.
Das sind ganz schön viele Bälle, die alle in der Luft gehalten werden wollen. Wie das technisch funktionieren kann, hat Fiat mit seinem Freemont schon vorgeführt. Dessen Leben begann als Dodge Journey. Europäische Multijet-Motoren, eine gründliche Überarbeitung des Fahrwerks sowie ein Innenraum, der vom Ambiente und von der Qualität nach Europa passt, geben dem Fiat-Händler nun einen kostengünstigen, komfortablen Familien-Van in die Hand.
Nun sind Vans in den meisten Fällen eher von zurückhaltender, sachlicher Optik, anders als Limousinen, bei denen Design und Emotionen beim Kauf eher in den Vordergrund rücken. Mit dem C300 auf der Basis der alten E-Klasse von Alt-Partner Daimler hatte Chrysler so eine Limousine im Programm: groß mit großen Rädern, hohen und geraden Schultern, kleinen Fensterflächen und meist in Schwarz, damit die Ähnlichkeit zu den Gangsterautos der 40er Jahre auch nicht übersehen werden konnte.
Dieser Ur-Ami tritt nun seit dem vergangenen Wochenende im Handel unter der Marke Lancia an. Lancia? Waren das nicht immer die etwas anderen Kleinwagen für Leute mit dem Wunsch nach Eleganz? In der Vergangenheit gab es auch große Lancia, sogar einer der ersten europäischen Vans trug das Lancia-Logo. Selbst Rennwagen kennt die Lancia-Historie. Die Marke hält also viel aus. Selbst, wenn nun der C300-Vetter unter dem Namen Lancia Thema den alten Kern der Marke verfehlt, so ist die Markenbekanntheit doch so groß, dass es schneller gehen dürfte, das Image anzupassen als eine neue Marke aufzubauen.
Der Lancia Thema sucht bei aller amerikanischer C300-Architektur die Verbindung zur Marke aufzubauen und zum „Gesicht in der Masse“ zu werden, erklärte Dirk Bott, Brand Country Manager Lancia in Deutschland, jetzt bei dem ersten Kontakt der Presse mit dem Lancia Thema und dem Lancia Voyager mit der Presse in der Nähe von Berlin. Doch zum neuen Gesicht sollen aus Anklänge aus der Lancia-Geschichte gehören. Das Gesicht – so Bott – sei dem des Lancia Thema von 1984 ähnlich, das Heck dem der Lancia Flaminia von 1963. Dennoch kann der Thema den C300 nicht verleugnen, auch wenn sich unter dem Blech viel geändert hat. Neun Zehntel der Struktur sei neu, neue Motoren und Getriebe, neue Lenkung und eine Vollausstattung sollen den Amerikaner im Thema vergessen lassen. Im Großen und Ganzen ist der Thema „neu“, war zu hören und „Größe trifft die Liebe zum Detail“.
Mit 5,07 Metern Länge, 1,90 Meter Breite und einer Höhe von 1,49 Metern und einem Leergewicht von rund 1,9 Tonnen zählt der Thema sicher zu den Großen. Dabei fällt der Innenraum nach Art amerikanischer Limousinen vorn reichlich und hinten eher weniger großzügig aus. Und auch der 462 Liter große Kofferraum zeigt sich nach Art der Amis eher zerklüftet. Ganz unamerikanisch gibt sich dagegen der Innenraum gut gestaltet mit guten Materialien in guter Verarbeitung.
Den Thema gibt es in drei Ausführungen: Gold, Platinum und Executive. Drei Motoren stehen zur Wahl: Zwei Diesel aus dem Hause Fiat, V6 Motoren mit drei bzw 3,6 Liter Hubraum und 140 kW / 190 PS bzw. 176 kW / 239 PS. Der dritte Motor, ein 3,6 Liter V6 Pentastar mit Chrysler-Geschichte leistet 210 kW / 286 PS. Die Diesel sind jeweils mit einer Fünf-Gang-Automatik kombiniert, beim Benziner kommt der Acht-Gang-Automat von ZF zum Einsatz.
Mit einem solchen Thema in der Executive-Ausstattung sammelten wir jetzt unsere ersten Erfahrungen. 20-Zoll-Räder, lederbezogene Armaturen, Fernlichtassistent, adaptive Geschwindigkeitsregelanlage, Navigation, Soundsystem und alles mehr, was bei den anderen Versionen nur über Aufpreis zu erhalten ist, steckt beim Executive schon drin – zum Presi von 50 900 Euro, einerlei ob mit dem Benziner oder dem großen Diesel. Die Gold-Version mit dem kleinen Diesel kostet ab 41 400 Euro, die Platin-Version ab 43 900 Euro.
Das Benehmen unseres Executive entsprach seiner Typbezeichnung: In seiner Ruhe liegt die Kraft. Die Motorgeräusche wie die Fahrgeräusche blieben im Komfortbereich; der Motor bewegt den Thema souverän, dank seines maximalen Drehmoments von 340 Newtonmetern (Nm) und mit seinem Acht-Gang-Automaten. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h schafft der Thema in 7,7 Sekunden und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 240 km/h. Als Durchschnittsverbrauch nach EU-Norm gibt Lancia 9,7 Liter für 100 km an, was einer Kohlendioxidemission von 227 Gramm pro Kilometer entspricht.
Die Fiat-/Lancia-Leute haben dem Thema europäische Manieren beigebracht. Er fährt immer noch komfortabel, aber nicht weich. Der Wendekreis von 11.5 Metern passt auch ins europäische Umfeld. In der Summe kann man Lancia attestieren, dass das neue geerbte Flaggschiff gute Voraussetzungen mitbringt.
Beim zweiten Neuen, dem Lancia Voyager, haben die Ingenieure weniger tief in die Technik eingegriffen. Zu einem Familienvan passt die amerikanische Auslegung eben eher. Als Benziner steht wieder der Pentastar zur Wahl, als Diesel ein 2,8 Liter-Vierzylinder mit 120 kW / 163 PS und einem maximalen Drehmoment von 360 Nm. Beide Motoren sind mit einer Sechs-Gang-Automatik kombiniert. Angeboten wird nur eine Ausstattungsvariante für 39 990 Euro für den Benziner oder den Diesel.
Zu den besonderen Qualitäten des Voyager zählt seine Variabilität. So lassen sich die Sitze der zweiten und der dritten Sitzreihe mit einfachen Handgriffen so im Boden versenken, dass eine ebene Ladefläche und maximal 3912 Liter Laderaum entstehen. Wenigstens 934 Liter Kofferraum stehen immer zur Verfügung und dazu viele Ablagen. Eine Besonderheit: In der Dachreling sind zwei Querträger enthalten, so dass man jederzeit seinen Gepäckträger dabeihat. Ein weiteres Element der Flexibilität sind die beiden elektrischen Schiebetüren. Der Lancia-Van bietet eine Reihe von Sicherheitssystemen und auch Unterhaltungselektronik für die hinteren Plätze.
Wir fuhren jetzt den Diesel-Voyager mit einem Leergewicht von 2,2 Tonnen, der in 11,9 Sekunden von 0 auf 100 km(h beschleunigt und eine Höchstgeschwindigkeit von 185 km/h erreicht. Sein Durchschnittsverbrauch liegt bei 7,9 Litern auf 100 km (207 g/km CO2). Dabei ließ der Diesel mehr von sich hören als wir erwartet hätten, wo doch für die europäische Version mehr Dämmmaterial verwendet worden ist. Beim Fahren bekennt sich der Voyager eher zu seiner amerikanischen Herkunft als der Thema.
Die beiden großen Lancia heben sich so positiv von ihren amerikanischen Vettern ab, dass man den Amerikanern wünschen möchte, die Chrysler in den USA stehen den Lancia in Europa nicht nach. Die Hausaufgaben haben die Marchionne-Truppen also erledigt. Den Rest entscheidet der Markt. Der muss akzeptieren, dass Lancia auch US-Ausmaße annehmen können und einen amerikanischen Akzent sprechen. (ampnet/Sm)
Daten Lancia Thema 3,6 V6 Executive
Länge x Breite x Höhe (in m): 5,07 x 1,90 x 1,49
Motor: Sechs-Zylinder-Diesel, 3604 ccm
Leistung: 210 kW / 286 bei 6500 U/min
Maximales Drehmoment: 340 Nm bei 4650 U/min
Verbrauch (Schnitt nach EU-Norm): 9,7 Liter/100 km
Kohlendioxidemission: 227 g/km (Euro 5)
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 7,7 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit: 240 km/h
Leergewicht / Zuladung: 1876 kg / 483 kg
Maximale Anhängelast: 1724 kg
Reifen: 245/45R20
Kofferraumvolumen: 462 l
Basispreis: 50 900 Euro
Mehr zum Thema: Lancia Thema , Voyager
Teile diesen Artikel: