Pirelli Cinturato Winter: Downsizing auf Island

Pirelli hat das Downsizing für sich entdeckt. Der italienische Reifenhersteller, bisher eher bekannt als Ausrüster von prestigeträchtigen und Premium-Fahrzeugen mit großen Felgen, bietet sein neuestes Produkt ein bis zwei Klassen tiefer in der Rangliste an. Der Cinturato Winter wurde vor allem für City-Flitzer, Kompakte und urbane SUV entwickelt.

Die fahren in erster Linie Radgrößen von weniger als 18 Zoll, während die Premium- und Sportwagen häufig auf Felgen von 19 Zoll und größer unterwegs sind. Doch auch handliche Allradler, Kompakt- und Familienlimousinen sowie Stadtautos müssen im Winter sicher und spurstabil unterwegs sein, weshalb Pirelli nun ab diesem Herbst ein spezielles Angebot für sie vorsieht. Der Hersteller scheut sich nicht, weit auszuholen, um die Vorteile des Produkts zu preisen. Komfort wie bei einem Sommerreifen, gleichzeitige Geräuschreduktion um sechs Dezibel sollen die Kernwerte des Pneus sein.

Tatsächlich sind die Anforderungen an Autoreifen in den letzten Jahrzehnten immer größer geworden. Ihnen gerecht zu werden, investieren die Gummi-Konzerne enorme Summen in Forschung und Entwicklung. Bei Pirelli waren es zuletzt sechs Prozent des weltweiten Gesamtumsatzes von Winterreifen. Reichte es für einen Autoreifen zunächst noch aus, sicheren Grip und zuverlässige Verzögerung beim Bremsen zu bieten, trat bald der Performance-Aspekt hinzu. Höhere Geschwindigkeiten, Lenkbarkeit und zuverlässige Seitenführung wurden ebenso wichtig. Heute müssen Reifenhersteller bei der Entwicklung neuer Produkte zusätzlich noch Umweltaspekte berücksichtigen, denn das Rad soll weder übermäßige Abrollgeräusche erzeugen, noch einen zu großen Rollwiderstand bieten, der den Verbrauch des Fahrzeugs erhöhen würde.

Mit dem Cinturato Winter sei das gelungen, sagt Pirelli. Gleichsam als Eier legende Wollmilchsau soll der Reifen nicht nur stabilen Grip auf verschneiter Straße, sondern auch noch sicheres Handling bei regennasser Fahrbahn sowie Komfort auf trockener Straße bieten. Als Bonbon sozusagen hat sich die italienische Reifenfirma, die seit 2015 von dem chinesischen Staatskonzern Chem-China kontrolliert wird, noch eine besondere Eigenschaft für den Rundling ausgedacht: Der Reifen kommuniziert mit seinem Besitzer und sagt an, wenn der Verschleiß an der Lauffläche ein kritisches Maß erreicht hat.

Das geht so: Auf einigen Profilblöcken der Lauffläche sind die Worte „NOW SNOW“ eingefräst. Sind sie lesbar, ist der Reifen in vollem Umfang auf verschneitem Untergrund einsatzfähig. Mit zunehmender Abnutzung beginnt ein Buchstabe undeutlich zu werden, bis die Botschaft des Pneus schließlich „NO SNOW“ lautet. Das ist das Signal an den Nutzer des Fahrzeugs, dass er sich nicht mehr als die volle Leistungsfähigkeit des Cinturato Winter auf Schnee-Oberfläche verlassen kann.

Um die Leistungsfähigkeit auf Schnee zu garantieren und gleichzeitig ein optimales Ergebnis für die Ableitung von auf der Fahrbahn stehendem Wasser zu garantieren, folgt die Verteilung der Rillen und Lamellen im Profilmuster einem eigenwilligen Prinzip. Da es im Winter wegen der Fahrbahnbeschaffenheit oft schwierig ist, kurze Bremswege zu erzielen, konzentrierten sich die Entwickler vor allem auf dieses Thema. Herausgekommen ist ein laufrichtungsgebundenes Profilmuster, dessen Lamellen ihre Form je nach Fahrsituation variieren und anpassen können.

Bei Bremssituationen auf verschneiter Fahrbahn verfestigen sich die Lamellen zu kompakten Blöcken, die ihrerseits mehr Verzögerungskräfte auf den Untergrund übertragen können. Kommt es auf Traktion während des Beschleunigens an, öffnen sich dieselben Lamellen, können so mehr Schnee aufnehmen und erhöhen dadurch den Grip. Das pfeilförmige Layout des Profils im Zentrum der Lauffläche dient zur besseren Ableitung von Wasser und beugt laut Hersteller so dem Aquaplaning gezielt vor.

Jedoch können Hoch-Technologie und eine Vielzahl von synthetischen Ausgangsprodukten, die die Verwendung von natürlich Ressourcen wie Kautschuk oder Erdöl bei der Reifenentwicklung auf rund fünf Prozent haben sinken lassen, über ein Dilemma nicht hinweg helfen: Winterreifen sind ein Sommerthema. Die Hersteller sind zwischen Mai und August am aktivsten, denn wenn es Zeit wird, auf die kälteresistenten Pneus umzurüsten, sollten die Kunden bereits Bescheid wissen, was der Markt bietet. Für die öffentlichkeitswirksame Vorstellung eines neuen Produkts müssen also winterliche Verkehrsbedingungen her.

Pirelli fand sie unlängst in Island, wo sich Fachjournalisten mit den Vorzügen der Neukonstruktion vertraut machen durften. Nichts weniger als der Langjökull-Gletscher, zweitgrößte Eisformation ihrer Art auf der Insel im Nordatlantik, gab den Testparcours für die Probefahrten ab. Montiert auf Fahrzeugen wie Audi A4, Mercedes A-Klasse, Alfa Romeo Giulietta und Nissan Qashqai absolvierte der Pirelli Cinturato Runde um Runde auf präparierter Strecke.

Dass die Testobjekte die in sie gesetzten Erwartungen erfüllten, war keine Überraschung. An Spurtreue, Lenk- und Bremsverhalten gibt es nichts zu tadeln, selbst als ungewöhnlich hohe Temperaturen das Gletschereis zu einer Wasserrutsche zu machen drohten. Welchen Erkenntnisgewinn freilich Kunden aus derartigen Inszenierungen ziehen können, ist schwer zu ermessen. Ebenso wie bei den Verbrauchstest für Pkw finden Probefahrten im Eis unter Laborbedingungen statt, das heißt zum Beispiel, teilweise mit abgesenktem Luftdruck. Das vergrößert die Aufstandsfläche und verbessert damit die Laufeigenschaften im Schnee. Würde sich ein Kunde im Alltagsbetrieb dieses Kniffs bedienen, würde er auf trockener Straße höheren Verschleiß an seinen High-Tech-Winterreifen riskieren. (ampnet/afb)