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Vor 75 Jahren: Der Volvo PV36 folgt der Stromlinie

Im Frühjahr 1935 führte Volvo ein besonderes Modell ein: Der PV36 war das erste „Stromlinien“-Fahrzeug der Marke, also bewusst nach areodynamischen Gesichtspunkten gestaltet. Es war zudem das erste neue Volvo-Modell in den 30er-Jahren und ist besser bekannt unter der Bezeichnung Carioca. Oft wird behauptet, der Volvo PV36 sei eine Kopie des Chrysler Airflow gewesen. Doch der Carioca kam nur ein knappes Jahr später auf den Markt. So schnell konnte auch damals kein Fahrzeug serienreif kopiert werden.

Zu Beginn der 30er-Jahre verkaufte Volvo jährlich weniger als 1000 Fahrzeuge. Es handelte sich um konventionelle Modelle, die sich recht ähnlich waren, und über Sechszylinder-Motoren verfügten. Verantwortlich für das zurückhaltende Design der ersten Volvo-Modelle war der Künstler Helmer MasOlle. Die Linienführung des PV36, der vor 75 Jahren eingeführt wurde, stammte hingegen von Ivan Örnberg, einem ebenso eigenwilligen wie vielseitigen Ingenieur. Er war 1931 vom Detroiter Unternehmen Hupp Motor Car Company - dem Hersteller des Hupmobile - zu Volvo gekommen. Ohne Einflussnahme der engagierten Volvo Gründer Assar Gabrielsson und Gustaf Larson realisierte Örnberg den PV36. Im Sommer 1936 verstarb Örnberg überraschend.

In den 30er-Jahren beschäftigten sich zahlreiche progressive Ingenieure mit dem Thema Aerodynamik und mit stromlinienförmigen Fahrzeugen. Dies war zugleich die Zeit der großen Luftschiffe. Hinzu kam eine Zahl früher Lokomotiven, Flugzeuge und Automobil-Prototypen. Doch kein Hersteller wagte eine Serienproduktion, bis die Hupp Motor Car Company und Chrysler nahezu gleichzeitig ein solches Automobil auf den Markt brachten.

Anfang 1934 wurde der Hupmobile Aerodynamic vorgestellt. Er präsentierte sich mit einer pflugähnlichen Stromlinienform von der Windschutzscheibe bis zur Front. Ansonsten zeigte sich das Modell aber recht konventionell. Auch technisch gesehen war der Hupmobile jedoch nicht außergewöhnlich. Im Gegensatz dazu präsentierte sich der Chrysler Airflow extremer und mit einem mutigen Design. Er wurde mit seinem günstigeren Schwestermodell De Soto Airflow im Frühjahr 1934 vorgestellt.

Volvo hatte bereits 1933 ein Stromlinien-Fahrzeug mit der Bezeichnung „Venus Bilo" präsentiert. Doch aus Angst vor der öffentlichen Reaktion wurde ein Privatmann als Verantwortlicher dafür vorgestellt. Es war Gustaf L. M. Ericsson vom gleichnamigen berühmten Telefonunternehmen. Er wurde als Designer und Ideengeber für das Projekt genannt. Der „Venus Bilo" basierte auf dem Chassis des Volvo 655, und die Front ähnelte der des einem Jahr später folgenden Hupmobile Aerodynamic. Die sanfte Form war am Heck abgerundet und beinhaltete das vertikal angebrachte Ersatzrad, das auch als Stoßfänger diente. Die Konstruktion des Fahrzeugs sollte insbesondere einen geringeren Kraftstoffverbrauch ermöglichen. Zudem dienten die Stromlinienform und der verkleidete Unterboden dazu, das Aufwirbeln von Straßenstaub zu verhindern. Das interessante und mutige Fahrzeug kam jedoch nie über den Status eines Prototyps hinaus, und ging in den 50er-Jahren verloren.

Der PV36 war das erste Fahrzeug von Volvo mit einer gepressten Stahlblech-Karosserie. Sie ruhte auf einem separaten Rahmen mit starken Querverstrebungen über einem relativ kurzen Radstand. Sowohl der Hupmobile wie auch der Chrysler boten demgegenüber einen Radstand von mehr als drei Metern, wodurch die Modelle ein schlankes Aussehen erhielten, das gut zum Styling passte. Dagegen erschien die Karosserie des Volvo PV36 aufgrund des Radstandes von 2,90 Metern rund und pummelig und ließ den gewünschten Eindruck sanft fließender und dynamischer Linien vermissen. Der Künstler, der den Volvo PV36 für die Verkaufsbroschüren zeichnete, tat sein Bestes, um dem Modell ein gestrecktes Aussehen zu geben, aber das änderte natürlich nichts am realen Erscheinungsbild.

Technisch gesehen war der Volvo gegenüber dem Hupmobile und dem Chrysler allerdings im Vorteil, wenn das auch von außen leider nicht zu sehen war. So verfügte er über eine Einzelradaufhängung vorne, wodurch der Komfort und das Handling deutlich besser waren. Der Volvo PV36 war mit dem neuesten Sechszylinder-Motor mit 3,6 Litern Hubraum ausgestattet, der rund 80 PS leistete. Die in die Front integrierten Scheinwerfer prägen maßgeblich das Aussehen des PV36 und erinnern tatsächlich an den Chrysler Airflow.

Die vier Türen des Volvo PV36 waren wie beim Hupmobile mit Scharnieren an den B-Säulen befestigt. Im Gegensatz dazu erfolgte die Anbringung beim Chrysler und dem De Soto genau umgekehrt: die vorderen Türen wurden an der A-Säule und die hinteren an der C-Säule befestigt, und das Schließen der Türen erfolgte an der B-Säule. Wie auch der Airflow verfügte der Volvo PV36 über hintere Radabdeckungen mit einem Chromdekor. Das abfallende Heck verfügte über ein geteiltes Fenster und einen eingebauten Kofferraum. Das Ersatzrad war in einem stählernen Gehäuse auf dem Kofferraumdeckel untergebracht. So ähnlich präsentierten sich auch die anderen Stromlinienfahrzeuge. Im Gegensatz zum Volvo konnte der Kofferraum bei ihnen jedoch nicht von außen geöffnet werden.

Die Bezeichnung PV36 unterscheidet sich von der logischen Nummerierung der anderen Volvo Modelle. Sie sollte symbolisieren, dass „das Automobil der Zukunft bereits da ist". Gemeint war damit: der 36 im Jahr 1935. Hätten die Verantwortlichen diese Bezeichnung genauer hinterfragt, wäre ihnen aufgefallen, dass diese Idee schon bald in ihr Gegenteil verkehrt werden konnte. Denn der letzte PV36 wurde erst im September 1938 an die schwedische Botschaft in Teheran verkauft.

Der PV36 kostete bei seiner Einführung 8500 Schwedische Kronen - das waren 1000 Kronen mehr als der De Soto Airflow und 1000 weniger als der exklusivere Chrysler. Damit war der Volvo eindeutig zu teuer für die meisten Kunden. Neben dem hohen Preis wurden zudem potenzielle Interessenten, die sich ein solches Automobil leisten konnten, durch das Design verschreckt. Denn sie verlangten, dass ein Volvo auch wie einer aussah. Die übrigen Modelle des schwedischen Herstellers kosteten zu jener Zeit zwischen 5000 und 6000 Kronen. Und für den Preis des PV36 konnte man sich ebenso luxuriöse Fahrzeuge wie den amerikanischen Packard 120 mit acht Zylindern oder einen deutschen Sechszylinder Wanderer W50 leisten, den „Mini-Horch". So wundert es nicht, dass sich der PV36 nur schleppend verkaufte. Daher wurde der Preis in den folgenden Jahren deutlich gesenkt.

Die gängige Bezeichnung Carioca stammt aus Südamerika. Es ist der Name eines Tanzes, bei dem sich die Partner immer wieder mit der Stirn berühren, und zugleich auch der offizielle Spitzname der Bewohner von Rio. Da Volvo den Export nach Brasilien bereits 1933 startete, kann man vermuten, dass Carioca als Werbung für den brasilianischen Markt gedacht war, und der Name eher mit den Bewohnern von Rio als mit dem Tanz assoziiert werden sollte. Tatsächlich gelangten einige Cariocas auch auf den brasilianischen Markt.

Einer der PV36 wurde von Gustaf Larson gefahren, einem der Volvo-Gründer. Das Fahrzeug befindet sich noch immer in Privatbesitz und ist im Original-Zustand. Zudem kaufte die schwedische Polizei 18 Fahrzeuge für den Streifendienst. Wie aus den Auslieferungsbüchern hervorgeht, handelte es sich bei den meisten Käufern des PV36 um Kunden, die sich ein solch teures Automobil durchaus leisten konnten. Dazu zählten leitende Angestellte, Industrielle, Geschäftsleute und Ärzte.

Im Herbst 1938 wurde der letzte PV36 Carioca verkauft. Abnehmer war die schwedische Botschaft in Teheran. Heute existieren insgesamt weniger als 25 Exemplare des Volvo PV36 in unterschiedlichem Erhaltungszustand, die meisten davon befinden sich in Schweden. (ampnet/jri)

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Volvo PV36.

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