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S-Klasse fährt autonom auf den Spuren von Bertha Benz

Mit dem Forschungsfahrzeug S 500 Intelligent Drive hat Mercedes-Benz als erster Autohersteller jetzt autonomes Fahren im Überland- und Stadtverkehr demonstriert. Die rund 100 Kilometer lange Route von Mannheim nach Pforzheim folgte den Spuren der Pionierin Bertha Benz, die auf dieser Strecke vor genau 125 Jahren die erste automobile Fernfahrt gewagt hatte. Im dichten Verkehr des 21. Jahrhunderts musste die selbstständig fahrende S-Klasse hochkomplexe Situationen mit Ampeln, Kreisverkehren, Fußgängern, Radfahrern und Straßenbahnen autonomen meistern.

Die Besonderheit war, das Mercedes-Benz nicht teure Spezialtechnologie einsetzte, sondern seriennahe Technik wie sie ähnlich bereits in der neuen E- und S-Klasse verfügbar ist, wie etwa dem Staufahrassistenten. Im August 1888 startete Bertha Benz zu ihrer berühmten ersten automobilen Fernfahrt von Mannheim nach Pforzheim. Damit stellte die Frau von Carl Benz die Alltagstauglichkeit des Benz Patent-Motorwagen unter Beweis und bereitete so den Weg für den weltweiten Erfolg des Automobils. 125 Jahre später gelang Mercedes-Benz auf der gleichen Route mit dem S 500 Intelligent ein weiterer Schritt vom selbst bewegten (automobilen) zum selbstständig fahrenden (autonomen) Auto.

„Sicher wäre es deutlich einfacher gewesen, für die autonome Fahrt von Mannheim nach Pforzheim die Autobahn zu nehmen. Aber für uns war es eine besondere Motivation, die autonome Fahrt genau auf dieser Strecke und 125 Jahre nach Bertha Benz zu absolvieren“, betonte Daimler-Vorstandsvorsitzender Dr. Dieter Zetsche. „Autonome Fahrzeuge sind für uns ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum unfallfreien Fahren. Sie werden den Komfort und die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer weiter erhöhen. Denn autonome Fahrzeuge reagieren auch dann, wenn der Fahrer unaufmerksam ist oder etwas übersieht und nehmen ihm unangenehme oder schwierige Fahraufgaben ab“, ergänzte er.

Das Forschungsfahrzeug wurde für das Projekt mit seriennaher Sensorik ausgestattet. Basierend auf einer Weiterentwicklung der bereits heute in der neuen S-Klasse eingesetzten Techniken, haben die Entwickler dem Technologieträger beigebracht zu wissen, wo er ist, was er sieht und wie er selbstständig reagieren soll: Ganz alleine findet das Auto mit seinem hochautomatiserten „Strecken-Pilot“ den Weg durch dichten Stadt- und Überlandverkehr.

„Mit den erfolgreichen Versuchsfahrten auf den Spuren von Bertha Benz haben wir den Beweis erbracht, dass hochautomatisiertes Fahren auch jenseits von abgesperrten Strecken oder vergleichsweise übersichtlichen Situationen möglich ist“, sagte Professor Dr. Thomas Weber, Entwicklungsleiter bei Mercedes-Benz und im Vorstand der Daimler AG verantwortlich für Konzernforschung. „Wir waren fast selbst erstaunt, wie weit wir mit unserer heutigen Sensortechnik schon kommen, aber wir wissen jetzt auch, wie viel Zeit und Mühe es kostet, dem Fahrzeug das richtige Verhalten in einer Vielzahl von Verkehrssituationen beizubringen – denn jede Fahrt auf der Strecke war anders“, so Weber weiter. Diese Erfahrungen finden jetzt Eingang in die Planung künftiger Fahrzeuggenerationen.

Die wesentlichen Vorteile des autonomen Fahrens: sicher und entspannter ans Ziel kommen. Vor allem bei Routinefahrten, im Stau, auf vollen Autobahnen mit Geschwindigkeitsbegrenzung und auf unfallträchtigen Strecken kann ein autonomes Fahrzeug den Fahrer unterstützen und lästige Routineaufgaben übernehmen. Das Fahrerlebnis und der Spaß, selbst zu fahren sollen dabei aber nicht verloren gehen. „Unsere autonomen Systeme machen dem Fahrer ein Angebot zur Unterstützung und Entlastung. Wer selbst fahren möchte, kann das auch in Zukunft jederzeit tun“, betont Daimler-Entwicklungsvorstand Weber. „Fest steht aber auch, dass autonomes Fahren nicht von heute auf morgen kommt, sondern Schritt für Schritt Realität wird. Mit dieser Fahrt haben wir jetzt einen weiteren wichtigen Schritt in die Zukunft gemacht.“

Man unterscheidet zwischen drei Stufen des autonomen Fahrens, die von einem Arbeitskreis des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zusammen mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) definiert wurden: teil-, hoch- und vollautomatisiert.

Beim teilautomatisierten Fahren muss der Fahrer die automatischen Funktionen ständig überwachen und darf keiner fahrfremden Tätigkeit nachgehen. Beim hochautomatisierten Fahren muss der Fahrer das System nicht mehr dauerhaft überwachen. Dann sind fahrfremde Tätigkeiten in begrenztem Umfang denkbar. Das System erkennt seine Grenzen selbst und gibt die Fahraufgabe rechtzeitig und mit genügend Zeitreserve zurück an den Fahrer.
Beim vollautomatisierten Fahren kann das System alle Situationen autonom bewältigen; der Fahrer muss das System nicht überwachen und darf fahrfremden Tätigkeiten nachgehen. Ebenso ist in dieser Stufe fahrerloses Fahren möglich.

Zu den Systemen für teilautomatisiertes Fahren gehören schon heute bei Mercedes-Benz die Abstandsregelautomatik Distronic Plus mit Lenk-Assistent und Stop&Go-Pilot lenkt das Fahrzeug weitgehend automatisch durch den Stau. Damit bildet dieses System den Kern von „Mercedes-Benz Intelligent Drive“.

Von der Öffentlichkeit unbemerkt, aber mit den entsprechenden Ausnahmegenehmigungen der Behörden und Zertifikaten des TÜV versehen, startete die Erprobung des „Strecken-Piloten“ auf der Bertha-Benz-Route Anfang 2012 mit insgesamt drei Technologieträgern auf Basis der E- und S-Klasse, die mit allen erhältlichen aktiven und passiven Sicherheitssystemen ausgestattet sind. In diesen Versuchsträgern wurden nur solche Sensortechnologien verwendet, die ähnlich schon heute in Mercedes-Benz Serienfahrzeugen zur Anwendung kommen. Denn diese Technologien sind bereits alltagstauglich und bezahlbar und machen damit einen möglichen Transfer in spätere Serienmodelle leichter. Weiterentwickelt wurden allerdings Anzahl und Anordnung der Sensoren, um eine umfassende Abdeckung der Fahrzeugumgebung in alle Richtungen zu erreichen und zusätzliche Informationen über das Fahrzeugumfeld zu erhalten.

Die Basisbreite (der Augenabstand) der Stereokamera in der S-Klasse wurde vergrößert, um Objekte in größerer Entfernung zusätzlich zum Radar auch mittels Kamera zu erkennen.
Zwei zusätzliche Fernbereichsradare wurden in den seitlichen vorderen Stoßfängern untergebracht, um in Kreuzungsbereichen von links oder rechts kommende Fahrzeuge frühzeitig zu erkennen. Ein weiterer Fernbereichsradar beobachtet das Verkehrsgeschehen nach hinten. Vier Nahbereichsradare in den Fahrzeugecken verbessern die Erkennung der näheren Umgebung und anderer Verkehrsteilnehmer. Zur Beobachtung von Ampeln dient eine Farbkamera hinter der Windschutzscheibe mit einem Öffnungswinkel von 90 Grad.
Eine weitere Kamera ist nach hinten durch die Heckscheibe gerichtet, um das Fahrzeug anhand von bekannten Merkmalen in der Umgebung zu lokalisieren. Diese Umgebungsmerkmale wurden zuvor in einer digitalen Karte erfasst: Der Vergleich des gerade Gesehenen mit dem dort Gespeicherten ermöglicht es dem Fahrzeug, sich deutlich genauer zu lokalisieren, als es allein mit GPS möglich wäre.

Für die Fahrt auf der Bertha-Benz-Route hat Mercedes-Benz in Zusammenarbeit mit dem mit dem Institut für Mess- und Regelungstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Here, einem Geschäftsbereich von Nokia, der auf die Herstellung von digitalen Karten und ortsbezogenen Diensten spezialisiert ist, eine dreidimensionale digitale Karte der Strecke von Mannheim nach Pforzheim erstellt, die speziell auf die Anforderungen eines autonomen Fahrzeugs angepasst ist. In dieser Karte, die besonders genaus sein muss, sind neben Straßenverlauf, Anzahl und Richtung der Fahrspuren sowie Verkehrsschildern auch Positionen von Ampeln erfasst.

Der Strecken-Pilot im Forschungsfahrzeug muss vielerlei Herausforderungen auf Landstraßen und im Stadtverkehr meistern: Kreisverkehre, Engstellen in Ortsdurchfahrten mit entgegenkommenden Fahrzeugen, Radfahrer auf der Straße, Abbiegemanöver, halb auf der Fahrbahn oder in zweiter Reihe parkende Fahrzeuge, rote Ampeln, „Rechts vor Links“-Vorfahrten, kreuzende Fußgänger und Straßenbahnen.

Überwacht wurde die autonom fahrende S-Klasse im Rahmen der Erprobung dabei von speziell geschulten Sicherheitsfahrern, die im Fall einer Fehlentscheidung des Systems sofort eingreifen und die Fahrzeugführung übernehmen konnten. Da der reale Verkehr nicht vorhersehbar ist und damit keine Fahrsituation einer früheren glich, wurde jede notwendige Übernahme durch den Sicherheitsfahrer dokumentiert. Diese Informationen wurden dann vom Entwicklungsteam ausgewertet und damit der Manöverkatalog des Fahrzeugs entsprechend erweitert. Auf diese Weise kam der Technologieträger im Zuge seiner fortschreitenden Entwicklung mit immer mehr Verkehrssituationen zurecht.

Es hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass das Erkennen von Ampelphasen in verschiedenen Beleuchtungssituationen und die richtige Zuordnung einzelner Ampeln zu den Fahrspuren eine große Herausforderung darstellt. Der Anspruch ist es aber nicht, dass das Fahrzeug alle Situationen alleine auflösen muss. Wenn zum Beispiel ein Müllwagen die Straße blockiert, ist es gar nicht gewollt, dass das Fahrzeug ihn automatisch überholt, zumal dann auch die Sicht der Fahrzeugsensorik eingeschränkt ist. In diesen Situationen übergibt das Fahrzeug die Kontrolle zurück an den Fahrer.

Für das Unternehmen liegt der Erfolg der Versuchsfahrtautonomen Fahrten vor allem darin, herausgefunden zu haben, welchen Themen sich das Entwicklungsteam in Zukunft verstärkt widmen muss. Eine weitere Herausforderung ist die richtige Lokalisierung des Fahrzeugs auf der Straße, etwa um festzulegen, wo genau ein Fahrzeug an einer Einmündung anhalten soll, um den Querverkehr im Blick zu haben.

Besonders herausfordernd sind für autonome Fahrzeuge die Abstimmung und Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern. Sich mit einem entgegenkommenden Fahrzeug darauf zu einigen, welches als erstes eine Engstelle passieren soll, erfordert ein Hochmaß an Situationsanalyse. „Wo ein menschlicher Fahrer schon einmal beherzt in die Lücke vorstoßen würde, verhält sich unser autonomes Fahrzeug eher zurückhaltend“, so Herrtwich. „Das führt dann schon manchmal zu komischen Situationen, etwa wenn das Fahrzeug an einem Fußgängerüberweg anhält, uns die Passanten aber signalisieren zu fahren – und unser Auto stoisch weiter wartet, weil wir bei der Programmierung nicht mit soviel Höflichkeit gerechnet haben.“

Damit die Entwickler die Entscheidungen des autonomen Forschungsfahrzeugs in den einzelnen Fahrsituationen nachvollziehen können, zeichnet das Auto alle ermittelten Sensordaten auf. Dabei entstehen allein aus den Bildern der Stereokamera pro Stunde 300 Gigabyte an Daten. Auch im späteren Serienbetrieb wird man immer einen Teil dieser Daten speichern. Denn sollte ein autonomes Fahrzeug einmal in einen Unfall verwickelt werden, kann man anhand dieser Informationen nachvollziehen, wie es dazu kam.

Bis das Ziel des hoch- und vollautonomen Fahrens erreicht ist, müssen nicht nur technische Entwicklungshürden genommen werden. Vieles, was jetzt schon technisch machbar wäre, ist heute rechtlich noch nicht überall erlaubt. So gestattet die internationale UN/ECE-Regelung R 79 (Lenkanlagen) nur korrigierende Lenkeingriffe, aber kein automatisches Lenken bei Geschwindigkeiten über 10 km/h. Die für das EU-Recht relevante Wiener Straßenverkehrskonvention schreibt vor, dass der Fahrer sein Fahrzeug dauerhaft kontrollieren muss und jederzeit eingreifen kann. Da zum Zeitpunkt der Verabschiedung dieser Konvention an autonome Fahrzeuge noch nicht zu denken war, ist eine Präzisierung erforderlich, was dies im hoch- oder vollautomatisierten Betrieb von Fahrzeugen bedeutet. In einigen US-Bundesstaaten wie Nevada ist eine derartige Präzisierung zumindest für den Testbetrieb autonomer Fahrzeuge bereits erfolgt.

Eine weitere Voraussetzung für den Übergang von teil- zu hochautomatisierten Systemen ist ihre gesellschaftliche Akzeptanz. Ähnlich wie damals bei der Erfindung des Automobils muss das Vertrauen in die technischen Fähigkeiten der Systeme erst noch wachsen. Dies bestätigt auch eine aktuelle Studie des Customer Research Center von Mercedes-Benz mit rund 100 Probanden im Alter von 18 bis 60 Jahren. Die anfängliche Skepsis der Studienteilnehmer löste sich nach einer autonomen Fahrt im Fahrsimulator fast vollständig auf. Selbst bei Personen, die anfangs ablehnend eingestellt waren, zeigte sich nach der Simulationsfahrt eine signifikante Akzeptanzsteigerung. (ampnet/jri)

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Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive.

Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Daimler

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Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive.

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Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive.

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Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive: Fahrzeuglokalisierung und Berechnung des Fahrwerks.

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Foto: Auto-Medienportal.Net/Daimler

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Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive: autonomes Abbiegen.

Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive: autonomes Abbiegen.

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Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive: Autonome Durchfahrt von Kreisverkehren.

Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive: Autonome Durchfahrt von Kreisverkehren.

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Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive: erkennen von Hindernissen und reagieren.

Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive: erkennen von Hindernissen und reagieren.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Daimler

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Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive: Ampelerkennung.

Mercedes-Benz S 500 Intelligent Drive: Ampelerkennung.

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