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Rudi Mentär: "Es gibt nichts, was es nicht gibt"

In den siebziger Jahren - lang, lang ist's her - legte ich mir meinen ersten und letzten Käfer zu. Frühlingsgrün stand er vor der Tür und schuf einen schon fast unanständigen Kontrast zum Fachwerk meines Wohnquartiers. Ich hatte meine helle Freude an den Nachbarn, die mir Geschmacklosigkeit vorwarfen.

Mein frühlingsgrüner Käfer sollte in erster Linie meiner Frau für Familienzwecke dienen: Besorgungen aller Art erledigen, Kinder frühlingsgrün motiviert zur Schule oder zum Kindergarten zu bringen und derlei mehr. Einige Tage lang ging das gut, bis ein sommerlicher Platzregen niederging, als meine Frau gerade am Steuer saß.

Nach getanen Berufspflichten kam ich am Abend heim und wurde alsbald auf die Loggia gebeten. Dort hing zum Trocknen auf der Leine, was meine Frau an der unteren Körperhälfte getragen hatte. "Unser Käfer ist undicht", stellte sie in vorwurfsvollem Ton fest. Frauen nehmen persönlich, was ein Auto ihnen antut - oder derjenige, der es ihnen gekauft hat.

Unser Käfer blieb wochenlang undicht. Dagegen half nur, ihn stehen zu lassen. Das honorierte er auch bei Regen mit Trockenheit im Innern. Sobald aber bei Regenwetter eine gewisse Geschwindigkeit gefahren wurde, tropfte es Fahrerin oder Fahrer je nach Kurvenlage entweder aufs rechte oder aufs linke Knie und bei Geradeausfahrt genau dazwischen.

Der Händler behauptete, so etwas gebe es nicht, behielt den nassen Käfer, ließ ihn austrocknen, stellte angeblich eine Reihe von Befeuchtungsversuchen an und kam nach einer Woche zu dem Ergebnis, das Auto bleibe trocken. Das Ergebnis kann nur mit stationären Befeuchtungen erreicht worden sein. Meine Frau verweigerte die weitere Benutzung des frühlingsgrünen Käfers und verbannte mich in den Käfer - mit dem Ergebnis, dass ich nach der nächsten Regenfahrt mit patschnassem Schuhwerk und triefenden Hosenbeinen beim Opel-Händler vor-fuhr.

Der Chef ließ sich gern zur Käfer-Besichtigung bitten, grinste und dachte ein Weil-chen nach. Schließlich bat er mich in seine Werkstatt, die gerade zum Feierabend rüstete, und wies auf einen blitzblanken, in Gelb und Schwarz glänzenden Ascona mit beigefarbenen Polstern, ausgerüstet mit einem Zweilitermotor von 90 PS.

"Der hat bei uns ein Vierteljahr in der Ausstellungshalle gestanden und war dann ein Vierteljahr Vorführwagen", erklärte mir der Händler. "Jetzt muss er weg. Nehmen Sie ihn doch mal mit. Wenn er Ihnen zusagt, können Sie ihn behalten. Schlicht um schlicht". Ich bekam eine wasserdichte Folie über den Fahrersitz gezogen, eine zusätzliche Gummimatte in den Fußraum gelegt, fuhr heim und hängte meine Hose zum Trocknen auf die Loggia.

"Der Opel wäre schon praktischer als der Käfer", fand meine Frau tags darauf nach einer Probefahrt, immerhin hat er einen ordentlichen Kofferraum und vier Türen." Mir war's recht trotz der zu erwartenden höheren Unterhaltskosten. Die Angst vor nassen Hosen war stärker.
"Wie meinten Sie das mit dem 'schlicht um schlicht'?" fragte ich tags darauf den Opel-Händler. "Ich nehme an, Sie wollen nicht gern was zuzahlen," meinte der Händler sehr richtig, "also reden wir nicht über Geld."

Aus meiner Nachbarschaft nahm ich bald darauf die unter dem Scheibenwischer abgelegte Meinungsäußerung der Nachbarn zur Kenntnis, die gelbschwarze Wespe passe ebensowenig in die Ausstrahlung des Wohnquartiers wie der frühlingsgrüne Käfer hineingepasst habe. Später erfuhr ich, dass ein Türke den Frühlingsgrünen als Schnäppchen erworben hatte.

Die Opel-Wespe fügte sich problemlos ins Familienleben ein, bis ich den Ascona eines Tages für eine Fernfahrt zweckentfremdete. Zu meiner Verwunderung zeigte die Tankuhr noch immer "voll" an, als der Tank nach meiner Schätzung ziemlich leer sein musste. An der nächsten Autobahntankstelle fasste der Tank trotzdem nicht mehr als zweieinhalb Liter - und die Tankuhr zeigte nach wie vor "voll" an.

Ich fuhr den Wagen auf den Parkplatz und sah mir den Tank an. Beim Ascona war das ohne lästige Leibesübungen möglich, denn der Tank war senkrecht hinter der Rücksitzlehne installiert. Zu meiner Verwunderung fand sich hier hinter lose bau-melndem Verkleidungsstoff nur noch das, was einmal der Tank gewesen war: Zu-sammengedrücktes, leicht welliges Blech mit einem Reststauraum, der dem Fas-sungsvermögen einer geblümten Familienkaffeekanne der Vorkriegszeit entsprach.

Die Erklärung lag auf der Hand: Der Motor hatte bei eiliger Autobahnfahrt mehr Sprit verbraucht als die Tankbelüftung an "Luftnachschub" zwecks Vermeidung eines Vakuums ermöglichte. Für sicheres weiteres Fortkommen blieb mir nichts weiter übrig als an der Tankstelle einen 20-Liter-Kanister plus Trichter zu kaufen und den Kanister zu füllen. Während der restlichen Reise war Nachtanken auf fast jedem Autobahnparkplatz angesagt.

Mein freundlicher Opel-Händler war entsetzt beim Anblick des Tanks. Sein Werk-stattmeister aber konnte sich erinnern, in den Instruktionen aus Rüsselsheim mal gelesen zu haben, dass genau dieser Schaden in wenigen Fällen aufgetreten sei und in Fahrzeugen bis zu einem gewissen Produktionsdatum auftreten könne. Der Händler motorisierte mich übergangsweise mit einem Opel-Rekord und versprach, sofort einen neuen Tank für meinen Ascona kommen zu lassen, in den er höchstpersönlich ein ausreichendes Belüftungsloch stanzen werde.

Etliche Jahre später kam ich zu der Erkenntnis, dass in ein neues Auto nicht nur unerwünschtes Wasser hineintropfen oder zu wenig dringend benötigte Luft in den Tank dringen kann, sondern auch Platz für wahrhaft mystische Erscheinungen ist. Das war Anfang der 1990er Jahre und hing zusammen mit einer anderen Erkenntnis - nämlich der meines Sohnes, er habe seine gesamte Studentenzeit und dazu 15 Monate Altenhilfe beim DRK in einem einst weiß gewesenen Peugeot 204 Diesel verbracht und damit ein Maximum an Leidensfähigkeit bewiesen. In den Beruf wolle er mit einem roten Peugeot 306 mit gehobener Ausstattung starten.

Mein Sohn bekam den Peugeot. Zu der "gehobenen Ausstattung" gehörte auch ein ABS. So stand es jedenfalls im Kraftfahrzeugbrief. Und es dauerte nicht lange, bis das ABS gebraucht wurde, aber nicht gebraucht werden konnte, weil der Wagen zwar mit ABS gekauft und bezahlt worden war, aber nicht mit ABS ausgerüstet war.
Die als Folge eingetretenen leichten Schäden an zwei Fahrzeugen waren nicht weltbewegend, das Erstaunen umso größer. Die Angelegenheit sprach sich blitz-schnell herum, als das Fehlen des ABS in der Werkstatt festgestellt worden war. Händler, Werkstattpersonal, Bürobesatzung, ja sogar zufällig anwesende Kundschaft schauten höchst interessiert ein Auto an, an dem es nichts außer Blechschaden an der Front zu sehen gab. Der Händler bekundete sogar glaubhaft, dass er gar nicht da stehe, wo man ihn stehen sehe, sondern "völlig neben sich stehe".

Das Mysterium schreckte sogar Peugeot Deutschland in Saarbrücken auf. Ursula Mayer, damals Pressechefin bei Peugeot, verkündete mir der französischen Weisheit letzten Schluss: "In der Autoindustrie gibt es nichts, was es nicht gibt." Es versteht sich, dass das ehrwürdige Haus Peugeot die finanzielle Seite der doppelten Negation mit Eleganz regelte. (amünet/rm)

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Opel Ascona, 1975 bis 1981.

Opel Ascona, 1975 bis 1981.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel

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