Unzählige Doppeldecker-Eisenbahnwaggons und Lkw verlassen jeden Tag das Volkswagen Werk in Wolfsburg. Mehr als 3000 Autos werden am Stammsitz pro Tag gebaut, für die täglich knapp 1000 Lkw Material anliefern. Einige von ihnen kommen aus dem dänischen Skanderborg. Ihre Fracht: High-End-Lautsprecher von Dynaudio. Seit 2002 sorgt Dynaudio für den guten Ton bei den Modellen von Volkswagen.
An die Herstellung von Lautsprechern für Automobile dachten Ejving Skaaning, Wilfried Ehrenholz und Gerhard Richter noch nicht, als sie 1977 die Firma Dynaudio gründeten. Sie waren der Ansicht, dass die damaligen teuren Lautsprechersysteme nicht gut genug waren. Ihre Mission: Sie wollten eine neue Generation von Lautsprechern entwickeln, die Musik präziser und nuancierter wiedergeben. So entstand ein Hochtöner, der heute als das Rückgrat des Unternehmens angesehen wird.
Dabei handelte es sich um einen optimierten Kalottenhochtöner, der dank seiner Größe einen größeren Frequenzbereich abdeckte als die damaligen Produkte des Wettbewerbs. Die Komponenten eines Lautsprechers konnten so besser zusammenwirken. Dadurch lagen die Heimlautsprecher von Dynaudio in der absoluten Spitzenklasse und die kleine Firma in Skanderborg wurde unter Klangliebhabern zu einem festen Begriff. Doch trotz der großen Expertise im HiFi-Markt bedeutete der Einstieg bei Automobillautsprechern eine große Umwälzung auf allen Ebenen.
Erst mehr als 20 Jahre später erreichte der feine Klang von Dynaudio die Automobile von Volkswagen. Begonnen hat alles mit dem Wunsch, ein Premium-Klangsystem für den Passat B6 zu entwickeln. Das war der Startschuss für die nun schon 15 Jahre lang dauernde Zusammenarbeit zwischen Dynaudio und Volkswagen. Heute bietet Volkswagen die Soundsysteme von Dynaudio optional in allen Modellen, außer in Up, Polo und Beetle an.
Wie erreichen die Dänen das besondere Klangerlebnis im Auto? Die Antwort auf diese Frage liegt in Skanderborg. Dort ist nicht nur die Manufaktur von Dynaudio angesiedelt. Auch die technische Entwicklung der Lautsprecher hat am Hauptsitz ihren Platz. Sie wird geführt von Jan Abildgaard Pedersen.
Im hauseigenen Tonstudio – es handelt sich um eine speziell ausgerüstete Garage, in der selbst Fahrzeuge vom Format eines Volkswagen T6 Platz finden – arbeitet Morten Hermansen an der Abstimmung für jedes Soundsystem. Hermansen erklärt, „dass es sehr komplex ist, einen guten Klang für den Innenraum eines Autos zu entwickeln. Berücksichtigt werden müssen extreme Temperaturunterschiede, kräftige mechanische Schwingungen und verschiedene Formen von Hintergrundgeräuschen“. Außerdem müssen an die Montage, die Feineinstellung des gesamten Klangbildes und an die Haltbarkeit über lange Zeiträume hohe Anforderungen gestellt werden.
Die Dänen vermeiden deswegen im gesamten Herstellungsprozess Kompromisse bei den Elementen, die Einfluss auf das Klangbild haben. „Wir sind sehr froh, dass Volkswagen von Anfang an einen Verstärker mit digitaler Klangsteuerung und einen Kanal für Bass-, Hoch- und Mitteltöner und Subwoofer verwenden wollte. Dadurch können wir den Klang im Fahrerraum sehr präzise steuern und leichter das optimale Klangbild erzeugen“, so Hermansen. Die Einheiten müssen – je nachdem, ob in einem Golf, Passat oder Tiguan und wo sie im Fahrerraum sitzen – angepasst werden.
Heute wird Dynaudio zu einem sehr frühen Zeitraum in die Entwicklung eines Fahrzeugs einbezogen, zwei bis drei Jahre vor der Markteinführung. „Wir erhalten computeranimierte Zeichnungen oder Teile der Einrichtung, in der die Einheiten eingebaut werden sollen. Doch zu diesem Zeitpunkt haben wir keinen vollständigen Eindruck vom Innenraum. Etwas später im Prozess schickt Volkswagen streng getarnte Prototypen in abgeschlossenen und versiegelten Autotransportern. Dann wird unsere Testgarage verriegelt und nur sehr wenige Menschen haben Zutritt“, verrät Morten Hermansen.
Das ist der Moment, in dem die Sound-Spezialisten mit der Feineinstellung des Klangs beginnen. Die meiste Zeit kostet es, das perfekte Timing zwischen den einzelnen Einheiten abzustimmen. Viele Messungen werden vorgenommen, doch es wird eigentlich mehr gehört als gemessen. „Den Klang kann man nicht nach Zahlen oder Messungen optimieren. Das würde sich schrecklich anhören. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem, was wir als Menschen wahrnehmen und dem, was ein Mikrofon misst“, umschreibt Hermansen seinen Job und weiter: „In einem Fahrzeug hat der Fahrer mit dem Seitenfenster eine große Glasscheibe direkt am linken Ohr, die als effektiver Reflektor wirkt und den Schall zurückwirft, ohne dass er es wahrnimmt. Das ist Psychoakustik. Das Hirn fasst es als Reflexion auf und sortiert es aus. So etwas können Sie nicht messen.“
Morten Hermansen gibt ein weiteres Beispiel dafür, dass der Unterschied im Detail liegt: „Wenn der fußbediente Filzschlägel einer großen Trommel auf die Trommelfläche trifft, gibt es zuerst einen kleinen Anschlag, bevor der große Bumm folgt. Wenn Sie den Anschlag zuerst in den Hochtönen und den großen Bumm mit einer Verzögerung in den Basseinheiten ankommen lassen, erhalten Sie die Wiedergabe eines perfekten Klangbilds in einer ansonsten schwierigen Umgebung. Das ist es, was den Unterschied ausmacht.“
Beim aktuellen Passat bekamen die Dänen die Möglichkeit, eine Zentraleinheit oben mittig auf das Armaturenbrett zu setzen. Sie spielt sehr leise. Das reicht aber aus, das gesamte Klangbild auf eine natürliche Höhe anzuheben, so dass der Hörer ein perfektes Stereoerlebnis und das Gefühl bekommt, als würde das Orchester direkt vor ihm stehen und spielen. Jan Abildgaard Pedersen erklärt, dass man „durch die Verwendung eines Zwölf-Kanal-Verstärkers in Kombination mit einem Dynaudio-System über die Einstellungen im Menü des Touchscreens sehr genau den Fokus des Klangbildes im Fahrerraum steuern kann. Sie regeln nämlich sowohl die Lautstärke, als auch die Verzögerung zwischen den einzelnen Einheiten, während man bei einem normalen Radio nur die Lautstärke einstellen kann.“
Über ein optimales Klangbild in der Fahrgastzelle entscheidet auch die Platzierung der Lautsprechereinheiten. Die Möglichkeiten zum Einbau sind im Innenraum natürlich begrenzt. „Es ist eine Gratwanderung und manchmal eine Art Fingerhakeln mit den Ingenieuren und Konstrukteuren von Volkswagen“, erzählt Pedersen lächelnd und fügt hinzu: „Meistens gewinnen die Volkswagen-Konstrukteure, und wir müssen nachjustieren. Es ist eine schöne Herausforderung, doch wir machen nur Kompromisse in einem Umfang, der das Klangbild nicht markant beeinträchtigt.“
Morten Hermansen beschreibt ein Beispiel im Golf: „Früher hatten wir die Hochtöner in einem Dreieck an den Seitenspiegeln angeordnet. Dieser Dreieckseinbau verschwand, da die Seitenspiegel beim Golf 7 an die Türseiten nach unten versetzt wurden. Die Entwicklungsabteilung von Volkswagen schlug vor, dass wir die Hochtöner unten in den Türen platzieren sollten. Doch wir fanden es besser, sie in der A-Säule an der Windschutzscheibe zu haben. Dieser Platz war aber von den Lüftungskanälen zum Entfeuchten der Seitenfenster besetz. Schließlich konnten wir durchsetzen, dass die Lüftungskanäle in das Armaturenbrett verlegt wurden.“
Den Sound-Spezialisten aus Skanderborg ist klar, dass sie bei ihren Partnern in Wolfsburg manchmal Stirnrunzeln auslösen und graue Haare zu verantworten haben. Denn die Volkswagen-Ingenieure sind ständig auf der Jagd nach überflüssigem Gewicht. „Und dann kommen wir mit unseren schweren Lautsprechern. Darüber sind sie nicht glücklich. Doch das ist der Preis für hochwertigen Klang, und deshalb müssen sie lieber noch mal neu rechnen.“
Neben der Konstruktion einer guten Klanganlage besteht die zweite Herausforderung darin, Lieferant für einen Autohersteller von der Größe von Volkswagen zu sein. Denn alle Lautsprecher-Einheiten müssen nach 18 Parametern getestet werden. Das beansprucht zehn bis zwölf Wochen, in denen Dynaudio den Einsatz der Lautsprecher simuliert. „Wir arbeiten hier mit einen Klimaschrank, in dem sie Temperaturen zwischen minus 40 und plus 80 Grad und einer wechselnden Luftfeuchtigkeit ausgesetzt werden. Ebenso simulieren wir die Mengen an Regen, Staub und Salz, die normalerweise durch die Autotüren und in die Lautsprechereinheiten eindringen“, beschreibt Morten Hermansen.
Auch die Aufprallsicherheit spielt eine Rolle. So sind die Einbauorte der Lutsprecher-Einheiten in den Türen davon abhängig, ob es sich um ein dreitüriges oder fünftüriges Auto handelt. Bei fünftürigen Autos sitzen die Lautsprecher unten auf der Höhe der Beine, während sie bei dreitürigen Autos in Hüfthöhe angebracht sind und sich bei einem Seitenaufprall plötzlich im Aufprallbereich befinden. Deshalb haben die Einheiten in dreitürigen Fahrzeugen eine eingebaute Aufprallzone und sind außerdem verschraubt, obwohl man sich auch mit Verleimen hätte begnügen können. Berücksichtigt werden musste auch, dass ein Airbag Gegenstände losreißen kann, wenn er ausgelöst wird. Bei einem Soundsystem im Auto gehören der gute Klang und die Sicherheit zusammen. (ampnet/tw)
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