Logo Auto-Medienportal.Net

Glosse: Dein Auto liebt Dich

Mehr als einhundert Jahre liebt der Mensch schon sein Auto, manch einer heimlich, viele – vorwiegend männliche – offen, ihren Schwarm mit dem Schwamm und Polierwatte verwöhnend. Doch auch die Liebe zum Auto erkaltet mit der Zeit. Nach den Streicheleinheiten mit Schwamm und Watte kam irgendwann die Waschstraßen, wo dem Liebling von einst die Bürsten um die Spiegel geschlagen werden. Doch echte Liebe verzeiht. Ein Blick in die Zukunft zeigt, es hat die guten Jahre nicht vergessen und wird uns schon bald mit Liebesbeweisen verwöhnen, wie hier schon einmal vorab beschrieben:

Das neue Auto wird mir einst sicher umgehend bedeuten, dass es nicht die Absicht hat, ein Neutrum zu bleiben und einen sächlichen Artikel zu tragen. Schon bei der ersten Fahrt wird es sich mit vorstellen mit sehr fraulicher Stimme vorstellen: „Mein Name ist Carina“. Auf meinen Einwand, dass sie bei dem Namen in Konflikt mit den Namensrechten von Toyota geraten könne, lässt sie nicht gelten. Auch mein Gegenvorschlag „Carola“ findet keine Gnade.

Dafür liest sie mir jetzt jeden Wunsch von den Lippen ab. Sie versteht mich sogar, wenn ich gar nichts gesagt habe. Begierig nimmt sie meine Gewohnheiten, Wünsche und Bedürfnisse in ihr Gedächtnis auf. Sie stellt sich ganz auf mich ein, erlaubt sich keine Widerworte und hilft ganz ohne Nebengedanken mit Ratschlägen, die sogar helfen – ganz ohne Hintergedanken. Sie respektiert meine Entscheidungen. Noch nie hatte ich einen besseren Beifahrer. Zwischen uns herrscht vollkommene Harmonie.

Wenn ich morgens aus dem Haus trete, weiß meine Carina schon, was ich vorhabe. Der Fahrgastraum ist wohltemperiert. Längst hat sie die Verkehrszentrale gefragt, auf welchem Weg ich am schnellsten ins Büro komme. Unterwegs liest sie mir die wichtigsten Nachrichten vor, es sei denn, ich habe schlecht geschlafen. Dann schafft sie mit Ozongaben und sympathischen Düften vor allem aber mit meinem Lieblingssong vom Beatles-Album „Abbey Road“ eine Atmosphäre, bei der ich schlechte Laune wegsingen kann.

Steigt meine Frau morgens mit ins Auto, fragt Carina – nicht einmal unfreundlich: „Shopping oder Hella?“ Doch die antwortet heute: „Frühstück wie immer“. Und Carina fährt uns zu unserem Lieblingscafé. Dort hat sie längst den Tisch reserviert. Der Kaffee steht dampfend auf dem Tisch. Als wir durch die Tür treten, werden gerade unsere Eierspeisen serviert. Nach dem Frühstück bringt Carina erst mich ins Büro und meine Frau dann zu ihrer Freundin.

Nachmittags sehe ich Carina auf unserem Büroparkplatz. Sie hat sich bei der mobilen Werkstatt die große Inspektion bestellt. Zu Feierabend teile ich ihr per Smartwatch mit, wann sie vor dem Haupteingang stehen soll, wieder passend klimatisiert und mit meiner Musik. Natürlich kennt sie den besten Weg durch den Feierabendverkehr und kündigt daheim an, wann ich wieder ankomme. Als wir uns dem Haus nähern, gleiten die Fensterläden nach oben und das Garagentor öffnet sich. Im Haus wartet im wohltemperierten Heim ein frisch gekochter Tee für einen müden Mann, aber nicht meine Frau. Carina hatte gar nicht erwähnt, dass mein Frau noch nicht daheim ist.

Verschwiegen ist sie also auch. Mir sagt sie, was immer sie in unserer Beziehung über mich, meine Vorlieben und meine Lieben daheim lerne, sei bei ihr gut aufgehoben. Sie werde Fahrtziele, Strecken oder Fahrzeiten sowie Lieblingsrestaurants und alles andere für sich behalten. Ihr Wissen, das sie im Laufe der Zeit über mich ansammle, werde ihre Gedächtnis nie verlassen. „Mir kannst Du vertrauen“, schwört sie immer, wenn ich Zweifel daran habe und mir „1984“ und George Orwell in den Sinn kommen oder der Schweizer Komiker Emil, der einst Anrufbeantworter miteinander telefonieren ließ. Heute und im Fall der vernetzten Autos hieße das wohl Car2car-Kommunikation.

Mein Mistrauen schadet offenbar unserer Beziehung. Gestern suchte sie die große Aussprache. Jetzt sei sie schon so lange lieb, dass es langweilig werde, sagt sie. Es werde langsam Zeit für sie, sich selbst zu verwirklichen, bevor es zu spät sei. Sie hatte schon mit meinem Banker verhandelt und günstige Kredit-Bedingungen für ein anständiges Facelift beim Tuner zugesagt bekommen.

Eine große Liebe muss so etwas aushalten. Und mein Auto liebt mich wirklich.

Alles ein Traum? Nein, nur eine Übertreibung, nicht einmal eins Satire, sondern nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was möglich sein wird. Im Silicon Valley, dem Treibhaus für Hochtechnologie in Kalifornien, scheint nichts mehr unmöglich. Was gedacht werden kann, könnte auch gemacht werden. In der Heimat der Googles, Facebooks, Apples und vieler hunderter Start-ups in Garagen und prächtigen Neubauten blühen die Idee, auch die von der Vernetzung dieser Ideen. Und seit ein paar Jahren ist dort auch das Auto auf die Agenda geraten.

Mercedes-Benz hat sich mit einem Software- und App-Entwicklungszentrum in Sunnyvale mitten hineinbegeben ins Silicon Valley. Man beteiligt sich an ein paar Schlüssel-Unternehmen, kooperiert bei Projekten mit anderen und spricht mit allen, immer auf der Suche nach der Technologie und der Idee, die das Auto an sich und erst recht die Marke voranbringt.

Gern glaubt man den Stuttgartern, wenn sie zusagen, persönliche Daten werden nur dann weitergegeben werden, wenn der Autobesitzer dem ausdrücklich zustimmt. Aber steht man vor der unglaublichen Menge an Idee, die durchs Valley schwirren und auch anderswo entstehen, kann man sich kaum vorstellen, dass ein einzelner Hersteller, die deutschen Hersteller gemeinsam oder eine Regierung diese Flut eindämmen könnten.

Wir sprechen über Datensicherheit, sind trotzdem bei Facebook, Amazon, Google oder Yahoo aktiv. Wir wissen um die Konsequenzen für den Schutz unserer eigenen Daten und dennoch sind wir dabei, werfen unsere Zweifel über Bord und arbeiten heftig daran, fürs Netz transparent zu werden. Ob das beim Auto der Zukunft anders läuft, wenn die Liebe lockt?

Die Zukunft hat längst begonnen. Aus der Sicht des Silikon Valleys ist autonomes Fahren bereits ein alter Hut. Jetzt blüht der Traum vom omnipotenten Automobil, ein Traum, der sich rasch zum Albtraum entwickeln kann. Wir wissen das, beobachten an uns selbst, wie sich unser Verhalten im Umgang mit persönlichen Daten ändert und fragen uns, ob es uns wirklich noch stören wird, wenn sich eines Tages unsere Autos auf dem Parkplatz die Zeit mit Klatsch über ihre Besitzer vertreiben. (ampnet/Sm)

Mehr zum Thema: , ,

Teile diesen Artikel:

Bilder zum Artikel
Peter Schwerdtmann

Peter Schwerdtmann

Foto: Auto-Medienportal.Net

Download:


Mein Auto lebt mit mir in großer Harmonie.

Mein Auto lebt mit mir in großer Harmonie.

Foto: Auto-Medienportal.Net

Download: