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Wiener Motorensymposium 2015: Das Ende der Illusionen

Unter Journalisten war das Wiener Motorensymposium eines der bestgehütetsten Geheimnisse. Hier treffen sich einmal im Jahr die führenden Motorenentwickler und Wissenschaftler, um im feudalen Ambiente der Wiener Hofburg über Trends und Technik zu diskutieren. In den Gesprächen und Vorträgen war viel zu erfahren darüber, wie wir in Zukunft fahren werden – und was in den Bereich des Möglichen oder in die Domäne reinen Wunschdenkens gehört. Auch das, was nicht gesagt wird, ist relevant.

So gibt es heuer keinen einzigen Vortrag, der sich ausschließlich mit Elektroautos befasste. Und das hat seinen Grund: Die Nachfrage ist nicht nur schwach, sondern bei Privatkunden praktisch nicht existent. Das bundesdeutsche Ziel von einer Million E-Mobilen, von der Kanzlerin vollmundig ausgegeben, dürfte weit verfehlt werden.

Nüchterner Realismus kehrt ein:: „Wir sind noch sehr weit von der Profitabilität entfernt, und da lassen ich mal die Einfachaufwände weg", bilanzierte BMW-Entwicklungschef Klaus Fröhlich in einem der drei Schlussvorträge. „Wir machen die Autos nicht für den Regulator, sondern für den Kunden. Wir investieren in eine zukünftige Profitabilität – und da werden wir einen langen Atem brauchen.“

Renaissance des Verbrenners

Es gibt andere Lösungen, die in Wien ausgiebig diskutiert wurden. Bis in die Mittelklasse hinein treten Drei-Zylinder-Motoren auf den Plan, die relativ günstig herzustellen sind und im Vergleich zum klassischen Vierzylinder deutliche Verbrauchsvorteile bieten. Was in der Technik steckt, war zum Beispel bei Ford zu hören: Dort wird intensiv an der Zylinderabschaltung für die kleinen Motoren gearbeitet. Und Volkswagen berichtet von einem 1,0-Liter-Dreizylinder, der mit elektrischem Kompressor und Abgas-Turbolader stolze 272 PS leistet.

Der Trend ist nicht aufzuhalten: „Kleine aufgeladene Motoren bewähren sich, und sie werden mit elektrifizierten Nebenaggregaten weitgehend riemenlos“, sagte Professor Hans-Peter Lenz, der das Symposium leitete.

Riesiges Potential steckt in der Elektrifizierung der Nebenaggregate und in der Mild-Hybridisierung mit Starter-Generator-Systemen. Zudem experimentieren alle Hersteller mit den elektrischen Verdichtern, die mit ihrem extrem schnellen Ansprechverhalten das Turboloch effektiv überspielen und so den Einsatz großer Turbolader ermöglichen. Die sprechen nämlich konzeptbedingt träge an, ermöglichen jedoch höhere Spitzenleistungen.

Fragwürdige Plug-In-Technik

Erst bei den großen Fahrzeugen tritt die Plug-in-Hybridisierung auf den Plan, die es den Herstellern dank höchst vorteilhafter Zertifizierungsverfahren ermöglicht, den strengen CO2-Emissionsvorschriften gerecht zu werden. Bei dieser Technik, die den klassischen Verbrenner mit Elektromotor und einem relativ großen Batteriesatz verbindet, können Autos per Steckdose aufgeladen werden und so „lokal emissionsfrei“ fahren. Den Metropolen bleiben so die Emissionen der modernen Euro-6-Verbrennungsmotoren erspart (sofern sie überhaupt noch messbar sind).

Und auch an dieser Technik regt sich Kritik. „Der Plug-in-Hybrid ist ein einziger Betrug an der Umwelt, weil die bei der Stromerzeugung anfallenden Emissionen nicht mitgerechnet werden“, monierte Professor Fritz Indra. Der frühere Alpina-, Audi- und GM-Entwickler, der heute den Zulieferer AVL List berät, ist einer der profiliertesten Kritiker der E-Mobilität. Und Prof. Lenz gab zu bedenken: „Ob ohne gesetzlichen Druck die Kunden bereit sind, den Aufwand zu tragen, das wird sich erst zeigen.“

Die großen Hersteller hoffen darauf, zumal sich die gewaltigen Investitionen irgendwann einmal lohnen sollen. Als Kronzeuge für die Technik soll nicht zuletzt der Motorsport dienen, etwas in der Formel 1 oder beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans, wo die Hybridisierung per Reglement erzwungen wird. Hinter den Kulissen, so gab es in Wien zu hören, wird allerdings an einem Revirement gearbeitet. Prof. Indra brachte es auf den Punkt: „Noch nie war ein Reglement so schlecht wie dieses.“ Kein Wunder, dass vielen Teilnehmern in Wien trotz aller Lobpreisungen auf die Hybridisierung die Skepsis ins Gesicht geschrieben steht.

Der Antrieb diversifiziert sich

Und so war es ein passender Höhepunkt für das diesjährige Motorensymposium, dass der VW-Konzern einen 447 kW/608 PS starken W12-Biturbo präsentierte, der eindrucksvoll beweist, welches Potential im klassischen Verbrenner steckt. Im Vergleich zum ursprünglichen W12-Motor, der 2002 im Phaeton präsentiert wurde, stieg die Leistung von 420 PS auf über 600 PS; der Verbrauch hingegen ist um fast 30 Prozent gesunken. Doch mit diesem Motor, der – so Professor Lenz – „wie ein Leuchtturm hoch hinausragt“ – ist bei VW noch nicht einmal die Spitze erreicht. Für den kommenden Supersportwagen Bugatti Chiron bleibt es beim W16; auch das wurde in Wien angedeutet.

Schaeffler-Entwicklungsvorstand Professor Peter Gutzmer notierte drei Paradigmenwechsel, auf die sich die Industrie einstellen muss: Zum einen die Effizienzsteigerung des Antriebs mit der Elektrifizierung; zweitens das automatisierte Fahren, das nur mit entsprechenden Antriebssträngen umzusetzen ist; und drittens die Einbindung in die verschiedenen Internetsysteme.

Je nach Markt und Anforderungsprofil könnte es eine bisher ungekannte Vielfalt von Antrieben geben, die sich übrigens auch in der Getriebeentwicklung niederschlagen wird. Während die Downsizing-Verbrenner am besten mit Sechs- bis Sieben-Gang-Doppelkupplungsgetrieben oder Wandlerautomaten mit acht bis zehn Gängen harmonieren, ist für Hochvolt- und 48-Volt-Hybride eine Reduzierung auf vier bis sechs Gänge denkbar. „Ich hoffe, dass sich einzelne Varianten als Schwerpunkt herausarbeiten“, sagte Gutzmer. Denn sonst wird es für die Industrie teuer.

Heuer hatte ein deutscher Automobilhersteller eine größere Gruppe von Journalisten nach Wien eingeflogen. Ein so ungefilterter Blick auf die Realitäten wie in der eleganten Wiener Hofburg dürfte ihnen selten geboten werden. (ampnet/jm)

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Wiener Motorensymposium 2015

Wiener Motorensymposium 2015

Foto: Auto-Medienportal.Net/ÖVK/Doris Kucera

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Ford testet bei seinem preisgekrönten 1,0-Liter-Ecoboost-Motor die Zylinderabschaltung.

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Foto: Auto-Medienportal.Net/Ford

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Wiener Motorensymposium 2015: VW W12 TSI.

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Foto: Auto-Medienportal.Net/av

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