Chrysler? Selbst Autokenner in Deutschland erinnern sich nur noch undeutlich an die US-Marke, die 2010 vom hiesigen Markt verschwand. In diesem Jahr feiert Chrysler sein 100. Jubiläum, allerdings in erbarmungswürdigem Zustand, denn auch in den USA werden nur noch zwei Modellreihen angeboten. Dabei startete die von Walter P. Chrysler gegründete Marke furios und glänzte über Jahrzehnte mit innovativer Technik, raffiniertem Design und bildete zusammen mit Ford und General Motors die „Big Three“ aus Detroit.
Walter Percy Chrysler war 33 Jahre alt, als er 1908 sein erstes Automobil kaufte. Es war ein Locomobil, das er auf Autoshow in Chicago gesehen hatte. Chrysler, der damals als Chefingenieur bei der Eisenbahngesellschaft Great Western Railroad arbeitete, ließ sich das Auto in seine Scheune liefern. Dort schraubte er es komplett auseinander und baute es wieder zusammen. Drei Monate dauerte die Prozedur, erst dann unternahm Chrysler die erste Fahrt im neuen Wagen.
Übertriebene Akribie? Ein Ingenieursspleen? Oder einfach technische Neugier? Vermutlich war es ein bisschen von alldem, was Chrysler zu dieser merkwürdigen Aktion trieb. Jedenfalls war er gründlich vorbereitet, als er zwei Jahre später als Werksleiter beim Autohersteller Buick anheuerte. In den folgenden Jahren stieg er in der Automobilbranche auf und gründete schließlich, im Juni 1925, sein eigenes Unternehmen in Detroit: die Chrysler Motor Corporation. Schon drei Jahre später war Chrysler – nach der Übernahme der viermal größeren Firma Dodge Brothers Inc. – der drittgrößte Autohersteller der USA: damals mit den Marken Chrysler, Dodge, Imperial, DeSoto und Plymouth.
Die Automobile, die seinen Namen trugen, sollten „erschwingliche Luxusgüter“ sein, hatte Walter P. Chrysler als Maxime bei der Unternehmensgründung verfügt. Und gleich das erste Modell, der Chrysler Six mit einem 3,3-Liter-Sechszylinder Reihenmotor mit einer Leistung von 68 PS der eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 75 km/h erlaubte, machte dies deutlich. Der Wagen wurde damals für 1565 US-Dollar angeboten, bot an allen vier Rädern hydraulische Bremsen sowie eine indirekte Innenraumbeleuchtung. Mehr als 100.000 Exemplare des Fahrzeugs wurden während der zweijährigen Bauzeit verkauft.
Chrysler erarbeitete sich rasch den Ruf, eine „Ingenieurs-Firma“ zu sein. Dazu trugen unter anderem austauschbare Öl- und Luftfilter bei, Fallstromvergaser und einteilige, gebogene Windschutzscheiben. Bereits 1934 errichtete die Firma einen Windkanal, der entscheidend war bei der Entwicklung des Chrysler Airflow. Der Wagen war das erste Stromlinienfahrzeug in den USA und setzte neue Standards bei der Aerodynamik. So fortschrittlich das Auto und sein Aussehen waren – kommerziell war es ein Flop. Offenbar war die Optik vielen Kunden zu modern und unvertraut. Allerdings kopierten Hersteller wie Volvo mit dem PV36, Peugeot mit der 02-Baureihe und DKW mit 3=6 Designelemente des Airflow und hatten damit Erfolg.
Zu weiteren Innovationen von Chrysler gehörte das Halbautomatikgetriebe „Fluid Drive“ (ab 1939), der legendäre Hemi-V8-Motor (ab 1951) sowie ein Projekt, in dem ein Gasturbinen-Antrieb für Pkw entwickelt wurde (ab 1952). Vor allem aber sorgte der von Studebaker abgeworbene Designer Virgil Exner, der seit 1949 bei Chrysler arbeitete, ab 1955 für einen komplett neuen Auftritt der Fahrzeuge durch den sogenannten „Forward Look“. Flaggschiff der neuen Designlinie war der Chrysler 300, eine Art frühes Muscle-Car, das in Daytona Beach mit mehr als 230 km/h einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellte. Und schon bald wuchsen auch bei Chrysler die Heckflossen in die Höhe.
Doch die monströsen Leitwerke an den Autos waren kurzlebig. In den 60er-Jahren bestimmten neue, kompaktere, sportlichere Modelle das Straßenbild, und Chrysler startete 1963 den ersten und einzigen Feldversuch mit einem Pkw mit Gasturbinenantrieb. 203 US-Familien, die aus 30.000 Bewerbern ausgewählt worden waren, erhielten für jeweils drei Monate unentgeltlich ein Fahrzeug. Das Programm wurde 1966 beendet, nach rund 1,8 Millionen Testkilometern. Doch obwohl die Ausfallquote sehr gering und der vibrationsfreie Lauf des Wagens äußerst beliebt war, wurde das Projekt eingestellt: Der Treibstoffverbrauch war viel zu hoch.
Allmählich verlor Chrysler auf dem US-Markt immer mehr Schwung. Es fehlten Innovationen, es mangelte an frischen Ideen, an attraktiven Modellen. Ende 1978 wechselte der vormalige Ford-Manager Lee Iacocca an die Chrysler-Konzernspitze, um das kurz vor dem Konkurs stehende Unternehmen zu sanieren. Und ihm gelang die Wende. Erstens mit der Einführung eines Baukastensystems bei der Fahrzeugentwicklung und -produktion. Zweitens mit dem Start des Minivans im November 1983. Die neue Fahrzeugklasse basierte auf einer Chrysler-Plattform und rollte als Dodge Caravan und Plymouth Voyager von den Montagebändern. Ab 1988 wurde diese Fahrzeuggattung unter dem Namen Chrysler Voyager auch in Europa angeboten.
In der Folge machte Chrysler – zumal in Europa – vor allem durch Aufsehen erregende Zusammenschlüsse von sich reden. 1998 verbanden sich Daimler-Benz und Chrysler zur Daimler-Chrysler AG, doch nach anfänglichem Erfolg erwies sich die Kooperation als Fehlschlag. 2009 wurde die Trennung vollzogen, es folgte die Insolvenz von Chrysler und der anschließende Neustart mit dem Einstieg von Fiat. Der neugebildete Konzern FCA (Fiat Chrysler Automobiles) fusionierte 2021 mit der französischen PSA-Gruppe zum Automobilkonzern Stellantis. Vom europäischen Markt verschwand die Marke Chrysler bereits 2010. Als Lancia Thema und Lancia Voyager lebten der der Chysler C300 und der US-Van noch einige Jahre in Europa weiter. In den USA werden heute noch die beiden Chrysler-Minivan-Modelle Pacifica und Voyager verkauft. Wie lange noch, ist ungewiss. (aum)
Mehr zum Thema: 100 Jahre , Chrysler
Teile diesen Artikel: