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Jenseits der Rostbratwurst: Mit dem Camper auf Spurensuche in Thüringen

Die meisten Menschen denken, wenn sie „Thüringen“ hören, an Rostbratwurst, manche auch an Automobile, wenige dagegen an Martin Luther oder gar industrielle Hochkultur. Dabei ist das Bundesland reich an Erfindungsgeist und lockt mit wundervollen Bergwelten und mäandernden Flussläufen. Die Saale gehört zu den reizvollen Gewässern, die einst von Flößern zum Holztransport genutzt wurden. Wir haben mit dem Camper einen Streifzug durchs Land gemacht und sind nicht nur auf erstaunliches Kulturgut, sondern auch auf ein facettenreiches Stellplatzangebot gestoßen.

Wer von Süden anreist, kommt meist über Bayreuth und Coburg und nach dem Hauptkamm des Fränkischen Waldes nach Prozelten. Kurz dahinter überrascht ein Ortschild. „Gabe Gottes“ heißt der Weiler, in dem aktuell 27 Menschen leben. Der Ort wurde 1668 von Herzog Johann Ernst von Saalfeld unter dem Namen Eisenhammer gegründet. Allein, die Eisenproduktion scheiterte daran, dass aus den Bergwerken kein Erz gefördert wurde. Stattdessen errichtete der Herzog eine „Blaufarbenproduktion“, ein Werk zur Gewinnung des in verschiedenen blauen Farben schimmernden Schiefers des Gebirges, mit dem Dächer gedeckt, Wände verkleidet und Reichtümer erlangt werden sollten. Erst Mitte des 18. Jahrhundert stießen die Bergarbeiter auf das begehrte Erz und bezeichneten es als Gabe Gottes. Das wurde freudig zum neuen Namen des Ortes gemacht.

Einen Abstecher wert ist der malerische, 27 Kilometer lange Hohenwarte-Stausee, der nicht nur Wassersportler, sondern auch Angler und Taucher anzieht. Die einzige Autofähre Thüringens pendelt bei Linkenmühle über den See, auch Rundfahrten mit Passagierschiffen werden angeboten. Die 412 Meter lange und 75 Meter hohe Staumauer wurde 1942 fertiggestellt, nur um April 1945 wieder gesprengt zu werden, um mit der Flutwelle den Vormarsch der Alliierten Streitkäfte zu stoppen. Heute betreibt Vattenfall das Kraftwerk, das 63 Gigawatt leistet.

Immer wieder finden sich am Straßenrand touristische Hinweisschilder zu Bergwerken, Minen, Halden und Gruben. Allerdings wird die Serie zunehmend von Wegweisern zur „handwerklichen Pralinenfertigung“ unterbrochen. Schokolade, Kakao, Zucker und Sahne wurden im Ostthüringischen gerne vermengt und zu süßen Köstlichkeiten verarbeitet. Die Krönung der Produktion ist in Saalfeld, der trotz der vergleichsweise geringen Bevölkerungsschar von 26.000 Einwohner überaus quirligen Stadt angesiedelt. Hier gab es bereits zu DDR-Zeiten eine riesige Schokoladenproduktion, die Thüringer Schokoladenwerke, deren Erzeugnisse als Devisenbringer vor allem fürs westliche Ausland bestimmt waren. Und die dann zumindest in Teilen bei den vorweihnachtlichen Hilfspaket-Sendungen von West nach Ost wieder eingeführt wurde. Heute produziert Stollwerck in den geschichtsträchtigen Backsteingebäuden.

Reger Warenaustausch

Vom regen Warenaustausch zwischen den Wertesystemen zeugt heute noch der riesige Güterbahnhof in Saalfeld, auf dem einst gigantische Tonnagen verladen wurden und der heute als Lost Place Zeugnis davon gibt, wo das Vermögen der Deutschen Bahn langsam vor sich hin modert. Saalfeld hat einen schönen Stellplatz direkt am Fluss, der sich dann auch passend Saalestrand nennt. In der benachbarten Kulturkneipe Villa Weidig übertreffen die künstlerischen Darbietungen die kulinarischen Angebote um ein Vielfaches.

Ebenfalls direkt an der Saale gelegen ist der sehr ruhige und ländliche Stellplatz in Uhlstädt-Kirchhäsel. Der Kanuverein Kommaraus verleiht Boote und Fahrräder, Saison-Höhepunkt ist das Flößerfest im Mai, bei dem die aus langen Stämmen zusammengebundenen Flöße tatsächlich über Wehre rutschen. Die rustikalen Toiletten sind in einem altersschwachen Bauwagen installiert, jedoch sauber und funktionieren tadellos. Duschen gibt es im Vereinsheim und Rouladen vom Pferd oder Rind ebenso wie Forelle im Gasthof „Zum Goldenen Ross“.

Die Universitätsstadt Jena lockt mit einer lebendigen City und einem Campingplatz unterhalb des Jenzen, einem 385 Meter hohen Berggipfel aus Muschelkalk. Er ist fernab vom Verkehrslärm gelegen, nur tagsüber und an den Wochenende kann es etwas lauter werden, wenn das benachbarte Freibad zur Abkühlung einlädt und auf dem Sportplatz auf der anderen Seite die Kicker der Pille nachjagen. Originell ist die Platzrezeption untergebracht: die Camper werden in einem alten Straßenbahnwagen empfangen.

Mit Bus und Bahn gelingt die Fahrt in die Stadt, der modern ausgebaute Saale-Radweg zieht die Radler an. Jena hat vor allem durch die Optischen Werke Weltruhm erlangt hat. So steht auch das dienstälteste Sternen-Theater in Jena, schon 1926 wurde das Zeiss-Planetarium eröffnet. Sein Herzstück, der Sternengenerator, unter dem kuppelförmigen Dach ist 1996 durch das aktuelle Modell ersetzt worden. 2006 erfolgte der Einbau des Ganzkuppel-Projektionssystem ADLIP von Zeiss und Jenoptik, was das Planetarium zum ersten laserbasierten Fulldomeplanetarium Europas machte. Der Eintritt zu einer der vielen etwa 50 Minuten dauernden Sternen-Shows kostet 15 Euro.

Wir verlassen die Saale, besuchen in Weimar das Bauhausmuseum und Goethes Gartenhaus und steuern Erfurt an, die Landeshauptstadt Thüringens, die mit gleich mehreren bestens ausgestatteten Stellplätzen aufwarten kann. Der modernste und komfortabelste ist wohl der Campingpark Erfurt an der Rudolstädter Straße, der mit freiem WLAN und vor allem blitzsauberen Sanitäranlagen mit Fünf-Sterne-Ausstattung lockt. Strom wird nach Kilowattstunden abgerechnet, die Übernachtung im Wohnmobil kostet zwei Erwachsene einschließlich Kurtaxe 33 Euro auf Parzellen, die gerne etwas größer geschnitten sein dürften.

Die Bushaltestelle ist direkt vor der Einfahrt gelegen, die Linie 60 fährt bis zum Hauptbahnhof, von wo aus sich die weitgehend autofreie Innenstadt mit der Straßenbahn erschließen lässt. Sehenswürdigkeiten gibt es zuhauf. Der Petersberg mit seiner Festung zählt dazu, natürlich auch der Dom St. Marien (in dem der Augustinermönch Martin Luther seine Priesterweihe empfing) mit der sich beinahe an ihn anlehnenden Kirche St. Severi. Beeindruckend ist außerdem die Krämerbrücke, die als solche gar nicht zu erkennen ist. Sie wurde ursprünglich 1117 aus Holz errichtet, nach mehreren Bränden 1325 durch eine Konstruktion aus Stein ersetzt und mit Handwerker- und Handelshäusern an ihren Flanken erweitert. Sie war auch Sinnbild für den Wohlstand der Stadt, ermöglichte sie doch einen wichtigen Übergang der bedeutenden Handelsroute von Kiew, Breslau und Erfurt nach Frankfurt am Main über den Fluss Gera.

Die Rauhfasertapete kommt nicht aus Erfurt

Mehr als ein Dutzend teils historische Gasthäuser laden zum Essen ein, wer die typischen Gerichte wie Bratwurst, Rinderroulade oder Sauerbraten samt der obligaten Klöße genießen möchte, sollte vor allem an den Wochenenden rechtzeitig, nämlich einen Tag vorher, telefonisch reservieren. Denn das seit 2023 zum Weltkulturerbe erklärte Erfurt hat sich zur touristischen Hochburg entwickelt. Zu den bekanntesten Unternehmen der Stadt gehört unter anderem die Condomi AG, die auf die alteigesessene Gummiwarenfabrik Richter & Käufer zurückgeht, die schon 1929 Latexprodukte erzeugte. In der DDR wurde daraus der VEB Plastina, der neben Kondomen auch Badekappen und Babysauger produzierte. Im Erfurter Tourismus-Amt erfahren wir derweil, dass die gleichnamige Tapete nicht von hier stammt. 1864 brachte sie die Wuppertaler Papiermühle Erfurt auf den Markt, erfunden vom Enkel des Firmengründers Hugo Erfurt.

Weiter geht es zum Hauptkamm des Thüringer Waldes, wo alljährlich entlang der Wanderroute Rennsteig der gleichnamige Amateur-Crosslauf gestartet wird. Wer nicht mitmachen will, sollte das Gebiet während der Veranstaltung entsprechend umfahren, denn in diesem Jahr haben gut 18.000 Läufer an dem Cross-Rennen teilgenommen. Dazu kommen noch jede Menge Zuschauer und Begleiter. Ähnlich turbulent geht es im Winter an den ebenfalls am thüringischen Rennsteig gelegenen Wintersportzentren Oberhof zu, wo es mehrere Wohnmobil-Stellplätze am Biathlon-Stadion oder den Skisprung-Zwillingsschanzen am Kanzlersgrund gibt. Die sind vor allem während der sportlichen Wettkämpfe restlos ausgebucht.

Die letzte Rast wird in Eisenach gemacht. Einst entstand hier der Wartburg, der den Namen jener Festung über der Stadt trug, in der Martin Luther Zuflucht fand und seine Bibelübersetzung schrieb. Der Wartburg war teurer und noch rarer als der Trabant, wurde er doch vor allem von Staatsdienern jeglicher Art gefahren. Nach der Wende kaufte Opel hier Baugrund und errichtete für rund eine Milliarde D-Mark ein neues Autowerk, in dem zunächst der Corsa und der Vectra gebaut wurden. Heute rollt hier der elektrische Grandland vom Band, der auch einen Platz im konzerneigenen Museum gefunden hat.

Der Ausflug in das westlichste der neuen Bundesländer hat sich als überaus lehrreich und erholsam erwiesen. Industrie- und Kulturdenkmäler reihen sich auf wie die Perlen einer Kette. Und auch wenn das Preisniveau gerade an den touristischen Brennpunkten bedenkliche Höhen erreicht hat (Espresso am Erfurter Dom 3,50 Euro) schauen wir ganz bestimmt mal wieder vorbei. (aum)

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Mit dem Camper am Hohenwarte-Stausee im gleichnamigen Ort in Thüringen.

Mit dem Camper am Hohenwarte-Stausee im gleichnamigen Ort in Thüringen.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Michael Kirchberger


Ausflugsschiff auf dem Stausee im thüringischen Hohewarte.

Ausflugsschiff auf dem Stausee im thüringischen Hohewarte.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Michael Kirchberger


Direkt an der Saale gelegen ist der sehr ruhige und ländliche Stellplatz in Uhlstädt-Kirchhäsel. Der Kanuverein Kommaraus verleiht Kanus und Fahrräder.

Direkt an der Saale gelegen ist der sehr ruhige und ländliche Stellplatz in Uhlstädt-Kirchhäsel. Der Kanuverein Kommaraus verleiht Kanus und Fahrräder.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Michael Kirchberger


Das Zeiss-Planetarium in Jena.

Das Zeiss-Planetarium in Jena.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Michael Kirchberger


Das Zeiss-Planetarium in Jena.

Das Zeiss-Planetarium in Jena.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Michael Kirchberger


Campingpark Erfurt.

Campingpark Erfurt.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Michael Kirchberger


Dom St. Marien und Kirche St. Severi in Erfurt.

Dom St. Marien und Kirche St. Severi in Erfurt.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Michael Kirchberger


Die Krämerbrücke in Erfurt.

Die Krämerbrücke in Erfurt.

Photo: Autoren-Union Mobilität/Michael Kirchberger