Kaum ein Thema wird so hitzig diskutiert wie die Elektromobilität: Heilsversprechen für den Klimaschutz auf der einen Seite, Zweifel an Umweltnutzen, Rohstoffbedarf und Wirtschaftlichkeit auf der anderen. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) hat in einer Überblicksstudie, einem sogenannten „Policy Brief“, die zentralen Fakten zur Elektromobilität zusammengetragen. Die Analyse basiert auf eigenen Forschungsarbeiten sowie einer Vielzahl externer Studien und stellt den aktuellen Wissensstand zum Stand Februar 2025 dar. Demnach sind Elektroautos ein zentrales Werkzeug für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors, aber keineswegs die Wunderlösung, als die sie oft dargestellt werden.
Die Bedeutung batterieelektrischer Fahrzeuge (BEV) für den Klimaschutz ist unbestritten: Um die Klimaziele gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz zu erreichen, müssten die Emissionen des Verkehrs bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden, bis 2045 soll Deutschland treibhausgasneutral sein. Ohne eine Abkehr vom Verbrenner wird das nicht gelingen – so weit ist sich die Forschung einig. Professor Martin Wietschel vom Fraunhofer ISI bringt es auf den Punkt: „E-Pkw sind die wichtigste Antriebstechnologie, um Treibhausgasemissionen zu senken – und Batterien sind der Schlüssel dafür.“
Doch die Realität ist komplexer als die Vision. Weltweit wächst der Markt für E-Fahrzeuge. In China, dem größten Markt, sind batterieelektrische Fahrzeuge längst Alltag. Auch in den USA und der EU steigen die Verkaufszahlen. Für 2030 prognostiziert das ISI einen weltweiten Neuzulassungsanteil von 40 Prozent, bis 2035 könnten es über 50 Prozent sein. In Deutschland war der Aufwärtstrend bis 2023 sogar stärker als im internationalen Vergleich – 2024 allerdings kam es dann zum Dämpfer: Der abrupte Förderstopp der Kaufprämien und hohe Strompreise bremsten den Elektro-Boom. Ob es sich nur um eine Delle handelt oder ein Umdenken einsetzt, bleibt abzuwarten.
Entscheidend für den Erfolg der E-Mobilität ist die Batterie – und deren Nachfrage steigt rasant. Für 2030 erwartet das ISI ein vier- bis sechsmal höheren Bedarf als 2023, 2035 sogar das Sieben- bis Elffache. Rund 85 bis 90 Prozent der weltweiten Batteriekapazitäten werden dann für den Straßenverkehr benötigt. Der Boom zieht jedoch zugleich fundamentale Herausforderungen nach sich: von der Rohstoffversorgung über die Fertigung bis zur Entsorgung.
Ein häufiger Kritikpunkt ist die Umweltbilanz. Tatsächlich ist die Produktion von E-Fahrzeugen – vor allem wegen der Batterie – energieintensiver als bei Verbrennern. Je nach Energiequelle und Batteriegröße entstehen bei der Herstellung 60 bis 130 Prozent mehr Treibhausgase. Allerdings gleichen BEVs diesen Nachteil über die Nutzung wieder aus – vorausgesetzt, sie fahren mit Ökostrom. Bei einem sich klimafreundlich entwickelnden Strommix sinken die Lebenszyklus-Emissionen laut Studie um 40 bis 50 Prozent. Werden private Solaranlagen genutzt, verbessert sich die Bilanz weiter.
Doch genau hier liegt ein Knackpunkt: Die Stromquelle macht den Unterschied. Wird etwa ein großer, ineffizienter Elektro-SUV nur sporadisch bewegt und mit Kohlestrom geladen, kann die Klimabilanz kaum besser ausfallen als bei einem sparsamen Diesel. Umweltprobleme wie erhöhter Reifenabrieb (Feinstaub), Versauerung und Überdüngung werden laut Fraunhofer teils sogar stärker durch BEVs verursacht – Themen, die in öffentlichen Debatten meist untergehen.
Zudem bleibt die Versorgung mit kritischen Rohstoffen angespannt. Zwar sind Materialien wie Lithium, Nickel oder Kobalt global in ausreichender Menge vorhanden, jedoch ist die Abhängigkeit von Importen hoch. Europa ist stark auf Asien angewiesen – insbesondere auf China, das große Teile der Wertschöpfungskette kontrolliert. Um dem entgegenzuwirken, setzen europäische Hersteller auf Multi-Sourcing-Strategien und den Aufbau eigener Fertigungen. Auch alternative Batterietypen – etwa Natrium-Ionen-Technologien – und stärkeres Recycling gelten als Hoffnungsträger. Bis 2035 könnten so bis zu 30 Prozent des Rohstoffbedarfs durch wiederverwertete Materialien gedeckt werden.
Recycling ist dabei mehr als nur Umweltpflege: Second-Life-Konzepte und Refurbishing verlängern die Batterielebensdauer und könnten den ökologischen Fußabdruck um bis zu 80 Prozent verringern. Doch die Umsetzung ist anspruchsvoll. Es fehlen bislang Standards, wirtschaftliche Anreize und flächendeckende Infrastruktur. Gleiches gilt für das bidirektionale Laden – also das Zwischenspeichern und Zurückspeisen von Strom ins Netz. Es birgt enormes Potenzial, sowohl für Netzstabilität als auch für die Geldbeutel der Nutzer. Aber: Ohne smarte Stromtarife, digitale Zähler und passende Regularien ist das noch Zukunftsmusik.
Ein weiteres Versprechen der E-Mobilität: sinkende Kosten. Während die Anschaffungspreise ohne Förderung noch höher sind als bei Verbrennern, sinken die Batteriepreise kontinuierlich. Deshalb erwartet das Fraunhofer ISI, dass sich die Preise mittelfristig angleichen. Gleichzeitig sind E-Autos im Betrieb oft günstiger – niedrigere Energiepreise, geringerer Wartungsaufwand. Doch auch hier gibt es Einschränkungen: Die Werkstattdichte für E-Fahrzeuge ist noch gering, die Wiederverkaufswerte schwer kalkulierbar. Und nur wer Zugang zu günstigen Stromquellen hat – idealerweise zu Hause – profitiert wirklich von niedrigen Betriebskosten. Positiv: Das gesteuerte Laden und insbesondere das bidirektionale Laden könnten in Zukunft massive Einsparpotenziale erschließen.
Reichweiten sind für viele Konsumenten entscheidend. Heutige Modelle schaffen meist zwischen 300 und 400 Kilometer, einige Premiumfahrzeuge peilen auch schon 1000 Kilometer an. Doch hohe Reichweiten gehen zulasten der Batteriegröße – und damit der Umwelt. Das Fraunhofer ISI empfiehlt daher: Lieber kleinere Batterien, dafür häufiger laden. Voraussetzung ist eine engmaschige Ladeinfrastruktur – sowohl öffentlich als auch zu Hause. Immer wichtiger werden dabei Schnellladesäulen und smarte Netze, die auch Spitzen im Stromverbrauch abfedern.
Wie sieht es mit der Sicherheit aus? Die Angst vor Batteriebränden hält sich hartnäckig, ist laut Studien jedoch unbegründet. BEVs brennen laut ISI nicht häufiger als Verbrenner, teilweise sogar seltener. Neue Batterietypen senken das Risiko weiter. Problematisch bleibt allerdings die Brandbekämpfung: Sie ist aufwendiger, wenn auch technisch beherrschbar.
Ein weiterer Befund des Reports betrifft den Arbeitsmarkt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind hier ambivalent. In der klassischen Automobilindustrie droht ein Rückgang an Jobs, etwa in der Antriebsfertigung. Gleichzeitig entstehen neue Beschäftigungsmöglichkeiten in Batterieproduktion, Energiewirtschaft, Softwareentwicklung und Recycling. Entscheidend wird sein, wie gut der Wandel durch Umschulungen und Weiterbildung begleitet wird. Laut Studie ist hier ein sektorübergreifender Strukturwandel unausweichlich.
Auch die sozialen und ökologischen Folgen in globalen Lieferketten bleiben ein heikles Thema. Die Rohstoffgewinnung für die Batterieproduktion – insbesondere in Ländern mit schwacher Gesetzgebung – birgt große Risiken, etwa Umweltzerstörung oder Menschenrechtsverletzungen. Die Studie plädiert hier nicht für Boykotte, sondern für kontrollierte Zusammenarbeit und klare gesetzliche Vorgaben für Unternehmen.
Unterm Strich zeigt die Fraunhofer-Analyse: Elektroautos sind ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität – aber kein Allheilmittel. Ihre ökologischen Vorteile entfalten sich nur unter bestimmten Bedingungen: bei grünem Strom, effizienter Nutzung und guter Infrastruktur. Vieles hängt davon ab, wie Politik, Industrie und Verbraucher künftig handeln. Und ob es gelingt, technologische Innovation mit sozialer Verantwortung und ökologischer Weitsicht zu verbinden. (aum)
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