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Historie und Histörchen (102): Wie Lopez die E-Auto-Batterie ins Ausland trieb

Freitagnachmittag. Wir sitzen in dem großen Konferenzraum von Varta, eine Gruppe von Männern kurz vor dem Wochenende und mitten im Thema. Was uns bewegte, wird unwichtig, als der Vertriebschef unser Starterbatterie-Sparte durch die Tür tritt. Er sieht erschöpft aus, aber nicht unglücklich. Seine Botschaft: Haarscharf an der Verlustzone vorbei liegen die neuen Preise für Starterbatterie, die er in Wolfsburg verhandelt hat. Wir applaudieren. Dann wird er ans Telefon gerufen. Zurück kommt ein gebrochener Kollege: „Das war der Würger von Wolfsburg“, berichtet er. „Ich musste noch einmal acht Prozent runter“. Nun hat die Runde ein Thema.

Es wurde spät an diesem Freitag in Hannover-Stöcken. José Ignacio López de Arriortúa, der Volkswagen-Einkaufsvorstand, konnte dafür daheim wieder einen Erfolg melden. Sein Chef Ferdinand Piech hatte ihn von Rüsselsheim nach Wolfsburg geholt, um die Zulieferer bei den Preisen zu drücken. Er war erfolgreich, auch mit den Methoden, die unser Kollege vom Einkauf gerade erlebt hatte. In Wolfsburg hatte Lopez nach den – aus VW-Sicht – erfolgreichen Preisgesprächen den Handel per Handschlag besiegelt. Eine Stunde später rief er in Hannover an, der Handschlag war vergessen, der vereinbarte Preis auch. Und die Sparte lieferte die mehr als 50 unterschiedlichen Batterie-Typen nach Wolfsburg, alle mit Verlust.

So oder ähnlich erlebten auch andere Zulieferer die wilden Neunziger, bis Lopez schließlich wegen eines Vergleichs mit General Motors 1997 zurücktreten musste. Aber der Schaden war angerichtet. Die Varta-F&E musste sich zunächst nur von einem Teil ihres Budgets verabschieden. Dabei hatten sie einige Erfolge vorzuweisen und sahen sich an der Spitze der Welt der Energiespeicher.

Willkomen im Klub!

Die Nickel-Metallhydrid-Batterie, heute noch in vielen Millionen Hybridfahrzeugen aktiv, war damals die Batterie der Wahl für Fahrzeugantriebe. Die Lithium-Ionenbatterie lernte gerade das Laufen. Und erst recht die Brennstoffzelle. Als Mercedes-Benz 1994 sein erstes Brennstoffzellen-Auto vorstellte, hatte der damalige Pressechef des Batterieherstellers seine allererste E-Mail für einen Glückwunsch an die Stuttgarter genutzt: „Willkommen im Klub!“. Denn zu der Zeit hatte Varta sein erstes Brennstoffzellen-Fahrzeug im Forschungszentrum Kelkheim nach rund zehn Jahren schon wieder verschrottet. Die Industrie hatte kein Interesse gezeigt.

Doch dann setzte das California Air Ressources Board die Automobilwelt unter Druck. Die Behörde erreichte 1990 ein Bundesgesetz, nach dem für 1998 mindestens zwei Prozent und bis 2003 sogar zehn Prozent der neu zugelassenen Autos emissionsfrei sein sollten. Doch dauerte es, bis das Problem voll ins Bewusstsein der Automanager geriet. So war es 1993 noch ein kurioses Erlebnis als ein Team des Nicolas Hayek, des Gründer der Swatch-Gruppe, auf dem Varta-Messestand des Genfer Automobilsalons die Möglichkeiten einer Kooperation für das Hayek-Projekt eines kleinen Stadtwagen namens Smart ausloten wollte. Er lief vor die Blei-Säure-Wand – zu geringe Energiedichte. So dauerte es noch rund zwei Jahrzehnte, bis aus dem Smart ein Elektroauto wurde.

Erster Versuch: Emissionsfreie Autos

Doch letztlich zwang dieses Gesetz alle Automobilhersteller, die in Amerika verkaufen wollten, zur Entwicklung schadstofffreier Fahrzeuge. In Deutschland führte das 1996 unter anderem zur serienreifen Entwicklung der Mercedes-Benz A-Class electric. Bei dem kurzen Kleinen schaffte man den Platz für die raumgreifende Blei-Säure-Batterie unter dem Fahrzeugboden, im Keller, dem diese Konfiguration den Namen Sandwich-Bauweise verdankt. Später kam die A-Klasse dann als hoher Benziner auf den Markt. Der bescherte uns das ESP-System, weil er eben kein Elektroauto war, dessen schwere Batterie im Keller den Überschlag verhindert hätte.

Es waren die Öllobby und die Autoindustrie, die es schafften, den Zero-Emission-Act zunächst zu entschärfen und dann rückgängig zu machen. Eines der Argumente: Die Energiespeicher sind zu schlecht und eine rasche Verbesserung ist in der Realität nicht zu erwarten. Wie sagte doch der damalige VW-Forschungsvorstand Prof. Dr.-Ing Ulrich Seiffert zu seinem Kollegen, als sie am IAA-Stand von Varta in Halle 5 vorbeischlendert: „Hier sitzen die Batteriehersteller. Die lügen schneller, als ein Pferd Wasser saufen kann“.

Erster Abschied vom Elektroauto

Und so verabschiedete sich die Auto-Welt vom Elektroauto, so ganz ohne Trauer, dafür mit viel Erleichterung. Die heiße Kartoffel mussten sie nicht mehr anfassen. Und alle Forschung an der Batterie oder an alternativen elektrischen Antrieben war dahin. Erledigt.

Bei Varta hatte das schwerwiegende Folgen. Die Batterieforschung in Kelkheim am Tausnus wurde ersatzlos gestrichen. Es gab kein Interesse mehr an der Steigerung der Energiedichten in verschiedenen Batteriesystemen oder Brennstoffzellen-Technologien. Die neue Aufgabe hatten wiederum die Amerikaner gesetzt: Runter mit den Emissionen.

Und nicht nur in Kelkheim gingen die Lichter aus. Batterieforschung war gestern, jedenfalls in Deutschland. Kein Vorstand eines Batterieherstellers hätte anders entscheiden können: Das Brot-und-Buttergeschäft Starterbatterie hatten Lopez und seine Epigonen zu einem Billigprodukt ohne Renditen werden lassen. Forschung war so nicht mehr zu finanzieren. Nun hatten die Amerikaner auch noch den Druck aus dem Kessel gelassen. Also Schluss damit!

Neue Heimat für die Batteriechemie

Erst die Japaner, dann die Koreaner und die Chinesen sahen das anders. So ließ Deutschland mal wieder eine Technologie in die Welt ziehen und schaute tatenlos zu, wie andere die deutsche Elektrochemie überholten. Die Automobilhersteller mussten sich auf die neuen Schadstoffgrenzwerte konzentrieren und die Batterieindustrie machte sich daran, die Kosten an der hundertjährigen Blei-Säure-Batterie pfennigweise zu reduzieren.

Beide waren auf ihre Weise unterschiedlich erfolgreich. Die Starterbatterien gibt es immer noch. Und die Autohersteller müssen sich ihre Stromspeicher heute in Asien beschaffen. Erst seit wenigen Jahren wächst das Bewusstsein, dass die Technologie für die Fahrbatterie ein strategischer Faktor ist, den wir auch dann nicht in der Hand haben werden, wenn wir den Vorsprung der anderen technologisch aufholen und Batteriewerke in Europa bauen. Auch dieser Zug ist uns vor der Nase weggefahren.

Technologische Führerschaft wandert

Das ist umso misslicher, als die Automobilindustrie bisher gut von dem Ruf gelebt hat, die technologisch führenden Automobile anzubieten. Im Bereich der Elektromobilität haben die deutschen Unternehmen ihre Chance vergeben. Jetzt laufen sie auch bei ihrer ehemaligen Kernkompetenz hinterherlaufen.

Aber dafür sind wir in Europa nun auf dem besten Weg, mit Verbrennerverbot und der ungemein scharfen Abgasvorschrift Euro VII die „Fliege“ Emissionen mit drei Klappen zu schlagen: Der Antrieb, der bisher unseren Wohlstand garantierte, wird verboten. Bevor es soweit ist, wird er durch sinnlos harte Emissions-Auflagen so verteuert, dass auch sein Export zum problem wird. Und wir werden auf eine Technologie eingeschworen, bei deren Kernelement andere führend sind, die dazu auch noch die Rohstoffe in der Hand haben.

Das Schicksal als Fast Follower

José Ignacio López de Arriortúa hatte das sicher nicht im Sinn, als er für Volkswagen den „Würger von Wolfsburg“ gab. Dabei ging es um Taktik. Vermutlich wäre es auch zu viel der Ehre, wenn wir den Amerikanern Strategie unterstellten, weil sie erst die Investitionen in die Elektromobilität auslösten, dann auf die ebenso kostenintensive Emissionsreduzierung umschalteten und nun mit dem „Inflation Reduction Act“ von US-Präsident Jo Biden wieder die Null in den Blick nehmen.

Und die Europäer folgen ganz schnell dem Geld – auch als Fast Follower, weil sie bei einer strategischen Technologie ins Hintertreffen geraten sind. So könnte es uns bei den synthetischen Kraftstoffen nun wieder ergehen. Wer hat´s erfunden? (cen/Peter Schwerdtmann)

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Historische A-Klasse (W168) beim "Elchtest".

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Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz

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Mercedes-Benz Necar von 1994, MB 180 BZ.

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Foto: Auto-Medienportal.Net/Wikipedia/Van Valder 137

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Smart Electric Drive.

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Varta Professional Deep Cycle AGM.

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Brennstoffzellenfahrzeug Volkswagen Touran Hy Motion der zweiten Generation.

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Prototyp eines Toyotas mit Brennstoffzellen-Antrieb an einer der drei Wasserstofftankstellen in Hamburg.

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Foto: Auto-Medienportal.Net

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Brennstoffzellensystem von Schaeffler.

Brennstoffzellensystem von Schaeffler.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Schaeffler

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Opel Vivaro-e Hydrogen, Umrüstung bei OSV in Rüsselsheim, Brennstoffzelleneinheit.

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Foto: Autoren-Union Mobilität/Frank Wald

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Metallische Bipolarplatten sind ein Schlüsselelement der Brennstoffzellen-Stacks.

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Foto: Autoren-Union Mobilität/Schaeffler

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Brennstoffzelle auf dem Prüfstand bei Mahle in Stuttgart.

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Foto: Autoren-Union Mobilität/Mahle

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Bau der Fahrbatterie bei Audi.

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Foto: Auto-Medienportal.Net/Audi

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Toyota Auris Hybrid: Die Nickel-Metallhydrid-Batterie liegt quer im Kofferraum und lässt 310 Liter sehr flachen Laderaum übrig.

Toyota Auris Hybrid: Die Nickel-Metallhydrid-Batterie liegt quer im Kofferraum und lässt 310 Liter sehr flachen Laderaum übrig.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Toyota

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