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Der lange Weg zur Freiheitsenergie

Große Worte zeitigen oft große Zahlen. In seiner historischen Rede am Sonntag, 27. Februar 2022, vor dem Bundestag spricht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von 100 Milliarden für die Ausrüstung der Bundeswehr. Die historische Sonntagsrede nutzte Finanzminister Christian Lindner (FDP) für sein großes Wort: „Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien.“ Die große Zahl dazu folgt kaum eine Woche später. Lindner und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einigen sich auf ein 200-Milliarden-Euro-Paket für die Klimawende und größere Unabhängigkeit von Öl- und Gasimporten.

So viel war nie. Deswegen läuft längst das große Ringen um das schlagkräftigste Argument: Bei den einen steht die Klimakatastrophe schon am Himmel. Andere fürchten Horizontverschmutzung durch Windkraftanlagen. Die Kohlekumpel jubeln klammheimlich. Angesichts des Angriffskriegs mitten in Europa zerplatzen Pläne, Träume und Visionen, auch die Illusion, Russland sei ein verlässlicher Partner.

Warum schalten wir den nicht einfach ab?

Zum ersten Mal droht Russland damit, die Gasleitung Nordstream 1 zu kappen. Nun wird überdeutlich, was Minister Habeck meinte, als er am vergangenen Wochenende sagte, für den Sommer sehe er keine Probleme bei der Energieversorgung. Der kommende Winter bereite ihm Sorgen. So oder so: Ob wir Russland oder Russland uns die Versorgung abschneiden – der Weg zur „Freiheitsenergie“ ist lang. Und er beginnt mit einem Spurt, mit einem Ringen um kurzfristige Lieferungen aus anderen Quellen. Auch wenn es gelingen sollte, in anderen Regionen der Welt die Liefermengen hochzufahren, sie bezahlen und nach Europa schaffen zu können – die nun strategisch notwendige Unabhängigkeit in der Energieversorgung wird uns mindestens dieses Jahrzehnt kosten. Und es wird teuer.

Die Ausgangslage in Deutschland

In Deutschland haben wir einige Weichen gestellt. Wir wollen die Kernenergie bis zum Ende dieses Jahres abschalten. Drei Kraftwerke sind noch am Netz. Die Betreiber seien offen für Gespräche, berichtete am vergangenen Wochenende der Bundeswirtschaftsminister im ZDF, er lasse prüfen, ob ein längerer Betrieb in Deutschland etwas nützen würde. „Aber nach dem, was man absehen kann, ist das nicht der Fall.“ Der Ausstieg läuft also seiner Meinung nach weiter. Für das vergangenen Jahr ermittelte das Fraunhofer ISI einen Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung in Deutschland von noch 13,3 Prozent. Seitdem sind drei Kraftwerke heruntergefahren worden.

Zur selben Zeit lag der Anteil des aus Braunkohle gewonnenen Stroms bei 20,2 Prozent. Doch die Koalition lebt mit dem Beschluss, nach Möglichkeit bis 2030 aus der Braunkohle auszusteigen. Die Regierung wird daran festhalten wollen, aber unter den neuen Umständen nicht können. So wird der grüne Wirtschaftsminister zitiert mit der Aussage, die Versorgungssicherheit sei wichtiger als die Klimakrise, und die Ministerpräsidenten der Kohleregionen frohlocken. Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) sagt voraus, der Termin 2030 sei nun nicht mehr zu halten. Die Steinkohle aus Russland trug bisher 9,5 Prozent zur Stromerzeugung bei, das Erdgas 10,5 Prozent. Mehr als die Hälfte des Gases kommt heute aus Russland.

2021 weniger Erneuerbare

Für den Gesamtanteil der Erneuerbaren 2021 am deutschen Strom ermittelte das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung einen Wert von 45,7 Prozent, fast fünf Prozent weniger als im Vorjahr. Die Windkraft trug 23 Prozent bei. Die Photovoltaik 9,9 Prozent, die Biomasse 8,8 Prozent und die Wasserkraft vier Prozent.

Was bei der Stromerzeugung auf der Seite der erneuerbaren Energien noch ganz hoffnungsvoll aussieht, verliert jeglichen Glanz, wenn es um die Wärme geht. Hier liegt der Anteil der Erneuerbaren unter 20 Prozent.

Der Blick über die Gesamtsituation zeigt, dass wir bei Wegfall der Kernenergie sowie des Wegfalls der Steinkohle und des Erdgases aus Russland Energieersatz finden müssen. Das gilt aber nur, solange wir die Braunkohle – den klimafeindlichsten Brennstoff – weiter voll im Spiel halten. Sonst gibt es bei uns wieder einen „Kriegswinter“ mit Frieren im Dunkeln.

Auf der Suche nach dem Gas für Morgen

Obwohl auch Erdgas das Klima schädigt, müssen wir nun dringend Verkäufer finden, die es uns per Rohrleitung liefern können. Denn Terminals für Gastanker gibt es in ganz Europa, aber nicht in Deutschland. Optimisten hoffen, in fünf Jahren das erste eröffnen zu können. Liquefied Natural Gas (LNG) – oft im umweltschädlichen Frackingverfahren gewonnen – dient uns als Übergangstechnologie, was uns neuerdings von der EU erlaubt wird, nachdem wir dem Ausbau der Kernenergie in Frankreich zugestimmt hatten. Ein LNG-Terminal kann später Wasserstoff aufnehmen.

Warum sich die Windkraft in den vergangenen Jahren rückläufig entwickelte, demonstriert zurzeit am deutlichsten Bayern. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) meinte es nicht nur ironisch, als er vor kurzer Zeit sagte, er wolle sich seine Berge nicht verschandeln lassen. Ein sachlicher Grund für den Zeitbedarf liegt in den langen Planungsphasen und den unsäglichen Vorschriften für den Bau einer Anlage, verlängert durch viele Söders.

Der Koalitionsvertrag der Ampel sieht vor, dass in Zukunft alle gewerblichen Neubauten mit einem Solardach versehen sein müssen. Privaten Bauherren wird das dringend ans Herz gelegt. Aufgrund der Zuschüsse des Staates und aus Sorge vor zukünftigen Stromabschaltungen könnte das bei Investoren und Bauherren ebenso Interesse und Gegenliebe finden wie Wärmedämmung und Wärmepumpen.

Strom allein macht nicht glücklich

Doch selbst, wenn es uns gelänge, unseren Strombedarf von rund 500 Terrawattstunden (TWh) noch in diesem Jahrzehnt aus regenerativen Quellen zu speisen, so läuft davon noch kein Stahlwerk, fliegt kein Flugzeug, fährt kein Schiff und fährt noch nicht einmal ein Auto. Uns fehlt dafür der Kraftstoff.

Auch die Vision, wenigstens Benzin und Diesel in Fahrzeugen durch Strom ersetzen zu können, erweist sich nun als Illusion. Glaubt irgendjemand immer noch daran, dass die Elektromobilität den Transport der Zukunft bewältigen kann? Heute werden nur 1,3 Prozent aller in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge vollelektrisch betrieben. Der Bestand liegt aber bei rund 60 Millionen in Deutschland, weltweit bei 1,4 Milliarden. Das wird nun viele zusätzliche Jahre brauchen, hier Anteile zu erzielen, die das Klima beeindrucken könnten.

Die verpönte Chemie soll es bringen

Die Antwort für den Verkehr liegt auf der Hand: die Naturwissenschaften Chemie und Physik und das Know-how unserer Ingenieure. Es ist längst keine Hexerei mehr, aus Pflanzenresten hochreinen Diesel herzustellen oder aus Wasser mit elektrischer Energie Wasserstoff werden zu lassen, der sich wiederum zu Diesel, Benzin oder Kerosin verwandeln lässt. Diese mit Strom erzeugten künstlichen Kraftstoffe (e-Fuels) benötigen für den Weg von der „Raffinerie“ bis in den Tank keine neue Infrastruktur, sind aber CO2-neutral und schadstoffarm.

Das Herstellen der e-Fuels kostet viel elektrische Energie. Und Strom ist knapp. Deswegen wenden sich viele Experten gegen alle künstlichen Kraftstoffe. Doch deren Argumente hat Putin abgeschossen. Unabhängigkeit gibt es nur über die Erneuerbaren und den damit erzeugten grünen Wasserstoff. In Asien mehr als in Europa hat die Wirtschaft den Wasserstoff nicht nur als Kraftstoff für den Verkehr im Blick. Seit Jahren sprechen sie von der Wende zur Wasserstoffwirtschaft. Und nun drängt die Zeit. Wasserkraft, Biomasse, Photovoltaik und Wind müssen die Rolle der fossilen Brennstoffe nicht nur übernehmen, sie müssen sie in der Menge deutlich übertrumpfen, damit die Industrie, das Wohnen und die Mobilität nicht auf der Strecke bleiben.

Energiesicherheit ist Sicherheit

Nikos Tsafos vom Center for Strategic on International Studies bringt es auf einen Punkt, der in diesen Tagen besonderes Gewicht hat: „Früher oder später ist Energiesicherheit einfach Sicherheit.“ Das hält Putin uns vor Augen. Und wir sehen uns zu einem gewaltigen, gesamteuropäischen und umfassenden Aufrüstungsprogramm genötigt. Wenn das abgearbeitet ist, haben wir zwei Ziele erreicht: Sicherheit und Klimaschutz.

Auch der frisch fusionierte Wirtschaftsverband Fuels und Energie (en2x) will Klimaschutz und Versorgungssicherheit durch eine Vielfalt CO2-neutraler Produkte stärker verknüpfen. Er sieht seine Mitgliedsfirmen in einer treibenden Rolle beim massiven Ausbau erneuerbarer Energien, dem Hochlauf einer internationalen Wasserstoffwirtschaft und einer breiteren Beschaffungsstruktur. Wir müssen dieses Rad in Deutschland nicht neu erfinden. Die Technologien sind bekannt und meist hierzulande entwickelt worden. Deren großtechnische Anwendung verlangt jetzt große Investitionen. Verteidigung der Sicherheit kostet Geld. Wir haben das Geld. Hoffentlich reicht die Zeit. (Peter Schwerdtmann, cen)

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