Es gibt Elektroautos. Und es gibt Tesla. Fans und Fahrer der Modelle sehen den kalifornischen E-Auto-Pionier als Künder einer neuen automobilen Zeitrechnung und sich selbst gleich noch gern als deren Apostel. Für Kritiker sind die einzelnen Model-Varianten ebenso überschätzte wie überteuerte Blender, deren lausige Fertigungsqualität nur noch von ihren schlagzeilenträchtigen Autopilot-Crashs und Rückrufen überboten werden. Doch das jüngste Model Y hat durchaus seine Vorzüge, wie wir bei einem Alltagstest feststellen durften.
Na klar, man grüßt sich. Begegnen sich zwei Tesla-Fahrer auf der Straße, wird in den meisten Fällen wie weiland bei Enten- oder Motorradfahrern die Hand gehoben. Offensichtlich fährt in einem Tesla der Gedanke, Teil einer exklusiven Gemeinschaft, wenn nicht gar höheren Sache, zu sein, immer mit. Schon egal, ob nun immer mehr Elektroautos traditioneller Hersteller durch Stadt und Land surren. Ein Tesla ist sozusagen immer noch die Urform des elektrischen Fahrens und sein Fahrer das Original unter einer wachsenden Flut von Nachahmern. Gesteigerte Beachtung findet aktuell das jüngste Modell des US-Elektro-Pioniers, das Model Y, das zurzeit noch aus dem Tesla-Werk in Shanghai zu uns rollt, in Zukunft aber im – bereits errichteten, aber noch nicht genehmigten – Werk im brandenburgischen Grünheide südöstlich von Berlin vom Band laufen soll.
Der Erstkontakt überrascht in doppelter Weise. Vermarktet wird das 4,75 Meter lange Model Y von Tesla als mittelgroßes SUV. Doch die aerodynamisch geformte Karosse mit ihrer niedrigen Front, der stark gebogenen Dachlinie, dem hohen Heckabschluss und den vielen Rundungen lässt eher an ein etwas groß geratenes Coupé denken. Auch die geringe Bodenfreiheit von 16,7 Zentimeter spricht nicht gerade für einen rollenden Hochsitz. Das minimalistische Design mit den modellierenden Lichtkanten und Sicken im Blech wirkt hingegen sehr eigenständig – vor allem in der Serienlackierung Pearl White. Farbige Lackierungen kosten 1200 bis 2200 Euro (rot metallic) Aufpreis.
Sieben Zentimeter breiter als das Model 3 und 18 Zentimeter höher bietet der jüngste Tesla-Sproß mit 2,89 Meter Radstand und der Sandwichkonstruktion von Batterie-Bodenplatte und Karosserieüberbau viel Platz für Mensch und Material. Während vorne wie hinten vier Personen sehr kommod sitzen, ist vor allem der Stauraum für Gepäck und Gedöns in dieser Konfiguration mit 854 Litern äußerst großzügig bemessen. Unter der Fronthaube öffnen sich weitere 117 Liter und werden auch die Rücksitzlehnen umgelegt passen sogar maximal 2158 Liter rein. Konzeptuell ist das Model Y gar als Siebensitzer ausgelegt, der in Europa aber bis auf weiteres nicht angeboten wird.
Wollte man das äußere Design noch als puristisch beschreiben, so sind Interieur und Cockpit so unfassbar reduziert und schlicht gestaltet, dass man sich in einem Erlkönig wähnt, in dem erst mal nur das Notwendigste verbaut ist, um damit ein paar Runden zu drehen. Auch wenn die Verarbeitung auf den ersten Blick einen soliden Eindruck macht, von der Detailfülle, Materialauswahl oder Fertigungsqualität eines Audi Q4 e-Tron oder Mercedes EQC ist das Model Y meilenweit entfernt, wie sich an dem reichlich verbautem Kunststoff sowie Fugen und Passungen zeigt, in denen ganze Kugelschreiber verschwinden. Tatsächlich gewinnt man schnell den Eindruck, die Tesla-Ingenieure haben zunächst die Software entwickelt und dann ein Auto drum herum konstruiert. Denn auch in Sachen Funktion und Bedienung bricht der Stromer mit allen Konventionen und macht die vielzitierte Metapher vom rollenden Smartphone plastisch greifbar.
Das beginnt schon beim Einstieg, für den es selbstredend keine Hardware mehr in Form eines Schlüssels gibt, sondern eine Chipkarte, die an einer Kontaktfläche auf der B-Säule des Fahrers erkannt wird. Besser aber noch, man verbindet und identifiziert sich über die personalisierte Smartphone-App. So lassen sich zugleich noch die Position, der Ladezustand oder die Klimatisierung checken und entsprechend einstellen.
Das schmucklose Cockpit selbst beschränkt sich wie angedeutet auf das allernötigste: Ein schlichtes Lenkrad mit zwei Multifunktions-Drehwalzen darauf, zwei Stockhebel für Gangwahl und Blinker dahinter, ein Mitteltunnel mit zwei Smartphone-Ladeschalen, Staufach und Cupholder sowie ein alles überragender 15 Zoll großer Touchscreen, über den so gut wie alle Fahrzeug-, Assistenz- und Infotainment-Funktionen gesteuert werden. Fast wie in einem Modell- oder Spielzeugauto für Erwachsene. Allerdings auch eins, das genauso einfach funktioniert – vorausgesetzt, man weiß, wo welche Funktionen in der weit verzweigten Menüstruktur zu finden ist.
Dazu braucht es eine gewisse Zeit und auch etwas Übung. So lassen sich auf dem Zentraldisplay etwa Lenkrad und Außenspiegel justieren, Fahrpedale, Rekuperation und Lenkung einstellen, das Display konfigurieren, Scheinwerfer und Beleuchtung regulieren, Autopilot und Navigation aktivieren sowie das Lademanagement kontrollieren. Der Verzicht auf sämtliche Tasten und Knöpfe sieht zwar irgendwie cool aus, birgt während der Fahrt aber auch große Ablenkungsgefahr. Selbst für das Handschuhfach oder die Geschwindigkeitseinstellungen der Scheibenwischer muss man ein Untermenü öffnen. Wobei es noch etwas länger dauert, bis man die Wischwasch-Funktion nicht per Fingertipp auf dem Monitor, sondern durch analogen Druck auf den Blinkerhebel gefunden hat.
Belohnt wird der Fündige aber auch mit ein paar sogenannten „Eastereggs“ oder – je nach Sichtweise – Albernheiten. Ein Tesla-Klassiker etwa ist das imaginäre Furzkissen, das sich in akustischen Modulationen („Von Sinnen-Furz“, „Hosenzerreißer“, „Falcon Heavy“, „Neurastink“, Fürzchen“) auf jeden Insassenplatz, aber auch beim Blinken oder auf Tastendruck aktivieren lässt. Ein neues Feature ist der Santa-Modus, bei dem durch die Spracheingabe „HoHoHo“ das eigene Auto in der Echtzeit-Bildschirmanimation als Santa-Claus-Rentierschlitten und die umgebenden Autos als Rentiere dargestellt werden. Passend dazu ertönen „Jingle Bells“ beim Blinker setzen, oder man beschallt gleich seine ganze Umgebung damit. Und es wäre kein Auto von Elon Musk, wenn sich in der Kartennavigation die Erde- nicht auch durch eine Marsoberfläche ersetzen ließe. Oder die Straßendarstellung per mehrmaligen Stockhebelzug in Regenbogenfarben erstrahlt. Auf Knopfdruck lässt sich auf dem Touchscreen aber auch ein imaginäres Lagerfeuer entzünden, zu dem das System aus der Spotify-Liste die passende Musik einspielt.
Doch genug der Spielerei, jetzt geht’s los – und das erwartungsgemäß flott und lautlos. Die beiden Elektromotoren an Vorder- und Hinterachse schieben mit ihren 378 kW (514 PS) Systemleistung die zwei Tonnen schwere Fuhre souverän nach vorn. In 5,0 Sekunden sprintet der Allradler auf Landstraßentempo und lässt mit 217 km/h in der Spitze viele gedrosselte Stromer seiner Klasse (VW ID 4, Audi Q4 e-Tron) hinter sich. Für die von uns gefahrene Maximum Range-Version mit 77 kWh-Akku und 19-Zoll-Serienbereifung verspricht Tesla eine Reichweite von 565 Kilometern bei 16,9 kWh Verbrauch nach WLTP. Die Zahlen sahen wir jedoch nie im Bordcomputer, der als Verbrauch je nach Fahrweise immer eine 20 vor dem Komma ausspuckte und die Reichweite de facto dann nie mehr als 430 Kilometer betrug.
Der Fahrkomfort ist zwiespältig. Auf ebener Straße und mit ordentlich Tempo surrt das Model Y noch ganz entspannt dahin. Bei langsamer Fahrt jedoch rumpelt der Wagen mit seinem Batteriepack im Boden eher unsanft über jeden Gullydeckel und Asphalt-Riss im Belag. Das allerdings ist das Los eines jeden E-Mobils mit schweren Akkus im Keller. Die großen 19-Zoll-Räder, obwohl schon die kleinsten im Programm, tragen auch nicht gerade zum Abrollkomfort bei. Konkurrenten setzen hier auf adaptive Dämpfer, die es bei Tesla jedoch weder für Geld noch gute Worte gibt.
Andererseits bringt der daraus resultierende tiefe Schwerpunkt eine spürbare Stabilität ins Auto – und zunehmendes Vertrauen für den Fahrer. Trotz seines hohen Aufbaus und dem üppigen Kampfgewicht dreht der Tesla auch in engen oder schnellen Kurven mit großer Ruhe und ohne großes Wanken seine Runden. Hier macht sich das straffe Fahrwerk dann wieder positiv bemerkbar. Doch das Model Y ist sicher kein Sportler, sondern eher geräumige Familienkutsche, auch wenn die hohen Beschleunigungswerte immer mal wieder dazu verleiten, das Fahrpedal stärker als nötig durchzudrücken. Doch der Blick auf die Reichweitenanzeige bremst rasante Anwandlungen des E-Fahrers ohnehin schnell wieder ein.
Wobei das gesamte Lademanagement zum konkurrenzlosen Produktvorteil eines jeden Teslas gehört. Vor allem das eigene Netzwerk aus Supercharger-Schnellladesäulen, von denen es inzwischen mehr als 7300 an über 700 Standorten in Europa gibt, ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal, mit dem für Teslafahrer die Langstrecke ihren Schrecken verliert. Bei jeder Zieleingabe plant das System automatisch die einzelnen Etappen inklusive Ladezeiten, Verfügbarbarkeit der Säule und optimaler Temperierung der Batterie ein. An der Säule angekommen, greift man einfach nur noch den Stecker, mit dem sich sogar der Anschluss am Wagen öffnen lässt, und der Ladevorgang startet. Und je schlapper der Akku, umso schneller geht’s. An den neuen Supercharger-Säulen (V3) sollen sogar bis zu 250 kW möglich sein. Bei unserem ersten Stopp mit 8 Prozent Akkustand ging es mit 195 kW los, um 12 Minuten und 282 Kilometer Reichweite später bei 91 kW zu landen. Bei den empfohlenen 80 Prozent dröppelte der Stromfluss dann mit 55 kW aus.
Einziger Haken: Bislang sind die Supercharger nur entlang der Autobahnen und Schnellstraßen zu finden. In den Städten sind auch die Teslas auf die öffentlichen Ladesäulen – und dem damit verbundenen Unzulänglichkeiten unterschiedlicher Anbieter und Tarife – angewiesen. Allerdings testet Tesla zurzeit in Berlin und München seine ersten urbanen Lade-Hubs. Und die Resonanz ist offensichtlich sehr groß, wie wir bei einem Hauptstadt-Trip bestätigen konnten. Morgens wie abends reihten sich an der Ladesäulen-Allee am EUREF-Campus in Berlin-Schöneberg vor allem Model 3, S und X wie an der Perlenschnur.
Apropos Stadt: Mit seiner üppigen Breite von 2,13 Meter inklusive der Außenspiegel und dem 12,3 Meter großen Wendekreis braucht das SUV hier und da ein sicheres Händchen beim Rangieren. Umso mehr als durch die breiten Dachsäulen und dem hoch angesetzten Heckscheiben-Guckloch nach hinten so gut wie nichts zu sehen ist. Immerhin gibt es serienmäßig Kameras rundum, so dass man im Normalfall keine Mühe haben sollte, den wuchtigen Trumm einzuparken. Andernfalls gäbe es optional aber auch noch den „Enhanced Autopilot“ (3800 Euro). Neben dem berühmt-berüchtigten Selbstfahrmodus, einem Spurwechselassistenten und einer automatische Längseinparkfunktion lässt sich der Wagen aus engen Parklücken oder der Garage per App „herbeirufen“.
Für serienmäßige Sicherheit an Bord sorgen ein adaptiver Tempomat mit Spurhaltefunktion, Front- und Seitenkollisionswarner, Spurverlassens- und Totwinkelwarner sowie Nebelscheinwerfer. Der erwähnte Emhanced-Autopilot umfasst einen vollautonomen Autobahnpiloten und eine Spurwechselautomatik. Eine weitere Option mit der sperrigen Bezeichnung „Volles Potenzial für autonomes Fahren“ (7500 Euro) bietet zusätzlich eine Ampel- und Stoppschilderkennung sowie in naher Zukunft einen autonomen City-Lenkassistenten. Wohlfühlambiente verbreiten unter anderem elektrisch verstell- und beheizbare Vordersitze, ein Premium-Audiosystem mit 14 Lautsprechern, getöntes Panorama-Glasdach, HEPA-Luftreinigungsfilter, 4 USB Anschlüsse und induktive Ladeplätze für zwei Smartphones. Die Preise starten ab 56.990 Euro. (aum/Frank Wald)
Daten Tesla Model Y
Länge x Breite x Höhe (m): 4,75 x 1,92 x 1,62
Radstand (m): 2,89
Motor: Dualer Elektromotor, Allradantrieb, getriebelose Automatik
Leistung: 514 PS (378 kW)
Max. Drehmoment: k.A.
Batterie: Lithiumionenbatterie, 77 kWh
Höchstgeschwindigkeit: 217km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 5,0 Sek.
Elektr. Reichweite: 565 km
WLTP-Durchschnittsverbrauch: 16,9 kWh/100 km
Effizienzklasse: A+
CO2-Emissionen: 0 g/km
Leergewicht: 2003 kg
Anhängelast (gebremst): 1600 kg
Kofferraumvolumen: 854 - 2158 Liter
Bodenfreiheit: 16,7 mm
Reifengröße: k.A.
Basispreis: ab 56.990 Euro
Testwagenpreis: ab 65.970 Euro
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