Der Zug ist abgefahren, nach Überzeugung der Signalgeber in Richtung Zukunft. Die Pfeife eines Bahnhofsvorstehers zwischen den Lippen, schickten ein Minister und zwei Bahnvorstände gestern vom Berliner Westhafen aus einen Test- und Demonstrations-Güterzug auf die Reise. Sein Clou: die digitale automatisierte Kupplung (DAK) zwischen den Waggons.
High-Tech-Kupplungen dieser Art sind weit mehr als eine Vorrichtung zur Aneinanderreihung von Schienenfahrzeugen. Welch herausragende Bedeutung ihnen bei der Abwicklung des Güterverkehrs und letztlich auch für den Umweltschutz zukommt, erschließt sich erst bei näherer Betrachtung. Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing wies bei der Vorstellung der DAK darauf hin, dass es darum gehe, wachsende Transportbedürfnisse von Ländern und Unternehmen „in Einklang mit den Klimazielen zu bringen“. Während auf anderen Kontinenten automatische Wagen-Kupplungen längst gang und gäbe seien, werde in Europa seit etlichen Jahrzehnten eine alte manuelle Schrauben-Verbindung genutzt.
Das geht bisher so: Um Wagen zu verbinden, wird von einem Rangier-Arbeiter ein 20 Kilogramm schwerer Bügel auf den Haken des folgenden Waggons gelegt und anschließend durch Drehen an einem Schraubengewinde gespannt. Anschließend müssen Strom- und die Druckluftleitung für die Bremse manuell verbunden werden. Das ist nicht nur eine körperlich anstrengende Arbeit, sondern auch sehr zeitraubend. Bis ein Güterzug, der leicht 50 Waggons haben kann, vollständig durchgekuppelt, überprüft und zur Abfahrt bereit ist, kann es mehrere Stunden dauern.
Vollständig ohne Handarbeit kommt die DAK aus. Die Bahn hat sie gemeinsam mit verschiedenen Forschungseinrichtungen und Unternehmen entwickeln lassen und setzt nun auf eine europaweite Einführung der neuen Technik. Sie stellt nicht nur eine solide Zug- und Schubverbindung her, sondern schließt gleichzeitig automatisch auch die notwendigen Strom-, Luft- und Datenleitungen an. Die neue Kupplung spart also Zeit beim Rangieren vor der Abfahrt. Außerdem können vorbereitende Arbeiten wie die Bremsprobe oder die Erfassung der Wagenreihung automatisch und digital ablaufen. Güterzüge können, so die Deutsche Bahn, schneller und häufiger abfahren und so die Umschlagkapazität der Rangierbahnhöfe steigern.
Was hat das mit Umweltschutz zu tun? In Deutschland wird ebenso wie in Europa der weitaus größte Teil des Güterverkehrs durch Lastwagen über die Straße abgewickelt. Dass die Bahn gegenüber dem Lkw in der Umweltbilanz deutliche Vorteile hat, ist zwar unbestritten, jedoch wird schon seit Jahrzehnten vergeblich versucht, mehr Tonnage auf die Schiene zu bringen. Laut Volker Wissing will die Bundesregierung den Anteil des gleisgebundenen Güterverkehrs in den nächsten acht Jahren bis auf 30 Prozent steigern. Dazu muss die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Lastwagen mittels Erhöhung von Kapazität und Effizienz verbessert werden. Die DAK hilft dabei, darüber hinaus sollen mehr größere Unternehmen Gleisanschluss bekommen oder stillgelegte vorhandene Anbindungen reaktiviert werden.
Außer der Verkürzung der Rangierzeiten werden der DAK weitere Vorteile zugeschrieben. Mit ihr können wegen der höheren Zugkraft der Kupplung schwerere und längere Züge gefahren werden. Und es geht nicht zuletzt ums Tempo. Güterzüge fahren bisher im Schnitt nur rund 100 km/h. Der Koordinationsbedarf mit den auf demselben Gleisnetz fahrenden bis zu 300 km/h schnellen Personenzügen ist hoch. Die neue Waggon-Kupplung erlaubt wegen der ebenfalls neuen elektro-pneumatischen Bremse eine Beschleunigung auf 120 km/h. Die erwünschte Folge: Güterzüge können im Netzverkehr leichter mitschwimmen und müssen nicht mehr so oft Personenzügen ausweichen oder sie haltend passieren lassen.
Der jetzt gestartete Testzug, der im Februar in Österreich und im März in der Schweiz die Werbetrommel für die europaweite Einführung der Güterwaggons rühren soll, rollt für eine Mammutaufgabe. Allein bei der Deutschen Bahn sind rund 63.000 Güterwagen im Einsatz, europaweit sind es rund eine halbe Million. Pro Waggon werden die Umrüstkosten auf 15.000 bis 17.000 Euro geschätzt. Staatliche und private Eisenbahnunternehmen müssen also überzeugt werden, diese Investition zu stemmen. Bis europaweit alle Loks und Waggons umgerüstet sind, dürfte es mindestens sechs Jahre dauern, schätzt Verkehrsminister Wissing. Doch der Ressortchef ist voller Optimismus. Es werde „ein 70 Jahre alter Missstand beseitigt“, sagte er in Berlin.
Zwar werden für die Umrüstungen innerhalb der EU sowie in Großbritannien, Norwegen und der Schweiz bis zu 8,5 Milliarden Euro gebraucht, dem stehe jedoch ein finanzieller Nutzen für die europäischen Bahnen von rund 760 Millionen Euro pro Jahr gegenüber, rechnet der Minister vor. (aum/Axel F. Busse)
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