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Kommentar: Wieder ein Dammbruch

Früher hatte der Begriff „Meinungsvielfalt“ fast Verfassungscharakter. So ein Wort wurde in Journalistenkreisen ins berufsethische Glaubensbekenntnis aufgenommen. Die neuen Medien haben uns aber auch gelehrt, dass Vielfalt an sich nicht immer erstrebenswert ist, falls sie dem Narzissmus des Verfassers oder irgendeiner Blase dient. Netznutzer haben es schwer, im Netz Nutzen zu finden und nicht Nichtsnutzen zu folgen. Hier den Kontrapunkt zu setzen, haben sich viele Kollegen zum Ziel gesetzt. Die wehren sich mit journalistischen Arbeiten zur Mobilität gegen das Hineinschwappen werblicher und marketinggetränkter Inhalte in solche Medien, denen ihre Nutzer (noch) vertrauen.

Die Aufgabe wird wieder ein Stück anspruchsvoller. Die BMW Group will mit einer eigens geschaffenen Agentur die gesamte Kommunikation des Unternehmens so schalten, dass alle das Gleiche hören – im Unternehmen und draußen. Das war immer Ziel eines Kommunikationschefs. Aber die totale Kommunikation schaffte keiner. Einzelinteressen standen dem stets entgegen. So weigerten sich die aus dem Journalismus stammenden Mitarbeiter der Presseabteilungen oft, dem Marketing eine Bühne zu bauen. Sie hielten Distanz (umgekehrt übrigens auch).

Dieses Bollwerk zwischen Werbung und Information bröckelt schon lange. Doch nun wird es von Großen der Automobilszene willentlich eingerissen. BMW kündigt heute an, ab 1. April die schnelle Einbahnstraße für konsistente Botschaften durch alle Instanzen bis in die redaktionellen Teile tragen zu wollen. Das Ziel ist „Orchestrierung“ der Kommunikation mit einem einheitlichen Narrativ über alle Ebenen und Kanäle.

„Narrativ“ – wieder so ein Wort, das vor ein paar Monaten niemand verwendete. Die moderneren Journalisten sprachen von „Story“, die konservativeren von ihrer „Geschichte“. Vom Wort her liegen die drei Begriffe dicht beieinander. Denn das Narrativ kommt vom lateinischen Verb für erzählen (narrare). Und doch liegen Welten zwischen den Bedeutungen. Die „Story“ wie die „Geschichte“ entsteht im Idealfall aus Information und Recherche, geschrieben von einem sachkundigen Journalisten. Das Narrativ aber kann auch ein Märchen sein oder eine Langfassung des aktuellen Werbeslogans oder die Ausrede oder etwas anderes, was Interessierte entwickelt haben, letztlich um es in die Medien zu heben und damit als wahr zu adeln.

Medien sind – auch wegen des Internets – heute nicht mehr so finanzstark, dass sie in allen Themenbereichen sachkundige Redaktionen vorhalten könnten, die in der Lage sind, Narrative über ihre eigene Recherche und Sachwissen richtig einzuordnen. Selbst große Verlage konzentrieren ihre Fachredaktionen oft in nur noch einer kleineren Zentrale. Aber es gibt sie noch, die sachkundigen Fachjournalisten, viele in kleinen Fachredaktionen, auch als Einzelkämpfer oder in freien Kooperationen, Redaktionsbüros und neuen Modellen der Zusammenarbeit wie der Autoren-Union Mobilität. Angesichts der Narrativschwemme können wir uns nur wünschen, dass sie alle die „Meinungsvielfalt“ in ihrem Glaubensbekenntnis hochhalten. (ampnet/Sm)

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Peter Schwerdtmann.

Peter Schwerdtmann.

Foto: Auto-Medienportal.Net

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