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Interview Stefan Bratzel: Euro 7 macht die Verbrenner teurer

Die Brüsseler EU-Kommission plant eine drastische Verschärfung der Abgasvorschriften für Benziner und Diesel. Über die Auswirkungen der neuen Vorschrift auf die Industrie und die Antriebstechnik hat das Auto-Medienportal mit Professor Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach gesprochen.

Zum Hintergrund: Nach den Vorstellungen einer Expertengruppe, dem so genannten Advisory Board on Vehicle Emission Standards, sollen vom Jahr 2025 an nur noch Automobile zugelassen werden, die im Rahmen der neuen Verordnung Euro 7 maximal 30 Milligramm Stickoxide pro Kilometer ausstoßen. Bisher liegt die Grenze für Benziner bei 60 Milligramm und für Diesel bei 80 Milligramm pro Kilometer.

Gleichzeitig sollen die Regeln für den „RDE-Test“, bei dem die Werte im realen Verkehr gemessen werden, ebenfalls deutlich strenger werden. Danach fällt unter anderem der bisherige Bonus für den Kaltstart ebenso weg wie die Höhenbegrenzung auf 1600 Meter, und die Werte sollen bei Temperaturen von minus sieben bis 35 Grad eingehalten werden. Außerdem sieht das Expertenpapier vor, dass die Grenzwerte in allen Fahrzuständen und bis zu einer Laufleistung von 240.000 Kilometern (oder 15 Jahre) erzielt werden. Die Expertengruppe hat, wie von der Kommission gefordert, drei Vorschläge entwickelt, von denen die EU-Verantwortlichen offensichtlich die schärfste Version als Grundlage für die kommende Abgasnorm Euro 7 genommen hat. Welche Vorschriften nun in eine Verordnung gegossen werden, will die EU-Kommission in einem Jahr entscheiden. In Kraft treten soll die Vorschrift dann am 1. Januar 2025.

Frage: Herr Professor Bratzel, bedeutet die geplante Euro-7-Norm das endgültige Aus für den Verbrennungsmotor?“

Prof. Stefan Bratzel: „Ich wäre da etwas vorsichtig. Ich sehe nicht das Ende der Benziner und Diesel, doch richtig ist, dass durch die neue Norm die Kosten für die Entwicklung und die Produktion der Verbrenner deutlich steigen werden. Damit ist aber aus meiner Sicht nicht gleich das Ende dieser Antriebstechnik verbunden. Allerdings wird das Wettbewerbsverhältnis zwischen den Verbrennerfahrzeugen und den Elektromobilen schlechter, wovon wiederum der Elektroantrieb profitieren wird. Der Druck wird durch die neuen Normen auf Benziner und Diesel steigen und die Elektromobilität gewinnen. Einige der vorgeschlagenen Werte werden übrigens schon heute von einigen Dieselmodellen erreicht.“

Die geplante Vorschrift, dass die Abgasbelastung in allen Fahrzuständen immer gleichbleiben soll, widerspricht doch den physikalischen Gesetzen.

„Man muss dabei sehen, warum diese Forderungen jetzt erhoben werden und die Dinge strikter gehandhabt werden. Die Ausnahmeregelungen im Dieselumfeld sind in der Vergangenheit, freundlich formuliert, sehr großzügig wie zum Beispiel bei den so genannten Thermofenstern bis zu Rechtsverstößen ausgenutzt worden. Das ist wohl der Auslöser für die aktuellen Überlegungen gewesen. Da wird es aber in den kommenden Verhandlungen sicherlich noch Zugeständnisse geben. Es geht aber am Ende darum, dass die Grenzwerte in den meisten Fahrumständen eingehalten werden sollen und nicht mehr leicht ausgehebelt werden können.“

Welche Auswirkungen hat die geplante neue Norm auf die Arbeitsplätze in der Industrie?

„In dem Maße in dem die Elektromobilität 50 Prozent und mehr der Neuzulassungen ausmacht, wird sich die Zahl der Beschäftigten verringern. Wir schätzen, dass die Zahl der Arbeitsplätze bei Herstellern und Zulieferern bis zum Jahr 2030 um 15 bis 20 Prozent zurückgehen wird. Elektrofahrzeuge sind deutlich weniger komplex, und das führt zu einem deutlichen Rückgang der Beschäftigten. Das sind die negativen Begleiterscheinungen, doch am Grundsatzthema CO2-Einsparung führt kein Weg vorbei.“

Das ist gewiss richtig, doch wird bei der Konzentration auf die Elektromobilität der europäische Strommix mit seinem hohen Kohleanteil zu stark ausgeblendet. Sollte man nicht auch da eingreifen?

„Das ist richtig. Die Antriebswende ist nur dann sinnvoll, wenn wir auch eine funktionierende Energiewende erreichen. Am Ende des Tages muss eine Gesamtrechnung stehen, doch wir sehen jetzt schon, dass bereits heute bei der Elektromobilität eine positive CO2-Bilanz gibt. Die beiden Entwicklungen müssen parallel laufen. Wir können allerdings nicht so lange warten, bis wir 80 Prozent regenerative Energie haben, und erst dann mit der Mobilitätswende beginnen.“

Die Studie der EU-Experten spart die Frage der Treibstoffe vollkommen aus. Warum scheut die EU davor zurück, auf synthetische Treibstoffe zu setzen, die weitgehend CO2-neutral sind?

„Auf diesem Gebiet sollte man auf jeden Fall weiter forschen. Der energetische Wirkungsgrad der synthetischen Treibstoffe ist aber um ein Vielfaches schlechter als der Einsatz der Elektromobilität. Das funktioniert aus meiner Sicht nur, wenn wir regenerativen Strom im Überfluss haben. Im Moment hilft uns das nicht bei der CO2-Einsparung. Und auch den Herstellern hilft das nicht weiter, um die geplanten Abgasnormen zu erreichen. Da müssen noch viele Hausaufgaben gemacht werden. Allerdings müsste der Verbrennungsmotor für diese Energieträger nur leicht modifiziert werden. Auch bei der Wasserstofftechnik wird noch viel Zeit vergehen, bis sie flächendeckend eingesetzt werden kann.“

Die EU-Kommission hat die Expertenkommission angewiesen, technikneutrale Vorschläge zu machen. Am Ende hat die Kommission offensichtlich das schärfste der drei Szenarien gewählt. Gibt es dafür eine Erklärung?

„Die EU hat das Ziel, die CO2-Emissionen des Verkehrs nicht um 37,5 Prozent zu senken, sondern den Wert bis 2030 um 50 Prozent zu senken. Ich kann mir vorstellen, dass die Kommission den Frust des Dieselskandals noch in Erinnerung hat. Das will Brüssel nicht noch einmal erleben.“

Welche Konsequenzen hat die Konzentration auf die Elektromobilität auf das Mobilitätsverhalten? Die Reichweiten der Batterien werden in den kommenden Jahren nach Ansicht vieler Experten ja nicht übermäßig zunehmen.

„Ich bin mir nicht sicher, ob wir in den kommenden zehn Jahren nicht doch deutliche Sprünge bei den Themen Batteriezellen und Reichweite erleben werden. Vor kurzem hat zum Beispiel das Fraunhofer Institut zusammen mit dem niederländischen Forschungsinstitut TNO den Prototyp einer Batterie vorgestellt, der Reichweite von mehr als 1000 Kilometer ermöglicht. Es wird in Zukunft deutliche Verbesserungen geben. Da wird noch einiges passieren, so dass die Bilanz des Elektrofahrzeugs eher besser als schlechter werden wird.“

Euro 7 soll im vierten Quartal 2021 beschlossen werden und von 2025 an gelten. Was bedeutet dieser enge Zeitplan für die Entwickler?

„Das könnte in der Tat etwas knapp werden. Es kann nicht sein, dass man zu früh zu harte Werte ansetzt und die Industrie sich nicht darauf vorbereiten kann.“

Wie werden sich die geplanten Abgaswerte und die damit verbundenen Mehrkosten auf die Modellpalette auswirken? Wird es in absehbarer Zeit, keine Kleinwagen mehr auf dem Markt geben?

„Es wird immer schwerer werden, diese hohen Kosten für die Abgasreinigung im Kleinwagensegment zu realisieren. Da wird der Wettbewerb in Zukunft noch härter werden. Wenn die Kosten zu hoch werden, werden die Hersteller diese Modelle aus ihrer Palette streichen.“ (ampnet/ww)

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Professor Dr. rer. pol. Stefan Bratzel.

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Photo: Auto-Medienportal.Net/CAM

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