„Sprechen wir über Qualität“ – dachte sich Volkswagen, und lud am gestrigen Mittwoch nach Wolfsburg zum „Quality Talk“ ein. Das Schwerpunktthema war der Korrosionsschutz, den VW in den letzten zwanzig Jahren sichtlich verbessert hat. Blühende Kotflügel inkusive Biotop, wie einst beim Golf 3, gehören in Wolfsburg der Vergangenheit an. Von der ersten Wachsflutanlage 1978 bis zum Aluminiumprofil im Seitenschweller des ID 3 zeigte der niedersächsische Hauptsitz, was sich in der Zwischenzeit getan hat.
Nacktes Blech löst sich früh auf
Rost war der stetige Begleiter eines jeden Autofahrers in den 60er- und 70er-Jahren. Selbststtragende Karosserien wurden seinerzeit als nacktes Blech in den Lackkierraum gefahren und dort nur außen grundiert und mit Lack gesprüht. Auf der Rückseite des Blechs bildete sich folglich ein Nährboden für Korrosion. Wasser, Sauerstoff und Streusalz machten den Autos schnell den Garaus. Denn wo Korrosion einmal beginnt, kann sie höchstens noch verlangsamt werden. So nahm VW 1978 die erste Wachsflutanlage in Betrieb, um die Hohlräume und Falze gegen die Einflüsse der Natur zu sichern; und führte ab dem Folgejahr dynamische Korrosionsschutz-Tests durch.
Volkswagen verzinkt seit den späten 90ern
So erinnern sich viele an den ab 1983 produzierten Golf 2, der im Sommer durch stetigen Schnupfen auffiel: Aus den Türen und der Heckklappe lief die braune Wachssuppe bei warmen Temperaturen schier endlos hinaus. Der Nutzen war groß: Der Golf 2 korrodierte deutlich langsamer als sein Vorgänger. 1991, zum Start des Golf 3 stellte Volkswagen dann die Lackierhalle auf Wasserbasis-Lacke um und ordnete 1997 schließlich die Vollverzinkung an. Sie sorgte dafür, dass Witterungseinflüssen ausgesetzte Hohlräume erst die Zinkschicht opferten, ehe der Lochfraß das nackte Blech erreichen konnte. Das gleiche Prinzip findet sich im Schiffsbau mit der Opferanode, die ihr weniger edles Metall opfert, ehe das Salzwasser den Schiffsstahl zersetzt. Ein Spiel auf Zeit.
Aus den 90ern gelernt
Überhaupt war der Korrosionsschutz in den 90ern ein Marken übergreifender Aufreger: Bei Daimler rosteten die W202 und W210 aufgrund minderwertiger Bleche derart übel, dass der Konzern einen schwer zu korrigierenden Imageschaden erlitt, Opel erreichte mit dem Vectra A, Astra F und Corsa B ebenfalls einen qualitativen Tiefpunkt. Und auch der Golf 3 aus Wolfsburg hatte so seine Macken: in den vorderen Kotflügeln sammelten sich Laub, Sand, Schlamm und Wasser, sodass hinter dem Blechkleid der Gammel unaufhörlich fortschritt. Auch die Heckklappe bekam schon nach einigen Jahren die Masern. Als Reaktion darauf startete VW 1999 die Serienüberwachung und nahm zur Jahrtausendwende eine Steinschlagsimulationssoftware namens „Pebbles“ in Betrieb. So wollte man auch den Lack vor Verletzungen besser schützen.
Unterbodenverkleidungen schützen
Mit dem Jahr 2000, das für viele Hersteller ein Umdenken in der Qualitätssicherung bedeutete (auch die Rüsselsheimer verzinkten ihre Autos nun voll; in Köln wurden Blechkanten und Schweißnähte mit PVC bepinselt), schritt VW beim Korrosionsschutz weiter voran. Mit Unterbodenverkleidungen schottete man die Hohlräume am Unterboden von äußeren Einflüssen ab, auch in Wolfsburg wurden die Blechschnittkanten weiter verbessert und mit PVC-Paste abgeschottet.
KTL-Beschichtung dringt in kleinste Ritzen
2013 folgte mit der kathodischen Tauchlackierung (KTL) ein wichtiger Schritt in der Produktion. Dabei werden die bereits vollverzinkten und phosphatierten Karosserien in ein Tauchbad mit Lackpartikeln gefahren, die mittels eines elektronischen Feldes in nahezu jeden Winkel der Karosserie gelangen. Während des Vorgangs werden die Fahrzeuge mehrfach in verschiedene Richtungen gedreht. Dadurch ergibt sich einerseits eine praktisch lückenlose Beschichtung, andererseits eine enorme Lackausbeute von über 98 Prozent. Erst nach diesem Verfahren folgen heute Grundierung, Füller, Basislack und schließlich Zwei-Komponenten-Klarlack. Mögliche kleinere Lackierfehler werden ausgeschliffen und nach gespritzt.
VW macht Rost zur Teamarbeit
Um innerhalb der Produktion, aber auch schon bei der Konstruktion, korrosionsfördernde Fehler auszumerzen, rief VW 2014 eine Abteilung für den Korrosionsschutz ins Leben. In jedem Werk findet sich heute ein interdisziplinäres Team, das die braune Pest eindämmen soll. Erreicht wird das zum Beispiel durch extreme Fahr- und Witterungstests, die innerhalb von neun Monaten einen Zeitraum von zwölf Jahren (Dauer der Volkswagen-Durchrostungsgarantie) simulieren. Ausgiebige Fahrten durch Kies, Salzwasser, Schlamm und Sand geben Aufschluss über gefährdete Zonen. Wichtige Erkenntnisse fließen nach Möglichkeit noch in die aktuelle Baureihe ein.
Calciumchlorid ist ein regionales Zusatzproblem
Problematische Regionen sind vor allem Skandinavien, Russland und Österreich. Durch die kalten Winter sehen sich Städte und Kommunen dazu veranlasst ihrem Streusalz Calciumchlorid beizumischen, das dem ätzenden Salz eine stärkere Schlagkraft gegen das Blech verleiht. Durch die Beimischung wird der Gefrierpunkt von H2O weiter herabgesetzt, um die Straßen auch bei starken Minustemperaturen von Schnee und Eis zu befreien. Der Nachteil ist eine gesteigerte Fließfähigkeit der Salzlösung, die so in jede noch so kleine Ritze eindringen kann.
Neue Golf-Generation ist klüger
So verzichtet Volkswagen heute zum Beispiel beim Golf 8, so weit möglich, auf umgeschlagene Falze in denen sich Wasser sammeln kann und verklebt übereinander gelegte Bleche. An einem ausgestellten Exemplar des Kompaktwagens illustrierten die Wolfsburger zum Beispiel eine durchlässige Verbindung des vorderen Kotflügels zum Schweller, durch die Wasser und Dreck hindurch fließen können. Kritische Bereiche werden mit Heißwachs aus 360-Grad-Düsen geflutet, sodass auch unter dem Innenradlauf Hohlraumversiegelung aufgetragen wurden. Alle durch Rost gefährdeten Blechkanten wurden zudem mit PVC-Paste zugepinselt. Unter den auf Steinschlagschutz hin designten Schwellern, aber auch an anderen kritischen Teilen des Unterbodens, ist eine dicke PVC-Schicht aufgetragen, die das Blech vor äußeren Verletzungen schützt.
Bei VW wachsen die Roboter
Einzigartig bei Volkswagen ist die robotergesteuerte Wachsflutanlage, in die die Karosserien nach der Lackierung hinein gefahren werden. Innerhalb weniger Sekunden wird heißes Wachs aus unzähligen 360-Grad-Düsen von unten in die Hohlräume gespritzt – bei einer Temperatur von etwa 80 Grad. Heißwachs verwendet Volkswagen deshalb, weil es insbesondere am Unterboden später kaum abfließen kann, quasi festklebt. Durch den gleichmäßigen Auftrag sind nur 1,5 Kilogramm Versiegelung nötig. Nach der Einbringung von Heißwachs geht es weiter zur Kaltwachsanlage. Hier spritzen Roboterarme in die Türen und andere Hohlräume, die später direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind, ein. Zusätzlich sind die Türen ohnehin von innen bereits beschichtet, um Kondenswasser und Regenwasser vom Innenblech fern zu halten.
Hybridschweller im ID 3 ist besonders herausfordernd
Ein besonderer Fall in puncto Korrosionsschutz ist übrigens der Volkswagen ID 3. Er benötigt eine stabilere Seitenstruktur (Hybridschweller), um die innen liegende Batterie bei einem Unfall zu schützen. Problematisch wurde hier der Leichtbau: Um das Fahrzeug nicht unnötig durch die zusätzliche Struktur zu beschweren, wurde ein Mehrkammerprofil aus Aluminium in den Schweller gesetzt. Um Rost vorzubeugen war es hier allerdings nötig, eine strikte Trennung zwischen Stahl und Aluminium zu erreichen. So sind Aluprofil und innerer Schwellerhohlraum KTL-beschichtet und mit Wachs versiegelt. Das Aluminiumprofil selbst wurde in den Schweller eingeklebt und wird umgeben von warm umgeformtem Stahl mit Aluminium-Silicium-Beschichtung.
Volkswagen hat in den letzten Jahrzehnten ein stärkeres Bewusstsein für Karosseriequalität entwickelt und mit weltweit operierenden Teams stetig am Korrosionsschutz gearbeitet. Die Durchrostungsgarantie von zwölf Jahren entspricht übrigens der durchschnittlichen Lebensdauer eines Fahrzeugs. Und wenn das erste Bläschen da ist, gibt es für den Karosseriebauer nebenan auch nach diesem Zeitraum eine Reihe von Möglichkeiten, das Fahrzeug über kommende Jahrzehnte zu retten. Der 1978 gebaute Golf 1 ist bei Oldtimertreffen trotz der Rostproblematik ja auch noch ein häufig gesehener Gast. (ampnet/deg)
Mehr zum Thema: VW , Rostgarantie , Korrosionsschutz , KTL-Beschichtung , Hybridschweller , ID 3 , Golf 8
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