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Kommentar: Wenn der rote Knopf fehlt

Im modernen Kutschenbau sind wir mittlerweile über einige Hinder- und Ärgernisse hinweg. Autofahren war – gemessen an der Unfallstatistik – vor zwanzig Jahren eine Extremsportart, die nur wenige voll beherrschten. 1997 war die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten mit 8549 nämlich noch drei Mal so hoch wie heute. Zu verdanken haben wir das unter anderem auch dem elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP). In allen Fahrzeugen ist es heute serienmäßig, in einigen nicht abschaltbar, selbst in manchen als sportlich gepriesenen Fahrzeugen. Das ärgert.

Ein Auto, auf dem ein amtliches Kennzeichen angebracht ist, soll im Straßenverkehr seinen Zweck als Transportmittel erfüllen. So weit sind sich die Autofahrer und Hersteller einig. Im Vordergrund stehen hier Nutzwert, Sicherheit und Komfort. Für einige Käufer spielt aber noch etwas Anderes eine Rolle: der Fahrspaß.

Zu diesem gibt es verschiedene Definitionen. Der eine freut sich über die tolle HiFi-Anlage mit Bluetooth-Freisprecheinrichtung, der andere über das ruhige Dahingleiten, wieder andere über das schnelle und sichere Fahren auf der Autobahn. All das sind individuelle Fahrstile und Erlebnisse, gleichzeitig aber ganz normale Nutzungsarten eines Autos, in denen ESP der doppelte Boden ist, auf den man fällt, wenn unerwartete Fahrsituationen auftreten. Sobald man es deaktiviert, leuchten ja immerhin angsteinflößende Symbole im Kombiinstrument auf, die einen völligen Kontrollverlust in Aussicht stellen.

Doch dann gibt es da noch Autofahrer und Fahrzeugklassen, die zum höheren Lustgewinn die Kontrolle selbst ausüben möchten. Ob es sportliche Kompaktwagen, Roadster, Sportwagen oder gar – zu Neudeutsch – Hypercars sind: Ihnen allen ist gemein, dass sie im Allgemeinen von Fahrern besetzt werden, die das Fahrgefühl auch im Grenzbereich erleben möchten. So bieten viele Hersteller heute Autos an, die damit beworben werden, dass man mit ihnen auch auf dem Nürburgring schnelle Rundenzeiten fahren kann – also eine hohe Querbeschleunigung in Kurven erreichen kann.

Solche Autos erfordern einerseits Fahrkönnen, andererseits auch Verantwortung für das eigene Handeln. Wer beides zu besitzen glaubt, kann das ESP ausschalten und die Fähigkeiten des Chassis auf Herz und Nieren prüfen. Idealerweise geschieht das auf der Rennstrecke, sollte aber auch sonst zumindest möglich sein – sofern die Verantwortung mitfährt. Gerade der Berufsstand der Automobiljournalisten ist auf solche Prüfmöglichkeiten angewiesen, um das Fahrverhalten eines Autos voll einschätzen und darüber berichten zu können.

Im modernen Automobilbau schleichen sich nun langsam Entwicklungen ein, die solche Dinge unmöglich machen. So ist das ESP in manchen als sportlich gepriesenen Fahrzeugen nicht mehr deaktivierbar. Das mag man zwar als Sicherheit vor unerfahrenen Fahrern im Straßenverkehr ansehen und hat damit nicht Unrecht. Andererseits ist es eine Bevormundung von kundigen Autofahrern, die vor einigen Jahren weder den Streudienst, noch Winterreifen oder ABS kannten – und trotzdem noch leben.

Und es kommen Gefahren zum Tragen, die im Umkehrschluss nicht weniger riskant sind: Ungestüme Autofahrer verlieren mit eingeschaltetem ESP den Bezug zum Fahrverhalten ihres Autos und trauen sich Fahrmanöver zu, die sie ohne Stabilitätsprogramm nicht hätten umsetzen können. Da fliegen auf der regennassen Autobahn schwarze Kombis jenseits von Tempo 200 Kilometer pro Stunde an einem vorbei, deren Fahrer sich vor zwanzig Jahren hier nicht einmal die Richtgeschwindigkeit zugetraut hätten – zum Glück!
Auf der anderen Seite stehen Automobilhersteller, die mit gut programmierten Systemen über die Schwächen der Konstruktion hinwegtäuschen können.

Das ist sicherlich ein guter Weg, um Produktionskosten und Entwicklungsarbeit zu minimieren, aber kein guter Weg um ein Auto herzustellen, das ein authentisch-sportliches Fahrgefühl wiedergeben soll. Ein Hindernis ist es für diejenigen, die tatsächlich ein Auto gekauft haben, um damit auf der Rennstrecke ein paar Runden zu drehen. Mit eingeschaltetem ESP ist das nämlich in der gewünschten Form nicht möglich. Da drängt sich die Frage auf: Trauen die Automobilhersteller ihrem Käuferkreis oder ihrem eigenen Produkt nicht? Immerhin ist man bereits bei einem Fahrsicherheitstraining aufgeschmissen, wenn das ESP nicht deaktivierbar ist.

Bei aller Sicherheit, die das elektronische Stabilitätsprogramm ins Auto bringt, gibt es also auch Wermutstropfen für diejenigen, denen Autofahren nicht nur ein Nutzen, sondern ein Vergnügen ist. „Sei frech und wild und wunderbar“, lautet ein Teil des berühmten Zitats von Astrid Lindgren. Wenn sich dazu noch Fahrkönnen und Verantwortung gesellen, sollte man auch mal auf den sprichwörtlichen roten Knopf drücken dürfen. (ampnet/deg)

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Dennis Gauert.

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Foto: Auto-Medienportal.Net

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