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Kommentar: Mal weich wie Pudding, mal hart wie Stahl

Wie kaum eine andere Politikerin versteht es Svenja Schulze, ihres Zeichens Ministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, um den heißen Brei herumzureden. Jüngstes Beispiel der ministeriellen Paradedisziplin war am letzten Januar-Sonntag in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ zu sehen. Da versuchte der bedauernswerte Moderator Thomas Wald sage und schreibe fast sechs Minuten lang, von Frau Schulze eine Stellungnahme zu ihrer Haltung zu Tempo 130 auf Autobahnen zu bekommen. Vergeblich. Die Satire-Sendung „extra3“ meinte danach auf Twitter: „Das war wie der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln.“

Auf einem anderen Gebiet dagegen duldete die oberste Umweltschützerin der Republik keinen Widerspruch. Zur Debatte über Sinn und Unsinn der europäischen Grenzwerte für Stickoxide in der Luft fand sie auf ihrer Internetseite stahlharte Worte: „Wenn jetzt eine bestimmte Gruppe von Lungenärzten dazu aufruft, diese Grenzwerte sollen laxer werden, dann antworte ich: Die übergroße Mehrheit der Lungenärzte und Gesundheitswissenschaftler sieht das keineswegs so. Es gibt einen breiten wissenschaftlichen Konsens über die derzeitigen Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub.“

Gibt es nicht, Frau Ministerin.

Würden Sie sich nämlich die Mühe machen, in den 273 Seiten der Broschüre „Luftqualitätsleitlinie für Europa“ (ISBN 92 890 1358 3) zu blättern, die das Zustandekommen der Empfehlungen von 1994 für Grenzwerte zur Luftreinhaltung der WHO beschreibt, kämen auch Ihnen wahrscheinlich Zweifel. Denn der angeblich wissenschaftliche Konsens, den Sie anführen, steht auf ziemlich tönernen Füßen. Zwar bestand bei der Weltgesundheitsorganisation WHO damals Einigkeit darin, dass die Bevölkerung vor zu viel NO2 geschützt werden müsse, doch wusste niemand, wie viel zu viel ist.

Zwei Journalisten der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sind jetzt der Frage nachgegangen, wie der zurzeit gültige Grenzwert von Stickstoffdioxid (40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft) überhaupt zustande gekommen ist. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Zitat: „Die Wissenschaftler (Anmerkung der Red.: der WHO) widmen der Diskussion zu den Folgen von Stickstoffdioxid auf den Menschen einen eigenen Abschnitt, es sind nur sechs Seiten Text, doch die haben es in sich. Man wisse, dass eine kurze, und dafür sehr hohe Konzentration von NO2 in der Luft die Lungenleistung gesunder Menschen verringere, heißt es da, bei Lungenkranken gebe es ähnliche Effekte, vor allem bei Asthmatikern. Aber da ging es um Konzentrationen von bis zu 4700 Mikrogramm, und eben nur kurzzeitig.“ Für einen Jahresmittelgrenzwert völlig unzureichend. Denn nach Meinung der Experten gibt es keine Studien, die verlässlich genug sind, um „inakzeptable Gesundheitsrisiken bei Kindern oder Erwachsenen“ durch eine Exposition mit Stickstoffdioxid nahezulegen.
In einem Schreiben an die EU-Kommission empfahl die WHO dennoch später einen Grenzwert von 40 Mikrogramm, gab aber gleichzeitig den Hinweis, dass man diesen Wert in Ermangelung belastbarer Werte als schwammigen Richtwert ansehe. Die EU-Kommission hat offensichtlich die Einschränkungen der WHO-Experten unter den Tisch fallen lassen und die locker vorgeschlagenen 40 Mikrogramm in einer Verordnung als Grenzwert zementiert.

Die FAZ berichtet zudem, dass Alexander Kekulé, Medizinprofessor, Biochemiker und Direktor des Instituts für biologische Sicherheitsforschung an der Universität in Halle, im vergangenen Jahr den Grenzwertfindungsprozess bei der WHO und im Europäischen Parlament kritisch untersucht habe. Er sei zu dem Ergebnis gekommen, dass damals „schlampig“ und mit „heißer Nadel“ gearbeitet worden sei. „Erstens schätzte man einen Richtwert, ohne dass es dafür eine wissenschaftliche Begründung gab. Statt der 40 hätte man genauso gut 50 oder 70 Mikrogramm vorschlagen können. Zweitens nahm die Kommission den WHO-Richtwert für die durchschnittliche, individuelle Jahresbelastung und machte daraus einen Grenzwert“, so der Professor. Er schlägt stattdessen vor, sich des amerikanischen Beispiels zu bedienen: „Die sehr strenge amerikanische Umweltbehörde empfiehlt 100 Mikrogramm, und dieser Wert ist erst im April 2018 überprüft worden.“

Dabei war es ausgerechnet diese EPA (Environmental Protection Agency) die vor 34 Jahren den Stein ins Rollen gebracht hatte. Kürzlich schrieb Professor Kekulé auf Zeit Online: „Wie kam die EU also auf ihren viel niedrigeren Grenzwert? Die Antwort ist ein Paradebeispiel für Kommunikationsstörungen zwischen Wissenschaft und Politik. Die EU legte erstmals 1985 einen Wert von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft fest, auf der Basis des damaligen Wissens. Im Jahr 1999 senkte sie ihn plötzlich auf 40 µg/m3. Warum? Die EU-Mitarbeiter hatten die Zahl 40 ungeprüft aus einem Gutachten übernommen, das eine Arbeitsgruppe der amerikanischen EPA gerade für die WHO angefertigt hatte. Dabei ist offensichtlich, dass diese Ziffer nicht taugt, um sie auf den Straßenverkehr zu übertragen. Sie basiert auf älteren Studien mit Gasherden."

Frau Ministerin, es wäre nett, wenn sie auch das zur Kenntnis nähmen. Dann müssten vielleicht Hunderttausende von Dieselfahrern nicht enteignet werden. (ampnet/hrr)

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Hans-Robert Richarz.

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