Holger Kintscher ist seit 2010 Finanzvorstand beim spanischen Automobilhersteller Seat. Zuvor war der aus Liebenau stammende Kintscher in verschiedenen Funktionen bei Volkswagen aktiv, darunter als Finanzvorstand bei VW Nutzfahrzeuge und Vorstandsmitglied bei Skoda. Bei Seat kann Kintscher für 2017 auf ein Rekordergebnis zurückblicken und optimistisch nach vorn schauen. Wir sprachen mit ihm.
Das Jahr 2017 ist ein Rekordjahr. Bei Seat ist man stolz darauf. Wie stolz ist man als Finanzvorstand auf ein solches Ergebnis?
Holger Kintscher: „Ich muss sagen, sehr stolz. Als ich im April 2010 hier angefangen habe, hat mir mein Chefkontrolleur völlig überzeugt dargelegt, dass es überhaupt nicht möglich ist, den Break-Even jemals zu erreichen – allerdings auf Basis der damaligen Produktpalette. Mit den neuen Modellen und vor allem dem Leon, der 2012 präsentiert wurde, kam die Wende. Es ging ein Ruck durch die Firma, man konnte merken wie stolz die Leute waren. Auch für Seat Deutschland war das die Trendwende. Ich persönlich bin dabei ganz besonders auf den deutschen Markt stolz, für den ich mal die Patenschaft übernommen habe. Was sich dort entwickelt hat, ist Weltklasse: 2017 erstmals über 100 000 Autos, das spricht Bände. Auch wenn wir jetzt zu lange Lieferzeiten beim Ateca haben. Luca (de Meo, Seat-Vorstandsvorsitzender. Anm. der Redaktion) hat gesagt, dies ist ein Luxusproblem. Ich kann die Leute verstehen, nicht so lange warten zu wollen. Aber es ist neu für uns, ein Luxusproblem zu haben (lacht).“
Sie sind seit 2010 bei Seat. Sie haben die Entwicklung miterlebt und mitgestaltet. War der Leon die wichtigste Weichenstellung? Oder anders gefragt, was macht Seat heute besser?
Kintscher: „Ja, die erste wichtige Weichenstellung war wirklich der Leon. Dieses Produkt so entwickelt zu haben, maßgeschneidert für den Kunden mit einem super Design zu vernünftigen Preisen war der richtige Schritt. Für die Firma waren außerdem die guten Ergebnisbeiträge sehr wichtig. Die vorherigen Modelle waren alle nicht so erfolgreich. Das war der erste entscheidende Kurswechsel, aber ich würde sagen, der darauf folgende war noch wichtiger – nämlich, dass wir uns im SUV- und Crossover-Segment etabliert haben. Der Ateca zeigt das ganz deutlich, denn er ist einerseits vom Ergebnisbeitrag her unser stärkstes Modell und andererseits in der Kundenakzeptanz anerkannt. Mit dem Arona haben wir im A0-Segment noch einen draufgesetzt. Das Auto ist sehr gut im Markt angekommen. Ich denke, im Herbst wird sich auch mit dem Tarraco zeigen, dass es wichtig war, in diese Segmente zu gehen.“
Dann war es also die richtige Entscheidung in den umkämpften SUV-Markt einzusteigen?
Kintscher: „Ja, auch wenn es eine schwierige und herausfordernde Aufgabe war, diese Entscheidung vom Konzernvorstand zu bekommen. Es gab immer einige Zweifler, die gesagt haben, dass wir schon zu viele SUV-Modelle im Konzern haben. Da kann ich aus heutiger Sicht sagen, dass die Segmententwicklung völlig unterschätzt wurde. Daher war es mehr als die richtige Entscheidung den Ateca auf den Markt zu bringen. Inzwischen haben wir gemeinsam mit Skoda Kapazitätserhöhungen umgesetzt. Der Einstieg in das SUV-Segment hat der Marke noch einmal einen Schub verliehen.“
Verbesserte Gewinnmargen sind ein zweiter Wachstumstreiber gewesen. Wie kann man die besseren Ergebnisse erklären, ist Seat effizienter geworden?
Kintscher: „Das liegt am angesprochenen SUV-Segment, dort können sie höhere Margen erzielen. Was wir auch gemacht haben und was man auf keinen Fall unterschätzen darf: In harter Kostenarbeit haben wir es geschafft, bei gleichbleibend guter Qualität Geld einzusparen – mit intelligenter Konstruktion. In mühsamer Kleinarbeit haben wir dies gemeinsam über alle Geschäftsbereiche erreicht. Das hilft uns, auch bei Hatchback-Modellen – wie beim Ibiza oder Leon – gute Ergebnisse zu erzielen.“
Wie fällt Ihre Bilanz für die Märkte Deutschland, Österreich und der Schweiz aus?
Kintscher: „Das sind alles gute Märkte für uns. Speziell bei Deutschland bin ich froh, wie stark sich dieser Markt für uns entwickelt hat. 2010 hatte ich wirklich Sorge, ob man das jemals auf ein gutes Niveau bringen kann. Heute ist Deutschland unsere wichtigste Vertriebsregion. Nicht nur volumenseitig, sondern auch ergebnisseitig ist der deutsche Markt der Bringer. Österreich ist sehr erfolgreich mit mehr als vier Prozent Marktanteil. Wenn wir das in Deutschland noch schaffen würden, wäre das toll (lacht). Die Schweiz entwickelt sich auch ansprechend, mit guten Ergebnisbeiträgen. Mit dem deutschsprachigen Raum bin ich absolut zufrieden.“
2018 begann für Seat verheißungsvoll. Was erhofft man sich noch in diesem Jahr?
Kintscher: „Der Start war wirklich gut. Wo wir alle jedoch sehr vorsichtig sein müssen, das sind die neuen Herausforderungen, die auf uns warten – speziell die neuen Produkte, die Elektrifizierung, die Digitalisierung und die neuen Mobilitätsservices. Das erfordert einen enormen Kraftaufwand, nicht nur im Sinne von Human Ressources, sondern auch von Investitionen und Entwicklungskosten. Daher würde ich die Erwartungen an das Ergebnis nicht zu sehr in die Höhe schrauben wollen. Es ist aber unser Ziel, das gute Ergebnis des vergangenen Jahres noch einmal zu toppen.“
Mit der Sportmarke Cupra hat Seat ein neues Kind. Was für Akzente versprechen Sie sich hier?
Kintscher: „Cupra als eigenständige Marke zu etablieren, war eine Idee von Luca. Ich denke, wir gehen da genau in die richtige Richtung. Die Ergebnisbeiträge hier sind doppelt so hoch, beispielsweise beim Leon in der Cupra-Variante gegenüber dem normalen Leon. Es gibt in einigen Märkten schon Kunden, die sich niemals einen Seat kaufen würden, einen Cupra aber schon. Deutschland gehört aber nicht dazu. So gewinnen wir Kunden, die wir sonst nie erreichen würden. Wir merken das auch innerhalb unserer Firma. Die Mitarbeiter sind stolz und willig, etwas auf die Beine zu stellen. Es macht Spaß. Wir haben das angestoßen, jetzt wird es auch ein Erfolg werden.“
Das Thema „Diesel“ beschäftigt gerade in Deutschland die Öffentlichkeit sehr. Wie sehen ihre Umsatzprognosen diesbezüglich aus?
Kintscher: „Ich glaube, der Diesel wird noch lange Zeit eine wichtige Antriebsart bleiben. Wir müssen auch auf die CO2-Werte blicken und da leistet der Diesel einen erheblichen positiven Beitrag. Die Infrastruktur für die Elektrifizierung ist noch nicht so weit und wer hat denn mal die Energiebilanz richtig aufgemacht? Wo kommt der Strom eigentlich her? Ich weiß nicht, ob Kohlekraftwerke der richtige Weg sind. Natürlich müssen wir auf alternative Antriebe setzen und zwar Schritt für Schritt. Die CNG-Technologie, also Gas, ist auch ein großer Gewinn. Den Diesel werden wir weiter brauchen. Ich halte es für richtig, langsam in Richtung Elektrifizierung zu gehen und zwar mit erneuerbaren Energien, aber nicht von heute auf morgen den Schalter komplett umzulegen.“
Sie wollen sich weiter entwickeln und die Geschäfte ausbauen. Das E-Auto 2020 ist ein großer Bestandteil Ihrer Planungen?
Kintscher: „Ja. Wir sind stolz, dass wir nach der Mutter Volkswagen die Zweiten sind, die auf der MEB-Plattform ein Elektro-Auto bauen. Das ist für uns eine riesen Chance. Das Ganze wird im A-Segment passieren. Wir gehen es Schritt für Schritt an. Es kommen auch Fragen nach einem möglichen e-Mii, was allerdings noch nicht abschließend geklärt ist. Wir haben in den letzten fünf Jahren unsere Investitionen immer aus dem eigenen Cash Flow ziehen können. Was unsere Ingenieure sich derzeit vorstellen und welche Pläne bei uns auf dem Tisch liegen, würde das durchkreuzen. Deshalb gehen wir es Schritt für Schritt an. In Deutschland haben wir aktuell eine Hysterie. Es ist unglaublich. Ich darf das als Deutscher so sagen. Der Diesel wird nirgends so verdammt, wie in Deutschland. Ich will nicht sagen, dass wir als Volkswagen-Konzern dieses Problem nicht mit erzeugt haben, aber die Fahrzeuge, die wir jetzt auf dem Markt haben, sind sowohl von den Stickoxiden als auch von den CO2-Werten top. Diesel wird sich auch in Deutschland wieder erholen und in Europa noch lange ein Thema bleiben. (ampnet/blb)
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