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Im Rückspiegel: Mercedes-Benz 300 SL Roadster war „ein großer Wurf“

Der 300 SL Roadster ist heute einer der begehrtesten und wertvollsten Klassiker von Mercedes-Benz. Seine Premiere erlebte der offene Zweisitzer mit der Baureihenbezeichnung W 198 vor 60 Jahren auf dem Genfer Automobilsalon im März 1957. Er löste das erfolgreiche Flügeltüren-Coupé 300 SL „Gullwing“ ab, das seit 1954 gebaut wurde. Insbesondere der nordamerikanische Markt hatte starke Impulse für eine offene Version des 300 SL gegeben. Technisch unterscheidet sich der Roadster in zahlreichen Details vom Coupé, welches sich wiederum vom erfolgreichen Rennsportwagen 300 SL ableitete.

Die Leser der nordamerikanischen Illustrierten „ Colliers Magazine“ wussten vor 60 Jahren als erste vom neuen Mercedes-Benz 300 SL Roadster. Denn die Stuttgarter Marke ermöglichte es dem Topfotografen David Douglas Duncan, für das Oktober-Heft 1956 der Zeitschrift einen Vorserien-Roadster zu inszenieren. Es war ein medialer Coup und gut überlegt, denn in den Vereinigten Staaten war seinerzeit die Nachfrage nach einer offenen Variante des 300 SL besonders groß. Seit 1954 hatte Mercedes-Benz bereits einen großen Teil der Coupés nach Nordamerika exportiert, gut 800 von insgesamt 1400 gebauten Fahrzeugen. Für die Bildreportage fotografierte Duncan, selbst langjähriger 300 SL „Gullwing“-Fahrer, den Roadster der Baureihe W 198 am Stilfser Joch und auch im Mercedes-Benz-Stammwerk Sindelfingen. Die endgültige Serienversion zeigte Mercedes-Benz dann im März 1957 auf dem Genfer Automobilsalon. Bis 1963 entstanden insgesamt 1858 Exemplare des Roadsters, der ab 1958 auch mit Hardtop lieferbar war.

Die Zeitschrift „Motor Revue“ schrieb über den neuen Sportwagen: „Vom Motor und Fahrverhalten her ist der 300 SL Roadster ein großer Wurf.“ Das Magazin charakterisierte den Sportwagen als „Reisefahrzeug für zwei Personen von überlegener Leistung und Straßenlage“. Nicht nur die Fachpresse war angetan von der offenen Version des „Gullwing“-Coupés. Auch Medien wie die Wochenzeitung „Die Zeit“ berichteten über die Premiere des „ 300 SL Roadster von Mercedes-Benz mit etlichen beachtlichen Verbesserungen“ (Ausgabe vom 21. März 1957).

Der 300 SL fuhr 1952, in der ersten Motorsportsaison der Stuttgarter Marke nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, großartige Erfolge ein. Von ihm wurde daher auch die Serienversion 300 SL „ Gullwing“ (W 198) abgeleitet, die Mercedes-Benz im Februar 1954 in New York auf der International Motor Sports Show zusammen mit dem Prototyp des 190 SL (W 121) präsentiert. Bald schon wurde deutlich, dass der Markt auch an einer offenen Version des Hochleistungssportwagens großes Interesse hatte. Am 20. Februar 1954 forderte deshalb der Leiter des Sindelfinger Karosserieversuchs, Karl Wilfert, die Entwicklung eines 300 SL Roadsters als Musterwagen. Friedrich Geiger, erster Leiter des damals noch als Stilistik bezeichneten Designbereichs in Sindelfingen, zeigte bereits am 5. Mai 1954 erste Entwürfe. Später entwickelte Geiger dann auch das passende Hardtop, welches die Silhouette des Coupés aufnahm.

Der Vorstand gab am 2. Juni 1954 grünes Licht für den Bau von zwei Versuchswagen und einem Vorstellungswagen. Im November 1954 wurde eine Serienproduktion des Fahrzeugs erst noch einmal verschoben. Am 26. Juli 1955 entschied der Vorstand dann endgültig: „Es wird beschlossen, den 300 SL Roadster mit aufsetzbarem Coupé-Dach zu bauen und nötigenfalls hierfür zusätzliche Leute einzustellen“, heißt es im Protokoll der Vorstandssitzung.

Die Weiterentwicklung des Coupés zum Roadster war mit einigen technischen Änderungen verbunden. Insbesondere mussten die Ingenieure den Gitterrohrrahmen verändern. Dieser hatte auf Grund seiner hohen Bauart an den Flanken einst die charakteristischen Flügeltüren des Coupés erfordert. Nun wurde der Rahmen an beiden Seiten der Karosserie aufwändig neu konstruiert, um bei unverändert hoher Verwindungssteifigkeit klassische Türen zu ermöglichen. Im Heck wurde der Rahmen ebenfalls modifiziert: Einerseits entstand Platz zum Einbau der Eingelenk-Pendelachse mit Ausgleichsfeder, außerdem wurde ein praktisch nutzbarer Kofferraum geschaffen. Schließlich sollte der Roadster noch viel stärker als das Coupé die Rolle eines sportlichen Reisewagens in der Tradition des luxuriösen Mercedes-Benz 300 S erfüllen.

Die Veränderungen führten zu einer Steigerung des Fahrzeuggewichts von rund 120 Kilogramm. Das Fahrverhalten des Roadsters begeisterte aber auf Anhieb. So heißt es in einem Versuchsbericht des Mercedes-Benz Ingenieurs Erich Waxenberger: „Der 300 SL Roadster mit Eingelenk-Hinterachse und Ausgleichfederung hat mit Sportfedern und -dämpfern eine wesentlich bessere Straßenlage als das 300 SL Coupé mit Zweigelenk-Hinterachse. Die starke Übersteuerungstendenz ist in eine leichte Untersteuerung geändert worden, so dass man dieses Fahrzeug innerhalb kurzer Zeit mit Sicherheit bis an die Grenze fahren kann. Nach Angaben von Herrn [Rudolf] Uhlenhaut und Herrn [Karl] Kling liegt der 300 SL Roadster bezüglich Straßenlage zwischen dem Grand-Prix-Rennwagen und dem 300 SLR.“ Ein besseres Zeugnis konnten die Väter der legendären Silberpfeil-Rennwagen dem Sportwagen kaum ausstellen. Im März 1961 wurde das Fahrwerk durch die Einführung von Scheibenbremsen an allen vier Rädern weiter verbessert.

Den Motor übernehmen die Ingenieure zunächst unverändert vom Coupé. Der Drei-Liter-Sechszylinder-Reihenmotor M 198 mit Benzineinspritzung und einer Leistung von 158 kW / 215 PS hatte einen Graugussblock. Er wurde im Frühjahr 1962 durch einen um 44 Kilogramm leichteren Aluminium-Zylinderblock ersetzt.

Neben dem Wegfall des Dachs unterscheidet sich das Design des Roadsters in verschiedenen Details vom Coupé. An der Front weist der offene Sportwagen senkrecht stehende Leuchteinheiten auf. Sie fassen Scheinwerfer, Nebelleuchten und Blinker unter einem gemeinsamen Deckglas zusammen. Dieses Element wurde in den Folgejahren das Erscheinungsbild der Mercedes-Benz Personenwagen prägen. Konstruktiv notwendig war ein Faltverdeck, das Friedrich Geiger entwickelt. Es galt wegen seiner einfachen Bedienbarkeit als das am schnellsten von Hand zu öffnende und zu schließende Verdeck seiner Zeit. Nach dem Öffnen wurde es unter einer Abdeckung aus Blech verborgen. Anderthalb Jahre nach der Markteinführung des Roadsters war auch das von Beginn an geplante Hardtop lieferbar.

Die 1952 mit dem 300 SL Rennsportwagen (W 194) begründete Tradition des sportlichen Mercedes-Benz SL führt der 300 SL Roadster konsequent fort: Für die Saison 1957 entstanden auf der Basis des offenen Sportwagens zwei 300 SLS genannte Fahrzeuge für den Einsatz in der nordamerikanischen Sportwagenmeisterschaft. Die Sonderanfertigungen waren jeweils 337 Kilogramm leichter als die Serienversion und hatten einen leistungsgesteigerten Motor mit 173 kW / 235 PS. Paul O’Shea, der bereits 1955 und 1956 mit dem „Gullwing“ die Meisterschaft in der Kategorie D gewinnen konnte, holte den Titel mit dem 300 SLS zum dritten Mal in Folge. In den frühen 1960er-Jahren starteten Eberhard Mahle und Gunther Philipp mit 300 SL Roadster in Sportwagenrennen.

Sportliche Leistung stellte auch die Serienversion unter Beweis, die in verschiedenen Getriebeabstimmungen erhältlich ist. Im November 1958 erreichte ein 300 SL Roadster mit der längsten lieferbaren Übersetzung von i=3,25 bei Fahrversuchen mit Rennscheibe und abgedecktem Beifahrersitz auf der Autobahn München–Ingolstadt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 242,5 km/h. Am 8. Februar 1963 verließ der letzte von 1858 gebauten 300 SL Roadstern das Montageband im Werk Sindelfingen.

Heute zählt der 300 SL Roadster zu den begehrtesten und wertvollsten Fahrzeugen von Mercedes-Benz. Top erhaltene und vor allem originale Fahrzeuge erreichen Marktpreise deutlich jenseits einer Million Euro. (ampnet/jri)

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Mercedes-Benz 300 SL Roadster (1960).

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Foto: Auto-Medienportal.Net/Daimler

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Mercedes-Benz 300 SL Roadster (1960).

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Mercedes-Benz 300 SL Roadster (1957–1963).

Mercedes-Benz 300 SL Roadster (1957–1963).

Foto: Auto-Medienportal.Net/Daimler

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Mercedes-Benz 300 SL Roadster (W 198): 1957 entstanden zwei besonders leichte Sonderausführungen für die amerikanische Sportwagenmeisterschaft (Foto vom Goodwood Festival of Speed 2014).

Mercedes-Benz 300 SL Roadster (W 198): 1957 entstanden zwei besonders leichte Sonderausführungen für die amerikanische Sportwagenmeisterschaft (Foto vom Goodwood Festival of Speed 2014).

Foto: Auto-Medienportal.Net/Daimler

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Mercedes-Benz 300 SL Roadster (W 198): Werksrestaurierung, im Mercedes-Benz Classic Center im Jahr 2011.

Mercedes-Benz 300 SL Roadster (W 198): Werksrestaurierung, im Mercedes-Benz Classic Center im Jahr 2011.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Daimler

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Mercedes-Benz 300 SL Roadster (Zeichnung aus dem Prospektblatt von 1957).

Mercedes-Benz 300 SL Roadster (Zeichnung aus dem Prospektblatt von 1957).

Foto: Auto-Medienportal.Net/Daimler

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