Logo Auto-Medienportal.Net

Interview: Wohin steuert Europas größte Leasinggesellschaft?

Heute vor 50 Jahren, am 18. Oktober 1966, startete die Volkswagen Leasing GmbH als erste automobile Leasinggesellschaft in Deutschland ihr Geschäft. Mittlerweile ist der Pionier mit einem Vertragsbestand von mehr als 1,2 Millionen Fahrzeugen die größte automobile Leasinggesellschaft in Europa. Weltweit haben die Volkswagen-Finanzdienstleistungen rund 2,7 Millionen Leasingverträge im Bestand. Alexander Voigt und Tim Westermann sprachen mit Prof. Dr. Carl H. Hahn, ehemaliger VW-Vorstandschef, und Gerhard Künne, Sprecher der Geschäftsführung von Volkswagen Leasing, über das Unternehmen.

In den 1960er-Jahren bereits ein großer Erfolg in den USA: Warum dachten Sie, Herr Hahn, dass das Leasing auch in Deutschland und Europa erfolgreich sein könnte?

„Es gab keinen einzigen Grund, in Europa etwas nicht zu bringen, das für die Kundschaft Fortschritt bedeutete. Die Amerikaner waren den Deutschen in der Kreativität des Bankwesens um einiges voraus. So lag es auf der Hand, zu überlegen, ob es Wege gibt, den europäischen Kunden die Finanzierung eines Autos zu erleichtern.“

Welche weiteren Vorteile bot dieses Geschäftsmodell?

„Eine sehr große Hilfe war dabei die Freisetzung von Kapital, sprich die Verbesserung der Liquiditätsposition – insbesondere für rasch wachsende Unternehmen. Folglich ließen sich auf diesem Weg die Eigenfinanzierungskraft stärken und Gewinne verbessern. Denn bei großen Unternehmen, zum Beispiel des Einzelhandels, war schon damals ein hoher Betrag in der Distribution gebunden. Dementsprechend war es nicht schwer, in den USA der 1950er-und 1960er-Jahre die Vorteile des Leasings zu erleben.“

In den USA gab es viele Innovationen. Warum setzten Sie ausgerechnet auf das Leasing-Geschäft?

„Es war einfach das Erste, von dem ich dachte, damit sollten wir unbedingt auch in Europa beginnen. Daher habe ich es dem damaligen Vorstand vorgeschlagen. So fing es an. Aber es war nicht einfach – für alle Beteiligten. Das galt besonders für unseren Vertrieb und unsere Verkäufer. Die redeten auf einmal nicht mehr mit einem klassischen Endkunden, sondern in der Regel mit einem Finanzbeauftragten, dem sie häufig das neue Prinzip erst erklären mussten. Aber unsere anfänglich noch kleinen Zahlen wuchsen schnell und bewiesen, dass die Europäer in diesen Dingen nicht anders dachten als die US-amerikanischen Kunden.

Unser entscheidender Vorteil aber war, dass hier die Leasing-Firma dem Automobilhersteller selbst gehörte.In der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders war Kapital das knappste Gut für jeden tüchtigen Unternehmer. Mit dem Leasing seiner Fahrzeuge konnte er bequem Eigenkapital freisetzen, um dieses in das Wachstum seiner Firma zu investieren, wo es sich besser verzinste, als bei der Bank. Leasing war somit eine Belohnung für einen tüchtigen, solventen Unternehmer. Damit hatten wir von Anfang an auch eine große volkswirtschaftliche Bedeutung.“

Was hat sich im Wesentlichen in den zurückliegenden 50 Jahren gewandelt?

„Beim Leasing kauft der Verbraucher im Grunde einmal in seinem Leben ein Auto und kann dann dank der Leasing-Modelle bis zu seinem Lebensende den Autokauf vergessen. Im Klartext: Er hat immer ein Auto und braucht sich nicht weiter mit dem Kauf und Verkauf eines Gebrauchtwagens auseinanderzusetzen. Er hat eine vollumfängliche Betreuung seines Fahrzeuges und bekommt sogar von unserer Leasingfirma noch die Versicherung und alles was sonst noch zum Autobetrieb gehört.“

Ihre Leasing-Angebote beschränkten sich aber nicht nur auf Automobile?

„Das stimmt. Hinzu kam vor allem auch das Leasen von Werkstattausrüstungen. Allein die Hebebühnen für die Werkstatt zu kaufen, war damals für einen Händler schwierig. Auch dort konnte man gezielt helfen. Volkswagen hatte damit in schwierigen, kapitalarmen Zeiten die besseren Partner. Dabei ist es für den Kunden von hohem Vorteil, dass er einen Finanzier hat, der in seiner Branche lebt, denkt, arbeitet und im Gegensatz zu einer normalen Bank Teil einer kompletten Allround-Geschäftsverbindung ist.“

Und was hat sich aus Ihrer Sicht, Herr Künne, der Sicht einer anderen Generation in den vergangenen 50 Jahren getan?

„Die wesentlichen Faktoren für den Leasing-Erfolg der zurückliegenden Jahre, das war in der Tat die komplette Angebotspalette – das Rund-um-sorglos-Paket. Das gilt im Besonderen für unsere gewerblichen Kunden: Über Reparaturverträge, Reifenverträge und Versicherungsverträge bis hin zu kompletten Tank- und Kraftstoffabrechnungen. Damit wird das ganze System rund um die Fahrzeuge besser kalkulierbar. Wir sehen darin den wesentlichen Faktor, der speziell in den vergangenen zehn Jahren das gesamte Leasing-System noch einmal beflügelt hat. Allein im Jahr 2015 sind in der deutschen Wirtschaft rund 54 Milliarden Euro im Rahmen der Direktinvestition über Leasingverträge finanziert worden. Dahinter steht ein riesiges Investitionsvolumen der gesamten Leasing-Wirtschaft.

Allein unsere Gesellschaft investiert jährlich 17 bis 18 Milliarden in neue Leasing-Güter. Aufgrund der entsprechenden Vertragslaufzeiten bewegen wir uns dabei stets in einem Kapitalbereich von 10 Milliarden Euro. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren das Volumen in Deutschland nahezu verdoppelt und dabei den Vertragsbestand auf 1,2 Millionen Leasing-Fahrzeuge in unserer Bilanz ausgebaut. Weltweit haben die Volkswagen Financial Services sogar 2,75 Millionen Leasingverträge im Portfolio. 75 Prozent der Verträge in Deutschland verzeichnen zudem ergänzende Dienstleistungen.“

Wo wird das Kerngeschäft in Zeiten von Internet, und Social Networking hingehen, Herr Künne?

„Es geht immer stärker in die Richtung kalkulierbarer Mobilität und dem Bedürfnis sich individuell mit Fahrzeugen fortbewegen zu wollen, ohne sie langfristig zu besitzen. Die Kunden gehen weg vom Eigentumsgedanken. Das ist ein Grund, warum die Abschlüsse des Leasings bei den Privatkunden steigen. Sie stellen sich die Frage, warum sie ein Auto bezahlen sollen, wenn sie es am Tag nur einmal benutzen.“

Die Komplexität des Leasing-Geschäftes nimmt dadurch aber zu. Wie begegnen Sie dieser Herausforderung?

„Das Leasing-Vertragssystem wird in der Zukunft noch kleinteiliger werden. Dort setzen wir an, um zusätzlich zu den typischen Verträgen mit monatlichen Leasingraten im privaten Geschäft Angebote zu haben, die viel stärker die einzelne Nutzung beziehungsweise die Leistung der gefahrenen Kilometer als Faktor berücksichtigten. Wir denken aber auch über Flatrate-Lösungen nach. Dabei bin ich sicher, dass wir Angebote haben werden, bei denen die Kraftstoffrechnung monatlich pauschal integriert ist.“

Logistisch hängt dabei aber auch viel von der Infrastruktur ab?

„An diesem Faktor arbeiten wir. Es wird so weit gehen, dass wir telematikgestützte Leasingverträge haben werden, die Reparatur- und Wartungsereignisse im Vorfeld ankündigen, so dass man sie besser planen kann. Ferner können diese Lösungen auch Abrechnungsintervalle ermöglichen, wenn gewisse Kilometerleistungen erreicht werden, oder sogar das Leasing-Ende vermelden, falls vermehrt Schäden auftreten. Fahrzeuge könnten also in die Werkstatt gerufen werden, sie könnten getauscht oder angepasst werden. Das wird nicht mehr lange dauern.“

Das klingt ein bisschen wie Science Fiction, Herr Hahn.

„Es werden noch unzählige Dinge hinzukommen. Aber man darf auch nicht vergessen: Wer über 1,2 Millionen Leasing-Fahrzeuge sein Eigentum nennt, der verfügt auch über mehr als 1,2 Millionen Gebrauchtwagen. Und das Geschäft mit diesen bringt fast genauso viel Geld wie mit Neuwagen. Volkswagen ist mit dem Leasing zu einem riesigen Gebrauchtwagenhändler geworden, wenn ich alleine an unsere Werksangehörigen denke.“

Sie sehen dadurch eine weitere strategische Option für den Vertrieb?

„Ja. Wir kennen diese Gebrauchtwagen und können sie gezielt vermarkten. Zum Beispiel können wir sie auf ganz speziellen Märkten, die noch nicht so stark bei Neuwagen entwickelt sind, einsetzen, wie in Zentralasien. Dort setzt ein Händler vielleicht im Jahr unter 50 Neu- aber über 500 Gebrauchtwagen um. Und jeder Händler zieht es vor, zur Abrundung seines Gebrauchtwagenangebotes Fahrzeuge direkt vom Hersteller zu beziehen, der jeden Kilometer des Gebrauchtwagens kennt.“

Sie sprachen von 50 Jahren Wachstum im Leasing-Bereich. Volkswagen Financial Services schwimmt auf einer anhaltenden Erfolgswelle: Welche abschließende Prognose geben Sie für die kommenden fünf Jahre?

„Wir müssen an vielen Stellen einen großen Wandel vollziehen. Wir haben über zukünftige Leasing-Modelle gesprochen und wir haben über die Anforderungen an einen Mobilitätsanbieter diskutiert. Diesem Wandel müssen wir uns nicht nur als Hersteller sondern auch als Leasing-Anbieter stellen. Das Thema Digitalisierung steht dabei ganz besonders im Vordergrund. Die Generation, die jetzt mit Smartphones und Tablets ihr tägliches, privates aber auch wirtschaftliches Leben organisiert und strukturiert, stellt an uns neue Herausforderungen hinsichtlich der Gestaltung unserer Leasing-Produkte. Dieser Lebenswandel der Gesellschaft erfordert eine wesentlich größere Flexibilisierung und einen wesentlich größeren Erneuerungsgrad. Man muss permanent mit neuen Angeboten präsent sein, um diese junge Kundschaft der Zukunft für unsere Produkte zu begeistern.“ (ampnet/av/tw)

Mehr zum Thema: , , ,

Teile diesen Artikel:

Bilder zum Artikel
Prof. Dr. Carl H. Hahn (li.) und Gerhard Künne.

Prof. Dr. Carl H. Hahn (li.) und Gerhard Künne.

Foto: Tim Westermann

Download:


50 Jahre Volkswagen Leasing GmbH: Prof. Dr. Carl H. Hahn (li.) und Gerhard Künne vor dem Kurhaus in Bad Elster.

50 Jahre Volkswagen Leasing GmbH: Prof. Dr. Carl H. Hahn (li.) und Gerhard Künne vor dem Kurhaus in Bad Elster.

Foto: Tim Westermann

Download:


Gerhard Künne.

Gerhard Künne.

Foto: Tim Westermann

Download:


Prof. Dr. Carl H. Hahn.

Prof. Dr. Carl H. Hahn.

Foto: Tim Westermann

Download:


Prof. Dr. Carl H. Hahn.

Prof. Dr. Carl H. Hahn.

Foto: Tim Westermann

Download:


Prof. Dr. Carl H. Hahn.

Prof. Dr. Carl H. Hahn.

Foto: Tim Westermann

Download: