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ZF-Aufsichtsratschef im Interview: „Es hat klick gemacht.“

ZF kann Nutzfahrzeuge sehen, denken und handeln lassen. Das ist die Kernbotschaft des Unternehmens auf der Nutzfahrzeug IAA: Die Friedrichshafener beherrschen Schlüsseltechnologien fürs autonome Fahren und die Elektrifizierung des Antriebs. Wir sprachen über die neue Wirklichkeit eines einstmals eher biederen Zulieferers und die Pläne, die schwedische Firma Haldex zu übernehmen mit dem Vorsitzenden des ZF-Aufsichtsrats, Prof. Giorgio Behr, Professor der Betriebswirtschaft, Unternehmer, aber auch Präsident des Schweizer Handballklubs Kadetten Schaffhausen.

Das Unternehmen ZF hat sich durch den Zukauf von TRW fast verdoppelt.

„Es ist eigentlich noch mehr!. Das Unternehmen hatte 12,5 Milliarden Euro Jahresumsatz im Jahr 2008. Das war mein erstes Jahr. Ein Jahr danach, in der Wirtschaftskrise, hatten wir 9,5 Milliarden. Der Umsatz hat sich seitdem also eher verdreieinhalbfacht.

Wird Ihnen als Aufsichtsratsvorsitzender da nicht bange?

„Sie kennen meinen Hintergrund: Ich habe schon im Alter von 25 Jahren meine ersten Restrukturierungen gemacht, irgendwann auch auf eigene Rechnung, habe so mein eigenes Unternehmen aufgebaut und habe auch schon manchen Zusammenbruch gesehen. Da wird man mit der Zeit etwas gelassener und ruhiger. Im Sport ist man die Höhen und Tiefen ohnehin gewohnt. Sie müssen also keine Angst um meine Emotionen haben.“

Also steckt auch sportlicher Ehrgeiz hinter Ihrem Einsatz?

„Viele denken ja, Unternehmer sind aggressiv. Ich denke von mir, ich bin eigentlich ein ziemlicher Sicherheitsdenker; ich nehme nur kalkulierte Risiken. Risiken nimmt man immer, aber ich habe immer so viel Reserven, dass es nicht schiefgeht. Man hat ja die Verantwortung für viele Mitarbeiter. Also ich denke, wenn Unternehmer in einem kleinen Team Entscheidungen reflektieren – so wie bei uns Stefan Sommer und ich – dann können Sie davon ausgehen, dass das Risiko richtig gewertet wird.“

Sie sprechen von kalkuliertem Risiko. Das wirft die Frage auf, welchen Spielraum der Vorstand bei Ihnen hat?

„Derjenige, der im Daily Business dran ist, der muss in jeder Konstellation der Chef sein und den nötigen Entscheidungsspielraum haben. Denn der ist nah dran und kennt die Realitäten. Selbst in der Schweiz, wo der Verwaltungsratspräsident theoretisch größere Macht hätte als ein Aufsichtsratsvorsitzender, ist dennoch der CEO derjenige, der die Strategie erstellt und sie auch umsetzt. Ich verstehe meine Rolle ohnehin so – ich sage das sportlich: Ich bin Sparringpartner von Stefan Sommer. Und ich denke, so passt es auch. Ich bin nah genug dran. Da muss man nicht ständig zu Sitzungen zusammenkommen. Da ist es einfach wichtig, dass man sich gut versteht, dass man schnell mit einander kommunizieren kann. Das man auch mal sagen kann: ‚Du, so können wir das nicht machen‘ oder ‚Wie hast Du Dir das überlegt?‘. So verstehe ich meine Aufgabe.“

Bei so schnellem Wachstum müssen Sie den CEO also nicht einbremsen?

„Schlimm wäre, wenn ich den Vorstandsvorsitzenden auf die Arme nehmen müsste und ihn auffordern müsste: ‚Geh‘ nach vorn! Wir müssen die Strategie umsetzen!‘ Also mir ist es so schon lieber, wenn der CEO das Tempo vorgibt und der AR die Rolle des Sparringpartners übernimmt.

Der Vorsitzende des Aufsichtsrats sollte nicht der Treiber sein. Ich muss schauen, dass die Strategie eingehalten wird und die richtigen Personen handeln. Stefan Sommer war auch meine erste Wahl. Wir sind völlig unterschiedlich von der Persönlichkeitsstruktur her, aber wir verstehen uns in den entscheidenden Punkten. Wenn man genau gleich tickt, ist das ja auch nicht gut. Es braucht auch verschiedene Emotionalitäten.“

Bei welchem Preis für eine Haldex-Aktie kochen die Emotionen hoch?

„Es gibt einen Schweizer Spruch, der würde an dieser Stelle passen: Hast du es genommen und bereust es jetzt oder hast du es nicht bekommen und bereust das jetzt. Da geht es ja nicht immer um den Preis, da geht es um anderes, das im Vordergrund steht. Wir haben das ganze Bremsenthema ja nicht erst gestern zu diskutieren begonnen, übrigens auch nicht nach der TRW-Übernahme. Das diskutieren wir schon sehr lange. Deswegen wissen wir, welche Optionen wir haben, wir kennen die Vorteile und die Nachteile. Wir wissen, was wir wollen. Und dabei unterstütze ich den Vorstand völlig. Das ist der richtige Weg. Wir kennen aber immer auch Alternativen. Aber einen festen Plan B habe ich aus Prinzip nicht, weil ich sonst den Plan A nicht umsetze.“

Wie wird es denn weitergehen; wo soll das Unternehmen in fünf Jahren stehen?

„Wir wollen weiterhin ganz vorn sein, nicht mit dabei sein, sondern vorn. Das gilt auch für die Bremse innerhalb der neuen Denkweise zur Fahrsicherheit.

Man muss sich lösen vom ‚Wir haben Getriebe, Bremsen, Sensoren und Elektronik‘. Am Schluss begeistern Sie den Nutzer nur durch ein System. Ein Beispiel: Ich bin seit 1992 bei Hilti dabei. Den Arbeiter auf der Baustelle überzeugt das Gerät. Den interessiert doch nicht, welche Komponenten darin stecken. Und wenn man jetzt sagen kann, dank ZF ist Truckdesign zwar immer noch ein hartes Brot, aber gewisse Gefahrenmomente und Risiken sind reduziert und für die Besitzer ist die Effizienz besser, dann haben wir etwas erreicht.

Wir müssen derjenige sein, der gewisse Komponenten auch selber herstellt. Aber die Geschäftsfelder der Zukunft setzen voraus, dass wir das Ganze beherrschen. Ich hatte gestern bei meinem Unternehmen „future@ BBC“ – das ist ein Team von zehn jungen Damen und Herren, die denken über die Zukunft nach. Da ist auch ein Sohn von mir dabei – eine Diskussion, bei der wir festgestellt haben, dass einige unserer Business Units keine Produzenten von einfachen Komponenten mehr sehr sein werden, sondern eine Klammerfunktion haben werden. Und darum geht es; so sehe ich die ZF. Es geht am Schluss nicht darum, wie groß wir sind, es geht auch gar nicht immer um den letzten Umsatz-Euro, sondern darum, was einen in der modernen Welt nachhaltig profitabel macht.“

Sie sehen ZF also als System-Entwickler und -Integrator?

„Ja, wenn wir das beherrschen, kommen wir weiter. In der Automobilindustrie müssen viele darauf aufpassen, dass sie nicht zu stark in die Tiefe investieren. Wichtig ist, dass man das System beherrscht, auch wenn einmal irgendwo jemand anderer die Komponenten produziert, der es günstiger und besser macht, weil er nicht den gigantischen Overhead hat – nicht nur finanziell, sondern auch psychologisch. Das ist unter Umständen der bessere Kapitaleinsatz.“

Sehen Sie denn Bereiche, in denen ZF zu sehr in die Tiefe investiert hat?

„Es gibt immer wieder Geschäftsfelder, wo wir sagen, das ist nicht mehr Teil unseres Kerngeschäfts und andere können dieses Geschäft besser entwickeln. Es geht immer darum, wer ist der beste Eigner einer solchen Einheit. Wir haben immer wieder Geschäftsteile verkauft, wenn wir erkannt haben, der andere ist eigentlich der bessere Eigentümer. Man muss das immer konstruktiv sehen.“

Was fehlt Ihnen noch?

„Es fehlt immer wieder was. Morgen wird wieder etwas erfunden, dass ich nicht kenne. Wir suchen immer die Kompetenz, die uns hilft, schnell nach vorn zu kommen. Sprechen wir über die schweren Nutzfahrzeuge. Die Öffentlichkeit nimmt dieses Geschäft völlig anders wahr als wir. Geschieht wieder ein schwerer Unfall mit Lkw, bringt das Schlagzeilen. Wenn dann ZF dafür die Systeme anbieten kann, die zukünftig alle Lastwagen haben und die zum Beispiel Auffahrunfällen verhindern, dann ist das etwas wert. Damit wird auch ZF wahrgenommen. Aber entscheidend ist der Nutzen für den Kunden.“

Was ist mit neuen Geschäftsmodellen, zum Beispiel in Richtung Telematik oder Flottenmanagement?

„Die OEMs sind da ja gut aufgestellt. Ich denke, das ist eine Linie, die wir nicht überschreiten sollten, wobei wir ihnen schon zuarbeiten und spezielle Lösungen anbieten. Zum Beispiel mit Openmatics.“

Ursprünglich war ZF Mechanik, nun greift die Elektronik um sich. Hat das geknirscht?

„Also sicher nicht bei Stefan Sommer, der hat viel Know-How mitgebracht und den Prozess beschleunigt. Ich glaube, die Entwicklung hin zur Elektronik begann schon unter seinem Vorgänger. Da haben viele gemerkt, dass wir plötzlich neue Angebote machen konnten, dass wir mehr Optionen hatten. Es hat nicht geknirscht, es hat klick gemacht.“

(Das Gespräch führte Peter Schwerdtmann)

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Prof. Giorgio Behr.

Prof. Giorgio Behr.

Foto: Peter Schwerdtmann

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