Logo Auto-Medienportal.Net

Peking 2016: China bleibt anders

Derart anspruchsvolle Präsentationen gehören in Europa der Vergangenheit an: Im BTV Grand Theater im Pekinger Stadteil Chaoyang spielt ein Orchester auf, dazu wird ein traditioneller Tanz aufgeführt. Objekt der Verehrung auf der Auto China (–4.5.2016): Die Langversion der neuen E-Klasse von Mercedes-Benz. Das Essen ist authentisch chinesisch und auf hohem Niveau; als Abschiedsgeschenk gibt es drei Sorten edlen Tees und eine CD mit der eigens für diesen Abend komponierten Musik.

Die Frage, ob derlei Opulenz zuviel des Guten sei, wird in China nicht gestellt. Zu Bescheidenheit besteht auch kein Grund: Daimler ist im Aufwind, besonders gut läuft die Maybach-Variant der aktuellen S-Klasse: Sie wurde im vergangenen Jahr über 500-mal an den Mann gebracht. Die intern anfangs umstrittene Strategie, für die moderate verlängerte Variante der S-Klasse den Namen Maybach wieder auszugraben, hat sich als völlig richtig erwiesen.

Und mit der ausschließlich für China entwickelten Langversion der neuen E-Klasse gelangt eine großzügige Dosis Maybach in die obere Mittelklasse. Der deutlich vergrößerte Fond wartet mit Maybach-typischem Dekor auf, und das in die C-Säule integrierte dritte Seitenfenster kaschiert den verlängerten Radstand perfekt – endlich. Denn das Vorgängermodell erinnerte genau wie die Angebote der Konkurrenz immer ein wenig an einen Dackel. Dieses Auto deutet darauf hin: Zweitbeste Lösungen funktionieren in China nicht mehr.

Volkswagen im Wandel

Die Abendveranstaltung war bescheidener als bei Daimler, doch trotz geradezu tropischer Temperaturen dürften die Mitarbeiter des Volkswagen-Konzerns die Messe in Peking als Oase der Entspannung wahrgenommen haben: Der Dieselskandal spielt hier nämlich kaum eine Rolle. Auch deshalb, weil die Chinesen bislang darauf verzichtet haben, mit modernen Dieselmotoren die Spritverschwendung zu begrenzen. Es gibt schlicht keinen Anlass, sich in die rituelle Empörung einzuklinken, das mittlerweile von den USA nach Europa übergeschwappt ist.

Dennoch haben viele Chinesen von Anfang die Augenbrauen hochgezogen – nämlich angesichts der tiefen Verneigung des Konzerns vor der umstrittenen US-Behörde EPA. Derartiger Respekt ist den chinesischen Behörden, geschweige denn den Kunden, bei vergangenen Rückruf-Aktionen nämlich nicht entgegengebracht worden (wofür es allerdings gute Gründe gab).

Die große Studie T-Prime Concept GTE wird sich in den nächsten Touareg verwandeln – und dann mit dem nächsten CC und der Fast-Oberklasse-Limousine Phideon visuell ein Dreigestirn am oberen Rand des VW-Programms bilden. Die noch frische, sportliche Mittelklasse-Limousine Lamando ist das vielleicht schönste Angebot in ihrem Segment. Und der Phaeton feiert seinen letzten Messeauftritt: Die Produktion ist bereits gestoppt, doch der Abverkauf in China läuft weiter. Es entsteht der Eindruck, dass sich VW in China bereits höher positioniert hat als in Deutschland.

Die Rede vom Kulturwandel kommt übrigens nicht bei allen Wolfsburger Managern gut an: Die jüngsten strategischen Entscheidungen hätten nichts mit dem Dieselskandal zu tun, heißt es. Es entsteht der Eindruck: Der schwerfällige Tanker Wolfsburg wird noch einige Zeit brauchen, bis die allfälligen Kurskorrekturen durchschlagen.

Die Chinesen geben Gas

Für die Befürworter der E-Mobilität war einst klar: Die Revolution geschieht in China. Man setzte auf die Macht des vielfach bekundeten politischen Willens. Doch die Chinesen sind auch Pragmatiker – und deshalb kommt der Wandel jetzt mit deutlicher Verzögerung und gebremstem Impetus. Zwar ist China in 2015 mit über 200 000 Einheiten zum weltgrößten Markt für E-Mobile avanciert, doch darin sind auch Plug-In-Hybride enthalten. Wie oft die an der Steckdose hängen, ist kaum zu kontrollieren. Und das ist vielleicht auch gut so, denn je weniger die Batterien für lange Strecken genutzt werden, desto geringer die Schadstoffbelastung durch den wenig umweltfreundlichen Kraftwerkspark.

Die recht verhaltene Nachfrage nach E-Mobilen wird übrigens auch durch die einheimischen Hersteller recht umfassend bedient. Doch die Diskrepanz zwischen Serienmodellen und den futuristischen Concept Cars ist frappierend. Dem Endkunden wird relativ simple Technik geboten – in einem Ambiente, das teils sogar die reichlich frugalen Modelle von Tesla unterbietet. Viele Concept Cars der Chinesen wirken hingegen ungemein ausgefeilt und elegant. Ketzerischer Gedanke: Man könnte sie sich auch mit einem leistungsstarken Verbrennungsmotor vorstellen.

Dass die Chinesen in jeder Hinsicht innovativ sein können, beweist die junge Marke Qoros mit dem vielversprechenden Qamfree-System. Die gemeinsam mit dem Entwickler Freevalve, einem Schwesterunternehmen der schwedischen Sportwagenmarke Koenigsegg, entwickelte Technik ersetzt die klassische Ventilsteuerung mit Zahnriemen und Nockenwelle durch elektrohydraulische Aktuatoren. Das Resultat: 20 Prozent weniger Verbrauch, Mehrleistung in ähnlichem Umfang und eine um fünf Zentimeter reduzierte Bauhöhe. Das sind Welten. Qoros toppt den Überraschungsauftritt mit zwei Elektromobilen – und zeigt damit, dass die Verbindung von chinesischen und europäischen Stärken zu attraktiven Ergebnissen führen kann. Nun müssen noch die Verkäufe anziehen, denn die haben bislang enttäuscht.

Einen ähnlichen Ansatz wie Qoros verfolgt Borgward – mit zweifelhaften Aussichten. Weit über ein halbes Jahrhundert ist es her, dass die Marke vom Bremer Senat abgeschossen wurde, jüngst hat sich der chinesische Lastwagenhersteller Foton die Markenrechte gesichert. Eigentlich kennt diese Autos niemand mehr, trotzdem schlugen der Marke beim Relaunch viele Sympathien entgegen. Doch die Autos wirken langweilig und beliebig, auf Retro-Design will Borgward bewusst nicht setzen. Warum eigentlich nicht?

Nichts Neues gibt es einstweilen von der ambitionierten Marke Faraday Future zu sehen: Hier steht – wie schon auf des CES in Las Vegas – ein Supersportwagen auf dem Stand, der wie eine Studentenarbeit wirkt und kaum Hinweise auf das kommende Serienmodell gibt, das als Crossover auftreten wird. Aus Industriekreisen ist zu hören, dass Faraday Future dringend Designer und Zulieferer sucht; an der Professionalität der Abläufe könnte die Marke noch arbeiten.

Zu den Erfolgsstories der chinesischen Marken gehören die Kompakt-SUV: Den anhaltenden Boom in diesem Segment haben die ausländischen Marken teilweise verschlafen, und es wird von einheimischen Marken wie Haval dominiert. Langsam ziehen die Importeure nach – mit Modellen wie dem schon in Genf präsentierten Audi Q2.

Eines ist klar: China bleibt anders - doch die Präferenzen dieses Marktes prägen zunehmend das weltweite Angebot der Weltkonzerne. Um einen Besuch in Peking kommt man in dieser Branche nicht herum. (ampnet/jm)

Mehr zum Thema: ,

Teile diesen Artikel:

Bilder zum Artikel
Christian von Koenigsegg mit Klaus Schmidt, Motorenentwickler bei Qoros.

Christian von Koenigsegg mit Klaus Schmidt, Motorenentwickler bei Qoros.

Foto: Jens Meiners

Download:


Qoros-Designchef Gert Hildebrand (links) im Gespräch mit Ex-BMW-Chefdesigner Chris Bangle.

Qoros-Designchef Gert Hildebrand (links) im Gespräch mit Ex-BMW-Chefdesigner Chris Bangle.

Foto: Jens Meiners

Download:


Volkswagen T-Prime Concept GTE.

Volkswagen T-Prime Concept GTE.

Foto: Jens Meiners

Download:


Karlmann King..

Karlmann King..

Foto: Jens Meiners

Download:


Faraday Future.

Faraday Future.

Foto: Jens Meiners

Download:


Hawatai.

Hawatai.

Foto: Jens Meiners

Download:


Chery Prototyp.

Chery Prototyp.

Foto: Jens Meiners

Download:


Rote Fahne.

Rote Fahne.

Foto: Jens Meiners

Download:


SAIV Vision R.

SAIV Vision R.

Foto: Jens Meiners

Download:


BAIC Arcfox 1.

BAIC Arcfox 1.

Foto: Jens Meiners

Download:


BAIC BJ 80.

BAIC BJ 80.

Foto: Jens Meiners

Download: