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Wissmann fordert Freihandel statt Wohltaten

Bessere Rahmenbedingungen für den Standort Deutschland und für den weltweiten Freihandel forderte jetzt Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Seinen Auftritt in München vor dem Export-Club Bayern nutzte er für einen wirtschaftspolitischen Parforce-Ritt vor dem Hintergrund des am kommenden Wochenende im bayerischen Schloss Elmau stattfindenden G7-Gipfels. Die Exportstärke der deutschen Automobilindustrie komme auch den europäischen Nachbarstaaten zugute, betonte Wissmann und stellte gleichzeitig klar, Großbritannien müsse Mitglied der EU bleiben.

Trotz eines schwierigen Umfeldes – Rückgang des russischen Marktes, Schwäche in Brasilien, geringeres Wachstum in China – sei die deutsche Automobilindustrie in einer starken Position, so Wissmann. Grundlage des Erfolgs seien Innovation und Globalisierung. Nach seinen Angaben investiert die deutsche Automobilindustrie weltweit jährlich fast 30 Mrd. Euro in Forschung und Entwicklung, den größten Teil davon in Deutschland. Auf der anderen Seite finde heute bereits mehr als 60 Prozent der deutschen Pkw-Produktion im Ausland statt, Tendenz steigend, wie Wissmann versicherte. Das betreffe sowohl die Automobilhersteller als auch die vielen Zulieferer, darunter zahlreiche mittelständische Unternehmen.

Wissmann: „Wir haben heute allein in Deutschland 19 000 mehr Stammbeschäftigte als vor einem Jahr, insgesamt sind es 785 000 Mitarbeiter. Das zeigt, die steigende Auslandsproduktion stützt bislang die Beschäftigung im Inland.“ Allerdings sei dieser Erfolg nicht naturgegeben: „Wir sind nur dann auch künftig erfolgreich, wenn wir innovativer Spitzenreiter bleiben.“ Doch die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Standorte sei weder Dauerzustand noch Selbstläufer. „Wir müssen wieder an den Rahmenbedingungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit arbeiten. Zu hohe Energiekosten, Rente mit 63, Verschlechterung bei den Flexibilitäten im Arbeitsmarkt, Anstieg der Arbeitskosten – all das ist nicht ideal“, unterstrich Wissmann.

Der VDA-Präsident nannte die vielen „sozialpolitischen Wohltaten“ der vergangenen Monate eine „schwere Hypothek für die Zukunft“. Deshalb sei ein neuer Kurs erforderlich, der zusätzliche Belastungen für die Industrie vermeide und die Standortattraktivität Deutschlands wieder erhöhe: „Um Industrie und Mittelstand zu stärken, braucht Deutschland Impulse für die Innovations- und Investitionskraft der Unternehmen sowie Maß und Mitte in der Klimaschutzpolitik.“

Wissmann sieht außerdem die Notwendigkeit, den in vielen Ländern erkennbaren Trend zu Protektionismus zu bekämpfen. Als Beispiel nannte er Russland mit hohen Local-Content-Auflagen und Beschaffungsverbote für bestimmte Fahrzeuge, die nicht aus der Eurasischen Wirtschaftsunion stammen. Weitere Bespiele seien in Argentinien, Brasilien und Indien zu finden. So habe die Regierung auf dem Subkontinent vor kurzem die Zölle für Nutzfahrzeuge erhöht, um den heimischen Produktionsstandort zu stärken. „Dabei verhandelt die EU seit 2007 über ein Freihandelsabkommen – ohne Bewegung der Inder“, betonte Wissmann.

„Deutschland ist, neben Südkorea, das Land, das am stärksten international verflochten ist. Unsere Beschäftigung in Deutschland hängt mehr als die unserer Nachbarn von offenen Märkten ab. Darum brauchen wir Freihandelsabkommen, darum brauchen wir TTIP. Wir müssen diese geopolitische Chance nutzen und ergreifen“, sagte Wissmann.

Wissmann verteidigte die Exportstärke Deutschlands, die von Brüssel kritisiert wird. „Man sollte meinen, der Erfolg Deutschlands wäre ein Vorbild für andere Länder – auch innerhalb der Europäischen Union. Stattdessen wird uns dieser Erfolg immer wieder zum Vorwurf gemacht, Stichwort Exportüberschuss. Die EU-Kommission fordert von Deutschland mal wieder ‚entschlossene politische Maßnahmen‘, um den Exportüberschuss abzubauen. Frankreich hingegen erhält eine verlängerte Frist, um sein jährliches Haushaltsdefizit wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Das ist dem Normalbürger kaum zu erklären.“

Der Vorwurf, Deutschland verschärfe mit seiner vermeintlichen „Sparpolitik“ die Krise in der Euro-Zone, sei nicht zu halten, betonte Wissmann. Nicht nur der Export habe zugenommen, auch die Importe nach Deutschland seien gestiegen. „Vor allem bestätigen die Daten, dass die europäischen Nachbarn am deutschen Exporterfolg teilhaben. Ihr Anteil an den deutschen Importen ist weiter gestiegen. In der Automobilindustrie verdienen etwa französische oder italienische Zulieferer unmittelbar mit – denn die Unternehmen sind in der internationalen Wertschöpfung längst untrennbar miteinander verflochten: Valeo, Michelin oder Brembo sind nur besonders namhafte von vielen Beispielen. Auch eine IW-Studie zeigt: Steigen die deutschen Exporte um zehn Prozent, so legen die Importe an Vorleistungen aus EU-Partnerländern um neun Prozent zu. Export und Import bedingen also einander“, unterstrich Wissmann und fügte hinzu: „Deutschland ist mit seinem starken industriellen Fundament nicht für wirtschaftliche Fehlentwicklungen in der Euro-Zone verantwortlich zu machen, sondern vielmehr sogar das Zugpferd des europäischen Karrens.“ Die schwelende Euro-Krise könne nur gemeistert werden, wenn die Krisenländer ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit stärkten.

Mit Leidenschaft plädierte Wissmann für einen Verbleib Großbritanniens in der EU: „Jetzt muss auch auf Seiten der EU-Kommission und der Bundesregierung alles getan werden, um Großbritannien in der Europäischen Union zu halten“ erklärte er. „So wichtig es für die EU-Kommission ist, sich um die ‚griechischen Themen‘ zu kümmern, viel entscheidender für die Zukunft Europas ist ein langfristiger Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union“, betonte der VDA-Präsident. Gerade Deutschland verbinde viel mit dem britischen Denken: Die Notwendigkeit der Stärkung des weltweiten Freihandels, einschließlich des Engagements für TTIP, das Eintreten für marktwirtschaftliche Lösungen bei wirtschaftlichen Themen anstelle eines Übermaßes an staatlichem Interventionismus, und das gemeinsame strategische Interesse der Nettozahler Großbritannien und Deutschland, das „fiskalische Gleichgewicht“ in der EU nicht zu verlieren.

„Für die deutsche Automobilindustrie ist Großbritannien seit dem Jahr 2001 der wichtigste Pkw-Exportpartner, bezogen auf die Stückzahl“, erklärte Wissmann. 2014 wurden aus Deutschland 820.900 Pkw nach Großbritannien exportiert, ein Plus von 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Rund ein Fünftel der Pkw-Exporte aus deutschen Werken gingen damit nach Großbritannien. Auch gemessen am Pkw-Exportwert nehme das Land eine herausragende Rolle ein: Großbritannien steht mit 17,9 Mrd. Euro (plus 17 Prozent) klar auf Platz zwei, hinter den USA. Der britische Pkw-Markt sei in den letzten Jahren kräftig gewachsen und habe 2014 ein hohes Niveau von knapp 2,5 Mio. Einheiten erreicht. „Die deutschen Konzernmarken konnten dieses Wachstumstempo mitgehen, ihr Marktanteil in Großbritannien beträgt knapp 53 Prozent. Auch als Produktionsstandort ist Großbritannien für die deutsche Automobilindustrie wichtig – dort werden Modelle der deutschen Konzernmarken Bentley, Mini und Rolls-Royce gefertigt“, sagte Wissmann. Auch diese mit Zahlen belegbare Integration dürfe nicht durch einen möglichen EU-Austritt gefährdet werden. (ampnet/Sm)

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Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA).

Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA).

Foto: Auto-Medienportal.Net/Manfred Zimmermann

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