Die einen suchen den Applaus, die anderen lieben es zurückhaltend. Noch tobt der Streit, ob ein Elektroauto ein spektakuläres Design braucht oder sich besser bei den normalen Autos einordnet. Wenn die Mercedes-Benz B-Klasse Electric Drive im Oktober nach Deutschland kommt, wird ein neues Kapitel der Diskussion beginnen; denn die B-Klasse ist auch als rein batterieelektrisches Autos nichts anderes als die bekannte B-Klasse, nur eben mit einem anderen Antrieb, einem erstaunlich starken allerdings.
Natürlich werden auch die deutschen Kunden die Chance geboten bekommen, sich mit Designmerkmalen als Elektro-Freunde zu erkennen zu geben. Die neuen Schürzen vorn und hinten sowie die Schweller an den Seiten drängen sich dem Betrachter nicht auf. Wer nicht den lauten Auftritt sucht, wird von der B-Klasse nicht geoutet. Dafür kann er seine heimliche Freude an der Gewissheit haben, dass er seine Nachbarn an der Ampel bei jedem Start verblüffen könnte. Dann ziehen vom ersten Augenblick an 350 Newtonmeter Drehmoment an den Vorderräder. Und der Spurt von 0 auf 100 km/h kann nach 7,9 Sekunden erledigt sein.
Im Sport-Modus stehen bei der rund 1,5 Tonnen schweren elektrischen B-Klasse 132 kW / 175 PS Leistung bereit, zu viel für die Vorderräder, wenn man mit dem Fahrpedal nicht vorsichtig umgeht. So viel Kraft überfordert sogar die Antriebsschlupf-Regelung, die jeder ESP innewohnt. Die Höchstgeschwindigkeit wird – zugunsten der Reichweite – bei 160 km/h abgeregelt. Im Eco-Modus mit 98 kW / 134 PS geht es ein wenig gemächlicher zu – bis der Fahrer das Pedal zum Kickdown durchtritt.
Verzicht ist also die Sache dieser B-Klasse nicht, beim Fahren nicht und auch nicht beim Raumangebot. Sie ist und bleibt auch mit ihrer großen Lithiumionenbatterie von 28,1 kWh im Hinblick auf den Raum das, was sie mit Otto- und Dieselmotoren ist: ein Fünfsitzer mit hohem Innenraum und einem Kofferraum, der in dieser Klasse seinesgleichen sucht: 501 Liter im normalen Zustand und maximal 1456 Liter bei umgeklappten Rücksitzlehnen.
Die Sitzposition fällt allerdings ein wenig höher aus, was in der Zielgruppe der B-Klasse sicher mit Wohlwollen aufgenommen werden wird. Dafür gibt es zwei Gründe: die Karosserie liegt 40 Millimeter höher und damit steigt auch die Sitzhöhe um 30 Millimeter. Aber am Fußraum vorn ändert sich nichts; denn der „Batteriekeller“ beginnt erst an der Vorderkante der vorderen Sitze und nimmt hinten den Raum ein, der sonst dem Kraftstofftank vorbehalten ist.
Im Innenraumdesign ändert sich nur wenig. Das ist der Innenraum, wie man ihn aus allen anderen kompakten Mercedes-Benz-Modellen kennt: breiter, als man von außen vermutet, komfortabel mit einer Spur Luxus und einem Hauch Sportlichkeit, artgerechten Materialien, einer guten Verarbeitung, den typischen runden Ausströmern der Lüftung und dem in der Armaturenbrettmitte aufgesetzten Display fürs Infotainment. Neu sind natürlich die Anzeigen für den Elektrobetrieb und ein Knopf, der das allerdings aufpreispflichtige „Range plus“-System einschaltet. Beim US-Modell wird es Bestandteil eines Pakets sein, das eine erweiterte Ausstattung und den Knopf enthält, der dem Elektroauto-Neuling sicher gefallen wird: Wird der vor dem Beginn der Ladung gedrückt, sind am Ende 15 Prozent mehr Ladung in der Batterie.
Ein Überladen sei das nicht, versicherten die Entwickler von Mercedes-Benz jetzt bei der Vorstellung der Mercedes-Benz B-Klasse Electric Dive in dem nordamerikanischen Mercedes-Benz-Entwicklungszentrum im kalifornischen Sunnyvale. Man öffne nur ein größeres Fenster. Das wird der Batterie auf Dauer nicht gefallen. Aber die Techniker waren sich ganz sicher, dass der Knopf in der Regel sowieso höchstens ausnahmsweise gedrückt werde. Umso mehr stellt sich die Frage, warum das größere Fenster dann nicht immer offen ist.
Vielleicht muss der kalifornische Elektroautopionier Tesla und Partner von Mercedes-Benz die Frage beantworten; denn der elektrische Antrieb wird von dort zugeliefert. Mercedes-Benz ist für die Integration von Motor, Batterie und Steuerungselektronik ins Fahrzeug zuständig. Das ist zwar – wie unser langer Ausflug rund ums Silicon Valley zeigte – sehr gut gelungen.
Die Mannen vor Ort wollten die Kooperation mit dem Unternehmen Tesla, an dem man sich bereits vor Jahren beteiligt hat, keineswegs als Zeichen verstanden wissen, dass man keine eigenen Systeme an Bord habe. So wie mit anderen Zulieferern arbeite man eben auch mit Tesla, was im Fall der B-Klassen den Vorteil habe, dass man den Electric Drive schon nach gut zwei Jahren Entwicklungszeit serienreif anbieten kann.
In Kalifornien, wo das Model S von Tesla inzwischen zum Straßenbild gehört und sich auch viele andere Elektromobile tummeln, liegt eine Zusammenarbeit mit Tesla auf der Hand. Weil sich die Lage in Kalifornien nun schon seit Jahren positiv für alles elektrische entwickelt hat, überzeugt auch die Entscheidung, die B-Klasse Electric Drive zunächst hier antreten zu lassen, wo nicht nur die Idee der Elektromobilität zum Alltag gehört, sondern auch der automobile Luxus mehr als anderswo Nachfrage auslöst. Die soll nun mit einem Mercedes befriedigt werden.
In den USA wird der Einstiegspreis bei 41 450 US-Dollar (knapp 28 000 Euro) eliegen, also deutlich über dem Niveau klassischer Amerikaner aber ebenso deutlich unter den Tesla-Preisen. Zu den Preisen in Deutschland will man sich erst im Oktober äußern, wenn die Markteinführung dort und in Europa bevorsteht. Die Erfahrung mit US-Preisen lehrt, dass wir in Deutschland von denen nur träumen können.
Zum Mercedes-Benz B-Klasse Electric Drive zählt ein umfangreiches Garantiepaket für Batterie, auch für die mit dem Range plus-System: acht Jahre, kostenlose Batteriewartung nach jeweils 15 000 Kilometern und die Zusicherung, dass die Batterie auch nach acht Jahren noch 70 Prozent der ursprünglichen Kapazität anbietet.
Mit der neuen Batterie liegt die Reichweite nach dem europäischen Fahrzyklus bei 200 km. Natürlich ist die vom Fahrstil und von äußeren Bedingungen wie der Temperatur und der Zahl der zugeschalteten Zusatzaggregate wie der Klimaanlage anhängig. Aber die B-Klasse liegt damit am oberen Rand der heute angebotenen Reichweiten.
Zur Verlängerung der Fahrstrecke hat sich Mercedes-Benz Einiges einfallen lassen. So geht der Electric Drive ins Segeln über, wenn kein Vortrieb benötigt wird. Der Radarsensor des Collision Prevention Systems sorgt dann aber per Rekuperation für Abstand, wenn man sich dem Vordermann zu sehr nähert. Außerdem kann man mit den Paddeln am Multifunktions-Lederlenkrad die Stärke der Rekuperation verändern, was beim Bergabfahren oder beim Annähern an eine rote Ampel mit mehr Strom für die Batterie belohnt wird.
Weitere Vernetzungen mit den bei Mercedes-Benz üblichen Systemen sind in Sicht. So zeigt das System heute schon auf der Navigationskarte den erreichbaren Aktionsradius an. In Zukunft wird die Navigation die Daten für eine Reichweitenberechnung liefern, die sich am geplanten Profil der Strecke orientiert.
Zum guten Ton gehört heute bei vielen Stuttgartern die Verknüpfung mit Computer und Smartphone. Die zeigen beim Electric Drive den Ladezustand der Batterie an und ermöglichen die Steuerung von außen, zum Beispiel beim Einschalten von Heizung und Klimaanlage. Das Laden geschieht an einer Wallbox, die Mercedes-Benz ebenfalls liefern wird. Bei 400 Volt und 16 Ampere dauert das drei Stunden, immer noch zu lange für die Überlandfahrt, aber schnell genug für Pendler und andere, die sich vorwiegend mit ihrem Auto in der Stadt herumtreiben.
Pendler, Eigenheimbesitzer und Menschen mit Zugang zu einer Ladestation in der Innenstadt sind die glücklichen Privatleute, die ihr Elektroauto voll nutzen können. Jeder, der sich zum Kauf eines Elektroautos entschließt, wird sich entscheiden müssen, ob er es auf den Applaus der anderen abgesehen hat oder den Elektroantrieb lieber in einem unauffälligen Auto still genießt. Entscheidet er sich für die Zurückhaltung, bekommt er einen Bonus beim Verkaufspreis, weil seine Mercedes-Benz B-Klasse Electric Drive mit Großserienkomponenten und Großserienqualität auf dem normalen B-Klasse-Band in Raststatt gebaut wird. Das senkt die Preise. Und gute Preise hat das Thema Elektroauto nötig, wenn es auch bei Privatkunden ein Erfolg werden soll. In Deutschland soll die Mercedes-Benz B-Klasse Electric knapp 40 000 Euro kosten, hörte man in Sunnyvale. (ampnet/Sm)
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