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Die App zum Auto oder das Auto zur App

„Ich kann Ihnen auch noch ein passendes Auto zu Ihrer neuen App anbieten.“ Angesichts der Entwicklung des digitalen Markts und der Suche nach immer neuen Vertriebswegen mag dieses fiktive Angebot eines Auto- oder App-Verkäufers aus der Zukunft übertrieben klingen. Aber gibt es nicht schon heute Zukunftsforscher, die dem Smartphone eine größere Attraktion bei der Jugend einräumen als dem Auto?

Eine Menge Entwicklungen bricht seit Jahren mit einer Geschwindigkeit über das Auto und seine Entwickler herein. Die haben keine Chance, mit dem Tempo der Elektronikanbieter Schritt zu halten. Die Entwicklung eines Autos dauert Jahre, die Entwicklung einer neuen Generation in der Consumer-Elektronik Monate. Jetzt drängen Tausende Apps ins Auto, und alle wollen Geld verdienen.

Ein typischer Konflikt lässt sich am Notrufsystem E-Call darstellen, das ab 2015 in allen neu zugelassenen Fahrzeugen präsent sein soll. Dabei handelt es sich quasi um ein fest eingebautes Handy, das bei einem Notfall eine Notrufzentrale automatisch anruft, die Position des Fahrzeugs nennt und Hilfe herbeiruft.

Bergung von Personen und Autos und die Autoreparatur machen jährlich einen Markt von rund fünf Milliarden Euro aus. Da stellen sich die in Europa immer noch ungeklärten Fragen: Wem gehören die Daten, wer darf mit ihnen Geld verdienen? Die Industrie muss das System E-Call finanzieren. Gehören ihr deswegen die Daten? Oder ist es doch der Autobesitzer, der auf seine informationelle Selbstbestimmung pocht oder die Notrufzentrale, ein Automobilclub, ein Abschlepp- und Reparaturbetrieb oder auch die Versicherung, die im Gegensatz zu allen anderen Beteiligten ein Interesse daran hat, die Kosten niedrig zu halten?

Und die Smartphones drängen mit Macht. Sie wollen nicht nur mit Telefonie und Musik, sondern auch mit diversen Dienstleistungen ins Auto, am besten so, dass das Telefon über die normale Schnittstelle zum Infotainment angebunden wird und auch über die Soft- und Hardware des Autos bedient werden kann. Da locken dann so schöne Angebote wie Navigation mit brandaktuellen Verkehrsinformationen, ständig aktuellen Karten, Google-Diensten samt den Informationen zu möglichen Zielen, den Points of Intestet (POI), und natürlich Internetanschluss.

Audi war der erste Hersteller, der sein Fahrzeug zu einem „Hotspot“ erklärte, also zu einem Auto, das ständig mit dem Internet korrespondiert, wenn es unterwegs ist. Das war ein großer Schritt, den inzwischen viele vollzogen haben. Aber wer zahlt eigentlich die Gebühren für die SIM-Karte? Die zweite Frage in diesem Zusammenhang stellt sich auch, wenn man an autospezifische Dienstleistungen wie Überwachung des Betriebszustands und der Sicherheit der Technik oder das Herunterladen neuer oder korrigierter Software für das Auto denkt. Soll das wirklich geschehen, wenn das Auto fährt oder sucht man sich dazu nicht passendere Gelegenheiten aus?

Das wäre zumindest eine Fragestellung, die sich ausschließlich mit dem Auto befasst, also Teil eines möglichen künftigen Kerngeschäfts der Autohersteller. Aber was ist mit dem Geschäft, das heute die große Navigation bietet? Setzen die Navigations-Apps die große Navigation vom Autohersteller vor die Autotür? Billiger und im Zweifel heute auch noch aktuell zielführender ist die App. Aber mein Smartphone weiß eben jederzeit, wo ich mich gerade bewege, auch mit welcher Geschwindigkeit.

Und da stellen sich gleich noch eine Reihe von Fragen, die die Hersteller, in Zweifel die Gesellschaft oder der Staat, in jedem Fall auch jeder Einzelne stellen muss. Angesichts von Google, Prism. NSA und wie die Stichworte alle lauten, wird niemand darauf vertrauen wollen, dass diese Daten für alle Zeiten und für alle anonymisiert bleiben. Die Versuchung ist zu groß, denn mit ihnen kann man Maut kassieren, Geschwindigkeitsüberschreitungen bestrafen – beides automatisch per Abbuchung – oder eine Versicherungsklasse definieren, die zum Fahrstil passt, die Ehefrau informieren, wenn der Fahrer vom rechten Weg abweicht, den Kindern vorschreiben, wie schnell und wo sie sich mit Papas Auto bewegen dürfen (Stichwort elektronische Fußfessel), Terroristen jagen und viel Sinnvolles, aber auch Ärgerliches erreichen.

Bei den vielen Fragezeichen bisher schon wird deutlich, in welchem Umfang heute Elektronik- und Softwareentwickler in der Automobilindustrie unter Lösungs- und Zeitdruck stehen. Die Komplexität, die mit der Always on-Bewegung ins Auto kommt, stellt für die Automobilindustrie eine ungewohnte Herausforderung dar. Sie muss mit der Entwicklung der schnell drehenden Consumerelektronik-Welt jenseits des eigenen Werkzauns mithalten. Sie muss ihr bestehendes Geschäft in diesem Bereich zu erhalten versuchen. Dafür muss sie muss neue Geschäftsmodelle entwickeln, die an die Stelle der alten treten können. Und sie muss all dies unternehmen, ohne wirklich zu wissen, wohin der Weg führt, also auf vieles vorbereitet sein.

Immer mehr Autos sind „connected“; die Standleitung ins Auto ist heute Wirklichkeit. „Ich kann mich nicht gegen das digitale Zeitalter stemmen“, sagt dazu Dr. Volkmar Tanneberger, der Leiter der Elektrik- und Elektronikentwicklung bei Volkswagen in Wolfsburg. Er wisse nicht, wohin die Entwicklung die Consumerelektronik und ihre Nutzer führe, aber „ich muss technische Lösungen finden, die alle Dienste verfügbar machen“.

Tanneberger sagt, nahezu jeder habe heute ein Smartphone, das er mit ins Auto bringe. Für ihn stellt das Smartphone deshalb die „natürliche“ Verbindung zum Internet dar. In die Autos soll das Smartphone in Zukunft eingebunden werden, in einem speziellen Ablagefach (Connectivity Box), in dem das Telefon kapazitiv mit einer Dachantenne verbunden wird. Später soll auch induktives Laden des Mobiltelefons in der Box möglich sein. Die Verbindung zum Internet steht also.

Für die Bedienung des gekoppelten Smartphones will sich Volkswagen des Mirror-Link-Standards bedienen. Tanneberger legt Wert auf die Feststellung, dass sich der Konzern hier eines weltweiten Standards bedienen will, was die Einbindung der unterschiedlichsten Geräte vereinfacht. Dazu ist Volkswagen schon vor Jahren dem internationalen Mirror Link Consortium (MLC) beigetreten. Zur Zertifizierung gehören autospezifische Qualitäten wie eine Bildfolge von nicht mehr als zehn Bildern pro Sekunde, damit die Übertragung nicht – den Vorschriften folgend – oberhalb 6 km/h abgebrochen werden muss. Beim Mirror Link werden die Daten und auch die Graphiken des Smartphones in der Fahrzeugelektronik gespiegelt, so dass alle Funktionen des Telefons und auch alle Apps über das Auto nicht nur gesehen und gehört, sondern auch bedient werden können.

Soviel zur Technik-Strategie bei Volkswagen, jetzt zur Frage der Sicherheit, zunächst zur Zuverlässigkeit der Apps. Tanneberger erinnert augenzwinkernd an die früher häufigen Pannen bei Consumer-Anwendungen von Software (Stichwort Windows). Das führe zu unzufriedenen Kunden, was sich kein Hersteller leisten will. Vor diesem Hintergrund sei es zum Beispiel möglich, dass die fest eingebauten Navigationsgeräte heutiger Prägung noch eine Zukunft hätten. Auch von VW-Navigations-Apps spricht er. Schließlich verfüge das Unternehmen über Hunderte Software- und App-Entwickler. Noch sei man dabei zu prüfen, welches der richtige Weg sei. Mit seiner Mannschaft sieht Tanneberger für VW alle Optionen offen.

Zur Frage des Schutzes der Daten des eigenen Autos hat Tanneberger eine verblüffend einfache Antwort. Keine Anfrage vom Auto oder im Auto erfolgt direkt. Alles geht über den Volkswagen-Server, und der anonymisiert Fragen und Antworten. Bleibt nur noch die Frage, wem man eher vertraut, den Googles dieser Welt oder einer Marke wie Volkswagen. Auf jeden Fall ist die Entscheidung, die „letzte Meile“ bis zum Nutzer nicht anderen zu überlassen, ein vielversprechender Weg.

Ab 2014 geht es im Konzern los. Dann soll erstmals der Modulare Infotainment-Baukasten (MIB) zum Einsatz kommen, bei dem ein 6,5-Zoll-Bildschirm als Touchscreen und ein Zentralrechner das Internet einbinden sollen. Folgende Dienstleistungen sind über kurz oder länger vorgesehen: Navigation mit Online-Updates, eine Smartphone-Anbindung, die auf mehrere Telefone umschaltbar sein soll, die Handschriftenerkennung über den Touchscreen und die Integration des Smartphones über Mirror Link. Was danach geschieht, will Tanneberger abwarten.

Der Markt ändert sich in dem Feld der Consumerelektrik manchmal sprunghaft. Das Unternehmen will jederzeit auf den Markt reagieren können. Das erreichen Tannenberger und die Seinen über das Display Touchscreen, dessen Funktion über Software jederzeit angepasst werden kann und einen Zentralrechner, der so groß und so schnell ist, dass er auch mit heute noch nicht entwickelten Anwendungen fertig werden kann. Das passende Auto zur App wird es also geben, wenn auch nicht als Dreingabe. (ampnet/Sm)

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