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Kommentar: Schwabenstreich

Einige Daimler-Manager dürften am letzten Juni-Wochenende endlich wieder gut geschlafen haben. Hatte zuvor die EU-Kommission in Brüssel doch damit gedroht, den Verkauf der Daimler-Modellreihen A-, B-, SL- und S-Klasse mit Strafgeldern zu belegen, wenn nicht gar zu verbieten, wanderte nun über Nacht das Damokles-Schwert über dem Stuttgarter Konzern wieder in der Versenkung. Auch Daimler hatte nun die EU-Kommission ausgetrickst.

Zur Erinnerung: Entzündet hatte sich der Krach mit der EU-Bürokratie am neuen, umweltschonenden Kältemittel R1234yf für Klimaanlagen, mit dem seit Jahresanfang alle neuen Personenwagen ausgerüstet werden müssen, deren Typprüfung beim Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Flensburg nach dem 1. Januar 2011 beantragt worden war.

Zunächst hielten sich die Stuttgarter auch brav an die Brüsseler Verordnung. Sozusagen als Vorbild für die anderen Autobauer und erster deutscher Hersteller setzten sie das neue Kältemittel R1234yf in den Klimaanlagen der neuen SL-Baureihe ein. Doch die Fahrzeuge - in Deutschland traf es 705 Sportwagen - ereilte im vergangenen Oktober genau deswegen eine Rückrufaktion. Mercedes hatte sich nämlich nach Tests, die in einem flammenden Inferno endeten, dazu entschieden, ab sofort nicht mehr das neue Kältemittel, sondern statt dessen wieder das herkömmliche, allerdings extrem umweltschädliche Kühlmittel R134a zu verwenden.

Im Unterschied zu den Schwaben umgingen BMW und sämtliche Marken des Volkswagen-Konzerns die EU-Vorschrift mit einem Trick: Denn die Typprüfungs-Richtline des Kraftfahrt-Bundesamts lässt ein Hintertürchen offen: Sie ist nur dann vorgeschrieben, wenn es sich bei dem betreffenden Fahrzeug um eine komplette Neuentwicklung handelt. Fußt das neue Auto aber in Teilen auf seinem Vorgänger – und dazu reicht bereits eine Übereinstimmung mit Teilen der Bodengruppe –, dann gilt der Neue als Weiterentwicklung und die Typprüfung erübrigt sich. Daher stellten die Schlauberger aus Wolfsburg, Ingolstadt und München seit dem 1. Januar 2011 kein neues Auto mehr zur Typprüfung beim Kraftfahrtbundesamt vor, sondern nannten ihre Neuvorstellungen wie zum Beispiel den neuen Golf schlicht und einfach Weiterentwicklungen vorhandener Fahrzeuge, womit sie der Brüsseler Anordnung ganz legal entkommen konnten.

Mit einiger Verspätung machte es Mercedes nun der deutschen Konkurrenz nach. Das Unternehmen beantragte in Flensburg nicht nur eine Rücknahme der ursprünglich neuen Typgenehmigungen für die A-, B- und SL-Klasse, sondern deklarierte auch die drei Modellreihen sowie neue S-Klasse als einfache Weiterentwicklung ihrer Vorgänger. Das KBA, das zur Zeit selbst das Gefahrenpotenzial von R1234yf untersucht, gab dem Stuttgarter Ersuchen zur Erleichterung des Mercedes-Managements statt. Die Änderung bereits erteilter Typgenehmigungen, so stellte eine Sprecher der Behörde gegenüber dem "Handelsblatt" fest, sei "gängige Praxis". Dass nicht nur die amerikanischen Chemiekonzerne Honeywell und Dupont, die beiden einzigen Hersteller von R1234yf , sowie die EU-Kommission in Brüssel wegen der Flensburger Entscheidung in Rage geraten, ist verständlich. So nannte Brüssel das Vorgehen als "nicht akzeptabel" und drohte Konsequenzen an.

Bleibt die Frage, welchen Sinn die Typprüfung hat. Denn im Grunde genommen ist doch jedes neue Auto nichts anderes als eine Weiterentwicklung jenes Vehikels, mit dem Bertha Benz zusammen mit ihren beiden Söhnen vor genau 125 Jahren von Mannheim nach Pforzheim kutschierte.




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