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Jost Capito im Interview: Bilanz nach einem Jahr Volkswagen Motorsport

Vor einem Jahr hatte der neue Motorsport-Direktor Jost Capito seinen Dienst an der Ikarussallee in Hannover angetreten, um das Team in die World Rally Championship (WRC) zu führen. Dann kam der Erfolg für Volkswagen schneller als erwartet. Grund, jetzt zwischen zwei WRC-Läufen Bilanz zu ziehen. Wie ist es Jost Capito in seinem ersten Jahr bei Volkswagen Motorsport ergangen.


Jost Capito: ein Jahr im Amt – was beschäftigt Sie derzeit am meisten?

Mir kommt es eher vor wie eine Woche. Das Jahr ist so schnell verflogen, weil es sehr interessant war und extrem viel zu tun gab. Am meisten beschäftigt mich das aktuelle WRC-Programm und viele bürokratische Dinge: Wir haben Prozesse geändert und viele neue Abläufe in Gang gesetzt, um vom Dakar-Engagement auf die WRC umzustellen.

Was haben Sie am Team optimiert?

Es ist wichtig, dass das Team motiviert ist. Das macht einen großen Anteil des Erfolges aus. Wir realisieren das unter anderem über eine sehr offene interne Informationspolitik. Die Hierarchien sind durchlässiger geworden. Wenn alle auf dem gleichen Sachstand sind, macht das viele Dinge einfacher. Jeder kennt die Auswirkungen seiner Arbeit auf die Tätigkeitsbereiche der anderen Teammitglieder. Die Mannschaft muss auch dann homogen funktionieren, wenn ich selbst nicht vor Ort sein kann.

Was ist jetzt anders als vorher?

Wir sind weg von einem autoritären Führungsstil. Ich habe meine direkten Ansprechpartner und gebe ihnen Kompetenzen, ihre Abteilungen zu führen und Dinge umzusetzen. Dieser Wechsel braucht Zeit, bis die Mitarbeiter sich daran gewöhnen. Es geht nicht nur darum Kompetenz zu haben, sondern auch Verantwortung zu übernehmen und Autorität zu entwickeln. Im Gegensatz zur Dakar laufen bei der Rallye alle Prozesse parallel, weil es insgesamt 13 WM-Läufe gibt. Man baut ein Auto nicht über ein Jahr auf, sondern muss es konsequent über das gesamte Jahr weiterentwickeln.


Ihre Erfahrungen mit Volkswagen Motorsport

Was unterscheidet die Arbeitsweise von Volkswagen Motorsport im Vergleich zu Ford?

Zunächst, dass ich immer Volkswagen sagen muss (lacht). Die Philosophie in einem deutschen Unternehmen ist anders, als in einem amerikanischen: Die deutschen Unternehmen sind wesentlich mehr „Engineering-orientiert“. In erster Linie zählt das Produkt und dann geht es ums Geschäft. In Amerika ist es in der Regel umgekehrt: Das Produkt entwickelt sich aus dem Geschäft. Beide Wege sind aber gangbar. In einem deutschen Unternehmen, speziell bei uns, haben wir aber wesentlich mehr individuelle Freiheiten, um gesteckte Ziele zu erreichen. Man muss dieses Vertrauen rechtfertigen und ist natürlich auch für das Ergebnis verantwortlich.

Was haben Sie zu Beginn Ihrer Tätigkeit als größte Herausforderung gesehen?

Ich kam als Neuling in diese eingespielte Mannschaft und die Frage war: Schaffe ich es, das Team und die ganze Firma hinter mich zu bringen? Das Vertrauen zu gewinnen, war die größte Herausforderung. Erfolgreich zu sein, ohne Leute auszutauschen. Und mit neuen Leuten zusammen zu arbeiten, aus ihnen eine funktionierende Einheit zu formen, ist spannend.

Was entwickelte sich im vergangenen Jahr aus Ihrer Sicht besser als erwartet?

Die Ergebnisse in der WRC sind weitaus besser, als wir erwartet haben. Die Entwicklung des Polo R WRC und die Entwicklung des Teams sind schneller vorangeschritten, als ich gedacht habe. Die Fehlerquote bei kritischen Service-Stops in der WRC ist weitaus geringer als angenommen. Die Mannschaft arbeitet in einem beispielhaften Stil, an dem sich gestandene Teams eine Scheibe abschneiden können. Es sind bislang keine wesentlichen Fehler passiert, die Einfluss auf die Rally-Ergebnisse hatten.

Der Polo R WRC übertrifft die Erwartungen. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg des Autos?

Es gibt zwei Philosophien: Wir mussten das neue Auto nicht im laufenden Wettbewerb erproben und weiterentwickeln, sondern konnten außerhalb der Rallye ein Jahr lang intensiv testen. Das minimiert zwar die Ausfallquote in der ersten „echten“ Saison, verpflichtet aber gleichermaßen, auch aufs Podium zu fahren. Unser Weg war richtig. Glück haben wir mit Sébastien Ogier gehabt, der als Fahrer zum ersten Mal ein Auto entwickelt hat. Dabei standen ihm mit Carlos Sainz und Dieter Depping zwei gestandene Rallye-Asse mit viel Erfahrung und wertvollen Ratschlägen zur Seite. Das Trio „Ogier-Depping-Sainz“ hat ein hervorragendes Auto zustande gebracht. Seb hat dabei die Führungsrolle übernommen, was für einen jungen Fahrer bemerkenswert ist. Das rechne ich ihm hoch an. Einen weiteren großen Anteil hat natürlich auch das „Engineering“. Ein weiterer Erfolgsfaktor hierbei ist die Zusammenarbeit vom „FX“ (Francois Xavier Demaison) und Willy Rampf. Da kommen viel Rally-Erfahrungen mit Erfahrungen aus der Formel-1 zusammen.

Die Zielsetzung des Teams muss nach den ersten fünf WRC-Läufen überdacht werden. Welche Ziele sind nun für die kommenden drei Jahre definiert?

Dieses Jahr ist unser Ziel, bis zum letzten Rennen um den Fahrer-WM-Titel zu kämpfen. Die Ziele für die Jahre 2014 (Rallye-Gesamtsiege) und 2015 (Weltmeister-Titel) können wir nun nicht mehr zurückschrauben. Die aktuellen Ergebnisse machen uns mehr Druck für die kommenden zwei Jahre.

Andreas Mikkelsen hatte einen sehr starken Auftritt in Portugal und eine noch souveränere Leistung in Argentinien. Was erwarten Sie über die gesamte restliche Saison von ihm?

Ich erwarte, dass seine Lernkurve weiter steigt. Als junger Fahrer hat er die wenigste Erfahrung mit dem Polo. Wir werden seine Rolle von Rallye zu Rallye neu definieren. Als drittes Fahrzeug kann er in unserer Strategie ein entscheidender Faktor sein. Wir erwarten von ihm, bis zum Ende der Saison in der Lage zu sein, anderen Teams Punkte abzunehmen.

Hat er Potenzial in die Klasse von Ogier und Latvala vorzustoßen?

Ja, davon bin ich überzeugt.

Die Fahrer-Duos Ogier/Ingrassia und Latvala/Anttila harmonieren nicht nur in den Autos. Auch das Miteinander abseits der Piste scheint zu passen. Welches Geheimnis steckt dahinter?

Im Moment ist es noch relativ einfach. Beide sind unterschiedliche Charaktere. Sie sind Fahrer, die unbedingt gewinnen wollen. Da ist der Teamkollege der erste, den man schlagen will – diese gesunde teaminterne Konkurrenz ist normal. Die Kunst dabei ist, den individuellen Drang so zu kanalisieren, dass das Team dabei nach vorne gebracht wird und nicht nur die Einzelnen.

Rundblick: Die aktuelle Situation in der WRC

Wen sehen Sie aktuell als „härtesten Gegner“ aus Fahrerischer Sicht?

Es gibt viele junge Fahrer wie Mads Ostberg, Thierry Neuville oder Evgeny Novikov. Sie sind in der Lage, Spitzenergebnisse einzufahren. Auch sie lernen mit jeder Rally dazu. Mikko Hirvonen und Dani Sordo haben einen relativ schlechten Saisonstart gehabt und sind unter Wert geschlagen worden. Die kommen sicher noch und werden uns das Leben schwer machen.

Der Polo R WRC dominiert aber doch recht deutlich.

Alle drei Autos – der Volkswagen, der Citroen und der Ford sind auf dem relativ gleichen Niveau, können die gleiche Speed fahren. In Portugal wurde das deutlich, als Sordo (Citroen) vor seinem technischen Problem auf dem Weg war, die Gesamtführung zu übernehmen. Das gleiche galt für den Ostberg (Ford). Klar ist: Wenn man ein sehr gutes Auto baut, ist man konkurrenzfähig. Es spricht für das WRC-Reglement, dass man mit einem neuen Auto schon in der ersten Saison erfolgreich sein kann. Das sollte vielleicht auch andere Hersteller ermutigen. Was vor allem zählt, ist die Zuverlässigkeit der Autos und ein eingespieltes Team.

Die Fans würden jubeln und dem Sport würde es gut tun: Sind Sie der Meinung, dass Citroen seinen Star-Fahrer Sébastien Loeb vielleicht doch noch einmal umstimmen kann, um ein bis zwei Saisons dranzuhängen?

Citroen hat Volkswagen sicherlich unterschätzt. Das ehrt uns schon einmal. Wenn sie nun versuchen ihre Titelserie der vergangenen neun Jahre fortzusetzen, ist es das einfachste, wenn Sébastien Loeb im Auto sitzt. Ich gehe davon aus, dass Citroen alles versuchen wird, dass Sébastien Loeb noch so oft wie möglich im Rallye-Auto sitzen wird, um die Chancen auf den Weltmeistertitel so groß wie möglich zu halten. Ich würde es genauso machen. Je öfter Loeb fährt, desto besser ist es für die Rallye Weltmeisterschaft als Sport, auch wenn es uns das Leben schwerer macht. Denn im ersten Jahr gegen einen Sébastien Loeb zu verlieren, ist keine Schande.

Das Team steht für den Erfolg. Wie oft üben Sie Service-Stopps in der Ikarusallee?

Relativ selten. Entscheidend ist zu wissen, wie lange es dauert, bestimmte Teile zu wechseln. Die Bedingungen in der Rallye sind stets andere. Unsere Mechaniker kennen das Auto in- und auswendig. Die wissen was zu tun ist und treiben sich selber an. Sie sind genauso competitive wie die Fahrer. Das sieht man bei den Service-Stopps. Wenn sie erfolgreich waren und das Auto wieder Top-Fit auf die Strecke gehen kann ist das für sie wie ein Rallye-Sieg.

Ist dieses Jahr noch ein viertes Auto geplant?

Nein. Und auch für kommendes Jahr ist kein viertes Auto geplant.

Vor welcher noch anstehenden Rallye haben sie den größten Respekt?

Respekt haben wir vor jeder Rallye. Griechenland und Sardinien werden für das Material die härtesten WM-Läufe. Vor Finnland hat man immer Respekt, weil diese Rallye so unglaublich schnell ist – bei Durchschnittsgeschwindigkeiten von 160 km/h über Schotterprüfungen im Wald. Das sind ganz andere Belastungen für ein Auto. Rallyes wie Australien sind extrem wichtig, um Punkte zu sammeln. Man darf keinen Lauf unterschätzen.

Was unternimmt Volkswagen Motorsport, um den Rallye-Sport in Deutschland wieder mit Leben zu füllen, die Popularität zu steigern?

Es gibt verschiedene Aktivitäten. Wir versuchen, den Journalisten den Rallye-Sport nahezubringen, indem wir Lehrgänge anbieten. Dort zeigen wir, wie ein Aufschrieb erstellt wird und welche Herausforderungen sich für die Besatzungen in einem WRC-Auto ergeben. Auf der anderen Seite ist Volkswagen ein deutscher Hersteller, der sich einem Top-Sport erfolgreich behauptet. Damit können sich Volkswagen-Kunden und Fans identifizieren. Und mit Sepp Wiegand haben wir einen deutschen Fahrer, den wir zusammen mit Skoda langsam aufbauen.

Das würde aber den Einsatz eines vierten Autos bedeuten.

Es bleibt abzuwarten was passiert. In der WRC als Fahrer nach vorne zu kommen braucht seine Zeit. Wenn man da einen Jungen zu früh reinsetzt, dann wird er innerhalb eines halben Jahres zerrissen, wenn er nicht die Leistung bringt. Da sollte man sich 100-prozentig sicher sein, dass er die Leistung bringen kann. Der Druck ist für einen Deutschen in einem Volkswagen bei einem WRC-Lauf natürlich enorm. Ein Fahrer braucht sehr viel Selbstbewusstsein, um eine gute Rallye zu fahren. Da muss er sich hin entwickeln und dann wird er auch eingesetzt. Ob das dann mit einem vierten Auto sein wird oder anders, wird man sehen.

Wie sehen die Vorbereitungen zum Golf R Cup aus?

Der Scirocco-Cup war ein sehr erfolgreicher, innovativer Markenpokal, mit Biogas und „Push-to-Pass“ System. Letzteres hat sich jetzt auch in anderen Rennserien durchgesetzt. Der von Ulrich Hackenberg entwickelte Modulare Querbaukasten (MQB) dient auch als Basis effizient und markenübergreifend Rennfahrzeuge zu entwickeln. Der Golf 7 wird das erste Rennauto von Volkswagen sein, das auf der MQB-Plattform gebaut wird. Das Auto ist derzeit in der Entwicklung. Was ich jetzt schon verraten kann, ist, dass er wesentlich seriennäher aussehen wird, als der 24-Stunden-Golf der sechsten Generation.


Welches Engagement können wir für das kommende Jahr in der Formel 3 erwarten?

Im nächsten Jahr kommt ein neues sinnvolles Reglement für Formel-3-Motoren. Wir sind aktuell mitten in der Entwicklung. Wir haben den Vorteil, dass unsere Global Race Engine, die die Basis für die Rallye- und die Tourenwagen ist, auch die Basis für den Formel-3-Motor sein kann. Wir können also sehr effizient einen Formel-3-Motor entwickeln.

Volkswagen ist mit Motorsport-Aktivitäten weltweit vertreten. Wie können Sie die vielen verschiedenen Rennserien von Hannover aus koordinieren?

Es ist eine Frage des Führungsstils. Man kann nicht alles autoritär steuern. Die global verteilten Bereiche arbeiten weitestgehend autark. Wir unterstützen die Aktivitäten in den jeweiligen Ländern und stellen unser Wissen zur Verfügung. Dadurch kommt man zu einer globalen Motorsport-Strategie. Volkswagen bietet seine Autos weltweit an, da liegt der Vorteil auf der Hand. Hierfür sprechen wir mit den Rennteams und auch mit den Behörden vor Ort. Man muss verstehen, was die Behörden wollen und welche Erwartungshaltung es in den jeweiligen Ländern gibt. Wenn wir sehen, dass ein Engagement sinnvoll und professionell ist, bieten wir Unterstützung und Kooperation. (ampnet/tw)

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