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Hintergrund: E-Call-Daten lassen sich vergolden

Deutschlands Autofahrer lieben die Idee, dass ihnen bei einem Unfall selbst in der europäischen „Wallachai“ geholfen wird, weil ihr Auto selbst und automatisch die Rettungsdienste ruft. 96 Prozent finden deswegen die europäische Vorschrift gut, ab 2015 Neufahrzeuge mit dem sogenannten E-Call auszustatten. Das ist eines der Ergebnisse der Studie „Der vernetzte Autofahrer“, durchgeführt vom Institut für Versicherungswesen (IVW) an der Fachhochschule Köln.

Prof. Horst Müller-Peters, Direktor der Forschungsstelle Versicherungsmarkt, zeigte sich über dieses positive Echo für den E-Call überrascht, als er eine erste Zusammenfassung der aktuellen Studie jetzt beim Goslarer Diskurs, einer Expertendiskussion am Rande des Verkehrsgerichtstags in Goslar, vorstellte. Er hatte bei den Befragten wohl mehr Zurückhaltung gegenüber einem solchen Zwangssystem erwartet. Doch denen war die Chance, schnell Hilfe zu bekommen und gerettet zu werden, offenbar wichtiger als die Vorbehalte ich Richtung Privatsphäre, Überwachung und Datenschutz.

Fast 90 Prozent sähen ihr eigenes Fahrzeug gern mit einem solchen System ausgerüstet und mehr als 80 Prozent befürworten sogar die Pflicht zur Ausrüstung aller Neufahrzeuge. Nur wenige Zwangsmaßnahmen der Europäischen Union können sich auf eine solch hohe Zustimmungsrate stützen. Nur vier von zehn Befragten schon vor dem Interview einmal etwas von E-Call gehört. Die Interviewer mussten ihnen die Funktionsweise erklären, um anschließend die nahezu ungebremste Begeisterung zu Protokoll zu nehmen.

Voraussetzung für den E-Call ist eine Sprach- und Datenverbindung, ein bordeigenes Mobiltelefon für das Auto, das den Notruf absetzen kann. Bei einer Unfallschwere, die Personenschäden verursachen könnte, agiert das System. Das kann zum Beispiel beim Auslösen der Airbags oder bei einem Überschlag geschehen. Das Auto funkt dann eine Leitstation an und überträgt Daten über das Fahrzeug und dessen Standort. Die Leitstelle spricht die Insassen in ihrer Heimatsprache an und klärt den Hilfsbedarf. Soweit der reine E-Call. Die EU verspricht sich davon – nicht im ersten Jahr, aber im Lauf der Zeit – 2500 weniger Verkehrstote pro Jahr.

Aber die Organisation der Hilfe ist nur ein Aspekt. Den vier Prozent, die das System nicht gut fanden, missfiel das Gefühl, überwacht zu werden, zumal dann, wenn die Daten aus ihrem Fahrzeug ohne ihre Kontrolle weitergegeben werden. Sie wollen selbst bestimmen, an wen die Daten gehen. Wie Recht sie damit haben, wurde beim Goslarer Diskurs schon an den Funktionen der Experten auf dem Podium sichtbar. Sie alle zeigen Interesse an den Daten, um sie zu schützen oder für ihr Geschäft zu nützen: Automobilindustrie, Verkehrsleitsysteme, Pannenhilfsdienste, Versicherungen und andere.

Für den reinen E-Call ist das Problem überschaubar. Hier werden ja zunächst nur die Rettungs- und Bergungsdienste zusammen mit der Polizei auf den Plan gerufen. Aber auch Rettung und Bergung sind bedeutende Geschäftszweige, die namhafte Umsätze bringen. In Deutschland lösen die Rettungsleitstellen die Frage des Wettbewerbs unter den Diensten mit regionalen Verträgen oder einer Liste der Anbieter, die der Reihe nach dazugerufen werden.

Ein europaweites System wird das anders lösen müssen. Aber das eigentliche Problem liegt in der Kommunikationstechnik, die ab 2015 in jedem neuen Auto an Bord sein muss. Da ist heute viel von Mehrwertdiensten oder von Apps die Rede, mit denen zur Zeit nahezu ausschließlich die Automobilhersteller versuchen, sich neue Geschäftsfelder zu erschließen.

Die Unmenge an Sensoren im Fahrzeuge ermitteln ständig Daten, an denen viele großes Interesse zeigen. „Daten sind das Gold unserer Zeit“, formulierte einer der Teilnehmer und Gold schürfen wollen all mit dem Wissen um Standort, Fahrtroute, Fahrtziel, den Vorlieben des Fahrers nicht nur bei der Sitzeinstellung, sondern auch bei der Musik oder der Senderwahl, der Zahl der Personen im Fahrzeug, dem Fahrstil des Fahrers samt den Geschwindigkeitsüberschreitungen und so weiter.

Wenn es eine Standleitung ins Auto gibt, dann sind die Möglichkeiten, daraus Nutzen zu generieren oder Kontrolle zu schaffen schier unendlich. Da wird der Automobilhersteller mal eben die Software aktualisieren, da weiß die Werkstatt, was zu reparieren ist und der Pannendienst, dass das Auto bei dem Batteriezustand Morgen nicht mehr anspringen wird.

Schöne neue Welt oder Albtraum? Ein bisschen von beidem. Besonders die Premiumhersteller bemühen sich ja heute schon darum, dem Autofahrer über dessen Smartphone oder bordgestützte Internetverbindungen alle möglichen Dienste anzubieten. Doch da unterschreibt der Autokäufer, was er will. Aber was geschieht, wenn das Fahrzeug verliehen oder verkauft wird. Und wer sorgt dafür, dass alle Insassen mit der Übertragung der möglicherweise entlarvenden Daten einverstanden sind?

Viele Fragen sind noch nicht geklärt, obwohl 2015 nun wirklich nicht mehr in weiter Ferne liegt. Es wird also Zeit. Und das ist den Beteiligten klar. So beabsichtigt die EU nun offenbar, sich damit auch wettbewerbsrechtlich zu befassen. Soviel ist dabei heute schon klar. Der Autobesitzer muss über seine Daten bestimmen können. Sie gehören nicht nur einem, wie etwa der Automobilindustrie. Wie Microsoft einst beim Internetexplorer, wird die Kommission darauf bestehen, dass alle Interessierten Zugang bekommen können, wenn der Fahrer das sein Auto für andere goldene Eier legen lässt. Die Automobilindustrie kennt die Denkweise schon von der Gruppen Freistellungverordnung (GVO), die die Industrie verpflichtet hat, auch anderen als den eigenen Markenwerkstätten Zugriff auf die Fahrzeugdaten zu gestatten.

Durch Facebook sind heute viele Menschen datenrechtlich völlig enthemmt. Sie haben keine Probleme damit, ihr Leben und ihre Daten anderen anzubieten. Deswegen darf man annehmen, dass sie auch unempfindlich auf den offenen Datenaustauschs ihres Autos mit aller Welt reagieren und sich eher darüber freuen, wenn ihre Lieblingspizzeria sie auf dem Nachhauseweg daran erinnert, etwas mitzubringen. Die Datenschützer werden sich über diese leichte Art des Umgangs hinwegsetzen müssen. Einer der Experten formulierte es so: „Der Datenschutz muss uns vor uns selbst schützen.“

Wenn schließlich der Datenschutz geregelt ist, wird man sich auch mit der Datensicherheit befassen müssen. Der Datenaustausch findet heute unverschlüsselt statt. Mithören ist also nicht ausgeschlossen, ein unbefugter Eingriff von außen ins Auto auch nicht. Wir werden noch viele Expertenrunden wie den Goslarer Diskurs erleben, bis alle zufrieden und sicher unterwegs sind. (ampnet/Sm)

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Peter Schwerdtmann

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