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Kommentar: Der Blitzermarathon ist purer Aktionismus

Am Donnerstag um sechs Uhr frühmorgens eröffnen 13 000 Polizeibeamte in Deutschland und eine weit größere Anzahl ihrer Kollegen im EU-Ausland mit Radar und Laser, Stoppuhr und Lichtschranke wieder einmal die Jagd auf Autofahrer, die sich jenseits des vorgeschriebenen Tempolimits bewegen. 2012 in Nordrhein-Westfalen erfunden, 2013 flächendeckend in ganz Deutschland und in diesem Jahr zum ersten Mal europaweit eingeführt, hat sich der sogenannte Blitzermarathon zu einer beliebten Einkommensquelle der Obrigkeit entwickelt. Das bestreiten Politiker zwischen Nord- und Bodensee selbstverständlich vehement.

Das gemeinsame Credo beispielsweise von den Innenministern in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, Roger Lewentz und Ralf Jäger (beide SPD), lautet: Überall sei zu hohes Tempo Hauptunfallursache und Killer Nummer eins auf den Straßen. Raserei und nicht die klammen Kassen wären für die Kontrollen notwendig.

Doch selbst ständiges Wiederholen wie mit einer tibetischen Gebetsmühle macht den Wahrheitsgehalt dieses Arguments nicht besser. Um das zu erkennen, genügt ein kurzer Blick in die Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes. Danach passieren die meisten schweren Verkehrsunfälle, bei denen Verletzte und Tote zu beklagen sind durch Fehler beim Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren sowie Ein- und Anfahren. Auf dem zweiten Platz liegt das Nichtbeachten der Vorfahrt, dahinter der ungenügende Abstand. „Unangepasste Geschwindigkeit“, wie es offiziell heißt, kommt erst an vierter Stelle. Für den Verlauf der vergangenen zehn Jahre insgesamt stellten die Statistiker fest: „Besonders der Rückgang von 42 Prozent bei Fehlern durch nicht angepasste Geschwindigkeit ist signifikant. Auch bei der Reduktion von Fehlverhalten durch Alkoholeinfluss konnten deutliche Fortschritte erzielt werden.“

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Hier soll keineswegs der Raserei das Wort geredet werden. Aber sind deutschlandweit über 4000 fest installierte, also stationäre Blitzer, die 24 Stunden im Einsatz sind und über 14 000 mobile Blitzgeräte nicht genug? Damit belegt Deutschland immerhin Platz vier in der weltweiten Rangordnung. Nur Brasilien (Platz eins), Italien (Platz zwei) und die USA (Platz drei) haben noch mehr Blitzgeräte und Radarfallen.

Der Blitzermarathon am Donnerstag ist nichts anderes als purer Aktionismus, der alle Autofahrer in einen Sack steckt und ihnen unisono rücksichtsloses Rasen vorwirft. Er ist darüber hinaus eine Beruhigungspille für alle Besserwisser und Oberlehrer, die im Straßenverkehr die Ursache allen Übels sehen.

Dabei ist die Bilanz für die Behörden eher ernüchternd. Im vergangenen Jahr gab es am 18. und 19. September bei insgesamt drei Millionen Kontrollen laut Polizei 3,2 Prozent Tempoverstöße, darunter die überwältigende Mehrheit mit Geschwindigkeiten von wenigen Stundenkilometern über dem Erlaubten, denn bereits mit 54 km/h in der geschlossenen Ortschaft oder 104 km/h auf der Landstraße ist man dran. Als Toleranzabzug gelten nämlich 3 km/h bei Geschwindigkeiten unter 100 km/h, drei Prozent darüber. Aber fallen solche Sünden in die Kategorie „Raserei“?

Natürlich gibt es nach wie vor Unverbesserliche, die vor Kindergärten oder Altenheimen besondere Rücksichtslosigkeit zeigen oder vernünftige Tempolimits für unverbindliche Empfehlungen halten. Beispiel Blitzermarathon Nordrhein-Westfalen 2014: Bei 712 000 Kontrollen gingen 181mal (0,025 Prozent) die Führerscheine – zu Recht – über die Wupper. Auf der A 4 in Köln war ein Autofahrer zum Beispiel mit 185 km/h unterwegs, obwohl nur 80 erlaubt waren. Ein belgischer Autofahrer fuhr auf der A 2 bei Bielefeld 217 bei einem Tempolimit von 120 km/h. Durch eine Tempo-30-Zone im Regierungsbezirk Detmold bretterte jemand mit 77 km/h.

Der Blitzermarathon 2015 wird vollends zu Farce angesichts der Tatsache, dass er ursprünglich 24 Stunden dauern und am 17. April morgens um 6 Uhr zu Ende gehen sollte. Wegen der Trauerfeier für die Opfer des Germanwings-Flugzeugabsturzes am 17. April im Kölner Dom wird die Aktion in den meisten teilnehmenden Bundesländern jedoch um sechs Stunden verkürzt und auf den 16. April beschränkt. Darüber hinaus nimmt Schleswig-Holstein wegen der Nachbereitung des G7-Gipfels in Lübeck (14./15. April) nicht am Blitzmarathon teil. Diese Zusammenhänge verstehe wer wolle.

Andererseits gibt es manche Verhaltensweisen, wo viel eher gegengesteuert werden müsste. Wie wäre es mit einem Polizeimarathon gegen die vielen Wohnungseinbrüche, die den höchsten Stand seit 16 Jahren erreicht haben? Und wann wird wirksam gegen Neonazis vorgegangen? Dazu wäre es wirklich höchste Zeit. (ampnet/hrr)

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Hans-Robert Richarz.

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