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Glosse: Moskau oben ohne

„Wir sollten uns nicht beklagen“, sagte uns der Auto-Manager in Moskau, nachdem wir fast vier Stunden von Flughafen Domodedowo südlich von Moskau 3 Stunden und 45 Minuten für die rund 30 Kilometer zum Hotel in der Innenstadt gebraucht hatten. „Wir tragen doch selbst dazu bei.“ So ein Verkehrschaos hat nicht einmal Peking zu bieten. Der Begriff „Verkehrsknoten“ bekommt in Moskau eine neue Bedeutung, weil sich der Verkehr hier unentwirrbar verknotet, so fest, dass auch Blaulicht und Sirenen keinen Raum schaffen können.

Eine Million Besucher erwartet die Moskau International Motor Show in den nächsten Tagen. Das wird die Situation sicher nicht entspannen, zeigt aber, dass die Faszination Auto auch in Russland noch ungebrochen ist. Kürzlich in Sankt Petersburg und jetzt in Moskau erleben wir es hautnah: Autos sind beliebt, am liebsten solche aus dem Westen oder dem fernen Osten. Man mag angesichts der Modelle auf Moskaus Straßen nicht glauben, dass Lada in Russland immer noch Marktführer ist. Denn hier tauchen sie nur vereinzelt auf, und meist in beklagenswertem Zustand.

Auch das war anders, als wir vor zwei Jahrzehnten nach Moskau reisten, um an der ersten Motorshow nach der Wende teilzunehmen, bei der Aussteller aus dem Westen akzeptiert wurden. Natürlich war unser Taxi ein Lada, ein Nachbau des Fiat 124. Festpreis für die Tour vom Flughafen Scheremetjewo war 40 US-Dollar, Rubel wollte angesichts der immensen Inflation niemand haben. Unser Taxi brauchte 20 Minuten.

Nun liegt Scheremetjewo dichter am Zentrum als der Flughafen Domodedowo, wo Lufthansa uns jetzt abgeliefert hat. Aber heute braucht man auch von dort ein Mehrfaches der 20 Minuten, in denen uns unser Lada im Hotel am Roten Platz ablieferte.

Das Messegelände erreichten wir am nächsten Tag nach einem kurzen Marsch durch den Schlamm des Parkplatzes. Die Gebäude erfüllten voll das Vorurteil von einer während des Kommunismus verkommenen Bausubstanz. Die Stände waren bescheiden; die Aussteller aus dem Ausland suchten in dieser trostlosen Umgebung den Schulterschluss. Man wurde zwar von den Messebesuchern begrüßt und bestaunt, aber die rechte Freude stellte sich immer erst abends im Hotel ein, befeuert von der Erleichterung, den Tag unbeschadet überstanden zu haben.

Am dritten Ausstellungstag überraschte uns unser Standnachbar aus Großbritannien, ein Teilhändler. Auf die Frage, warum er denn abbaue, kam die britisch lapidare Antwort: „Ich habe an die falsche Mafia bezahlt.“ Er ließ uns zurück mit der Frage, ob unser Team denn wohl an die richtige gezahlt habe. Wir blieben aber ungeschoren, bis wir wieder ins Hotel kamen. Dort überraschte man uns am nächsten Morgen beim Frühstück mit der Nachricht, wir müssten unser Hotel noch einmal bezahlen.

Die Zimmer waren bezahlt, und zwar in US-Dollar. Außerdem gehörte das Haus zu einem deutschen Konzern, so dass wir uns gegen Nepp gewappnet hielten. Doch über Nacht hatte die russische Regierung den Rubel um 50 Prozent abgewertet. Das Hotel nutzte die Chance, die Preise zu verdoppeln. Und heute? Eine Abwertung steht jetzt offenbar nicht an. So kann man sich in Ruhe zurückerinnern und sich fragen, was heute anders ist außer der Fußbekleidung der Damen.

Highheels haben die Kunststoffstiefel abgelöst. Moskau wurde inzwischen ohne Zweifel zur Stadt mit der größten Highheel-Dichte in der Welt. Mit den kniehohen Kunstlederstiefeln verschwanden auch die alten Messehallen. Die neue Messe ist groß und modern. Man hat offenbar viel vor mit der Moskauer Messe. Für eine Million Autofans einmal pro Jahr hat man diesen Komplex sicher nicht errichtet. Die Infrastruktur in den Hallen passt, die Klimatisierung offenbar auch. Hier in Moskau ist es zurzeit zwar kühl und regnerisch. Aber heutzutage sorgen die Aussteller selbst an Wintertagen mit kräftiger Beleuchtung für eine aufgeheizte Stimmung.

Das Angebot der Aussteller in Moskau ist normaler geworden. Damals fand man an jeder Ecke einen Aussteller, der all sein Geld in die Entwicklung seines Traums von einem Sportwagen voller russischer Technik ausgegeben, aber nicht für den Stand übrigbehalten hatte. Aber die Leute liebten diese Enthusiasten und Hazardeure. Sie verehrten sie als Propheten einer neuen Zeit. Nur wenige von ihnen sind übrig geblieben. Dafür gibt es heute moderne und saubere Toiletten und auf ihnen sogar Papier.

Jetzt sind sie alle da, die Hersteller, die in der Automobilwelt einen Namen haben. Sie verneigen sich damit vor einem wachsenden Markt mit einem unglaublichen Potenzial für noch mehr Wachstum. Die einen bereiten sich darauf vor, indem sie den Termin nutzen, um einen Werksneubau in Russland anzukündigen. Die anderen bringen sogar eine große Weltpremiere nach Moskau. Mazda zeigt seinen neuen Mazda6 erstmals in Moskau - eine echte Premiere mit Ballett und so. Das ist eine tiefe Verbeugung vor diesem Markt und ein Marketing-Coup, der andere ins Grübeln bringen könnte.

Auf solche Ausrufezeichen mussten Aussteller und Besucher vor zwei Jahrzehnten in Russland noch verzichten. Dafür gab es damals einen umlagerten Stand eines russischen Teilehändlers. Seine Mädels bedienten oben ohne. (ampnet/Sm)

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Peter Schwerdtmann

Peter Schwerdtmann

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